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Bleifrei und Halogene Steven Teliszewski, Interflux Electronics, Gent (Belgien)

Ein Risiko für die Zuverlässigkeit elektronischer Baugruppen?
Bleifrei und Halogene Steven Teliszewski, Interflux Electronics, Gent (Belgien)

Bleifrei und Halogene Steven Teliszewski, Interflux Electronics, Gent (Belgien)
Korrosion
Die Halogene Cl, Br und F sind traditionell anwesend in Lötmitteln wie Lotpaste und Lötdraht, aber auch in Flussmitteln. Halogene haben die Eigenschaft, bei jeder Temperatur aktiv zu bleiben, und sind aus diesem Grund interessant als Aktivatoren, um die zu lötenden Oberflächen zu reinigen und zu löten. Es stellt sich nun die Frage, welchen Einfluss die Halogene, gelötet mit bleifreien Legierungen, auf die Zuverlässigkeit elektronischer Baugruppen haben.

Die Halogene sind fähig, mit Metallen eine Verbindung herzustellen, das Reaktionsprodukt ist ein Metallsalz, das meistens auf der Leiterplatte zurück bleibt. Diese Metallsälze haben die Eigenschaft, Feuchtigkeit aus der Luft anzuziehen. Wenn das geschieht, kann unter Spannung auf der Baugruppe Korrosion auftreten.

2CuO + 2Cl2 = 2CuCl2 + O2 : Kupfer wird konsumiert, Metallsalzbildung
Der Unterschied mit bleihaltigen Lötungen
Bei der Umstellung auf bleifrei wurden in Spannungsschutzgeräten Kriechströme gemessen, die im Vergleich zu den bleihaltigen Geräten 100fach größer waren. Daraufhin wurde festgestellt, dass beim Einsatz einer halogenfreien bleifreien Lotpaste die Kriechströme wieder normal sind.
Bemerkenswert war dabei, dass die bleihaltige Lotpaste auch halogenhaltig war, und dabei keinen Einfluss auf die Kriechströme hatte.
In einem anderen Bereich wurde eine ähnliche Feststellung bei der Umstellung auf bleifrei gemacht. In einer uns Allen bekannten Schmelzsicherung wurde festgestellt, dass nach der Unterbrechung des Schmelzdrahtes der Kriechstrom noch so groß war, dass die Sicherung nach gewisser Zeit explodiert ist. Das Phänomen war wieder verschwunden, wenn die Sicherung halogenfrei gelötet wurde. Und auch hier waren beim bleihaltigen Prozess Halogene anwesend die keine Probleme verursacht haben. Dies lässt vermuten, dass mit bleifreien Legierungen gebildete Metallsälze andere Eigenschafte haben, als die Metallsälze, die mit mit bleihaltigen Legierungen gebildet wurden.
Die Wasserlöslichkeit der Metallsälze
Wasserlöslichkeit der Metallsälze ist ein Indikator für Korrosionswirkung. Wenn wir uns die von Cl gebildeten Metallsälze anschauen, ist erkennbar, dass die Sn- und Cu-Sälze wasserlöslich sind. Beim Umstieg auf bleifrei hat der erhöhte Sn-Anteil dann den größten Einfluss auf die erhöhte Wasserlöslichkeit. Die von SnAgCu gebildeten Metallsälze sind beispielsweise ungefähr 50% wasserlöslicher als die SnPb-Sälze (siehe Tabelle).
Die elektrische Leitfähigkeit
Ein anderer Parameter, der Korrosionswirkung beeinflusst, ist die Leitfähigkeit der Rückstände nach dem Lötvorgang. Dies wird z.B. in einem Standard Oberflächenwiderstandstest geprüft. Um den Unterschied zwischen einer halogenhaltigen und halogenfreien Lotpaste zu erkennen, wurde folgendes getestet: Zwei Cu-Platinen wurden mit jeweils 5 g einer halogenfreien und 5 g einer halogenhaltigen, bleifreien SnAgCu-Lotpaste bedruckt. Der Unterschied der halogenhaltigen Paste zur halogenfreien Paste besteht lediglich darin, dass diese zusätzlich < 0,5% Halogenen hat. Nach einem Reflowprozess von etwa 5 Minuten und einer PeakTemperatur von 240°C wurden die Platinen in einer 75% IPA-25% Demiwasser-Mischung gereinigt. Die Leitfähigkeit in MicroSiemens dieser Mischung wurde vorher und nachher mit einem hochpräzisen Leitfähigkeitsmessgerät gemessen. Die Werte für die halogenhaltige Paste liegen deutlich höher.
Wo liegen die Gefahren
Elektromigrationswirkung ist abhängig von der Atmosphäre, in der eine elektronische Baugruppe funktioniert, und wie die Funktion des Gerätes ist. Wenn ein Gerät oft ein- und ausgeschaltet wird, werden die Lötstellen, und damit auch das Material, das die Metallsälze abschirmt, sich ständig ausdehnen und zurückziehen. Das Material kann dann nach gewisser Zeit auch Ermüdungserscheinungen wie Risse zeigen, und als Folge davon kommen die Metallsälze frei an die Atmosphäre. Wird dann in einer feuchten Umgebung gearbeitet, bedeutet das sehr wahrscheinlich ein Auftreten von Elektromigration. Das größte Problem ist, dass heutzutage die Korrosionstests und Oberflächenwiderstandstests wenig Aussagekraft haben. Diese Tests werden bei einer bestimmten Temperatur unter einem bestimmten Feuchtigkeitsgehalt gemacht, mit den Ermüdungserscheinungen wird nicht gerechnet. Der sicherste Weg ist also ein absolut halogenfreies Löten.
Was ist absolut halogenfrei?
Logischerweise ist mit absolut halogenfrei ein Produkt gemeint, das keine Halogene enthält. Leider ist es nicht einfach, solch ein Produkt auf dem Markt zu erkennen. Die meisten Flussmittel, Lotpasten und Lötdrahte sind heutzutage nach IPC klassifiziert. Der IPC Standard J-STD-004A (2004) erlaubt noch immer 0,05% Halogene für ein „L0“- klassifiziertes Produkt, und auch der europäische Standard EN 61190–1–2 (2002) erlaubt noch 0,01% Halogene. Auch ist der Halogengehalt in den Datenblättern der Hersteller nicht immer eindeutig bestimmt. Leider gibt es keinen einfachen Weg, die Anwesenheit von Halogenen zu erkennen. Der „Silver-Chromate-Paper“-Test ist sehr leicht mit sogenannten verborgenen Halogenen zu fälschen. Ein Titrationstest andererseits ist sehr genau, aber da werden die Geräte und nahezu einen ganzen Tag Zeit für eine Messung benötigt. Das heißt, dass man meistens den Herstellern vertrauen sollte, dass die Information diesbezüglich korrekt ist.
Schlussfolgerung
Es hat sich gezeigt, dass die Anwesenheit von Halogenen in Lötmitteln beim bleifreien Löten unter manchen Bedingungen zu eigenartigen Nebenerscheinungen führen kann. Der Grund dafür liegt wahrscheinlich in der erhöhten Wasserlöslichkeit und Leitfähigkeit der Metallsälze, die von den Halogenen mit den bleifreien Legierungen gebildet werden. Zuverlässigkeitsdaten über längere Zeit diesbezüglich sind bis heute leider noch nicht vorhanden. Auch haben die Standard Zuverlässigkeitstests zu wenig Aussagekraft. Falls ein absolut halogenfreies Lötmittel vorhanden ist, das sich für eine bestimmte Anwendung eignet, dann ist das für diesen Moment auf jeden Fall die sicherste Wahl.
SMT, Stand 9-330
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