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Eine optimale Versorgungsform

Stickstoff für den Lötprozess selbst erzeugen – eine Alternative zur Tankversorgung?
Eine optimale Versorgungsform

In Zuge der Umstellung auf eine bleifreie Elektronikfertigung tritt der Einsatz von Stickstoff immer stärker in den Vordergrund. Die Vorteile dieses Inertgases für den Lötprozess sind bereits allgemein anerkannt. Neben der bewährten Versorgungsform in flüssiger Form in Speichertanks (Bild 1) steht auch die Vorort-Erzeugung von Stickstoff zur Diskussion. Für eine wirtschaftliche Betrachtung ist es notwendig, die Stärken und Grenzen dieser Anlagen zu kennen und zu gewichten.

Stefan Ritzkowsky, Air Liquide Deutschland, Düsseldorf

Das Prinzip der Vorort-Erzeugung von Stickstoff ist seit langem bekannt und wird von Air Liquide seit über 15 Jahren in diversen Branchen eingesetzt. Dabei lassen sich drei Varianten der Vorort-Erzeugung unterscheiden: Die Stickstofferzeugung kann durch kryogene Luftzerlegung (Generatoren), durch Druckwechselverfahren (PSA – Pressure Swing Adsorbtion) oder mit Membranen erfolgen.
Kryogene Erzeugung mit Generatoren
Bei der kryogenen Luftzerlegung wird Luft komprimiert und aufbereitet, in einem Wärmetauscher abgekühlt und teilverflüssigt und anschließend in einer Kolonne destilliert. Der hier gewonnene Stickstoff zeichnet sich durch eine sehr hohe Reinheit aus, die der Standardreinheit von flüssigem Stickstoff entspricht. Wärmeverluste an die Umgebung werden durch Einspeisen einer geringen Menge flüssigen Stickstoffs aus dem Backup-System ausgeglichen, das auch einen kurzfristig höheren Bedarf deckt bzw. Stickstoff bei Stillstand des Generators bereitstellt. Dieses Verfahren ist für Abnahmemengen ab ca. 250 m³ Stickstoff pro Stunde eine interessante Alternative zur Tankversorgung. Typische Verfügbarkeiten solcher Stickstoffgeneratoren sind größer als 98 %.
Druckwechseladsorption
Bei der Druckwechseladsorption erzeugt ein Kompressor Druckluft, die anschließend aufbereitet und getrocknet wird. Die gereinigte Druckluft gelangt anschließend in einen mit einem Adsorbens gefüllten Behälter. Dort lagern sich die verschiedenen Gasmoleküle unterschiedlich schnell an der Oberfläche des Adsorbens an. Nach Durchströmen des Behälters (mit einer durch die Behälterabmessungen und den Volumenstrom definierten Verweilzeit) strömt das Restgas aus der Kolonne durch einen Filter und dann über einen Pufferbehälter in das Stickstoffnetz. Zur Regeneration wird der jeweilige Behälter abgesperrt und der Druck im Behälter mit dem beladenen Adsorbens abgesenkt. Durch den verringerten Druck desorbieren die angelagerten Gasmoleküle wieder von der Adsorbensoberfläche. Bei Einsatz von zwei Behältern laufen Produktions- und Regenerationsprozess parallel. Aufgrund der schnellen Änderung der Druckverhältnisse in den Kolonnen bewegt sich das Adsorbens bei jedem Druckwechsel, was zu einem merklichen Abrieb führt. Dieser Abrieb verringert die aktive Oberfläche der Füllung, so dass sich über einen längeren Zeitraum betrachtet eine deutliche Leistungsabnahme der Kolonne ergibt. Daher ist es empfehlenswert, das Adsorptionsmittel in regelmäßigen Abständen zu erneuern. Neben der Erzeugungsanlage ist zudem ein Backup zur Überbrückung von Wartungs-, Reparatur- sowie Ausfallzeiten erforderlich. Die typische Verfügbarkeit einer solchen Erzeugungsanlage liegt erfahrungsgemäß im Bereich von 93 bis 97 %. Bedarfsspitzen lassen sich aber nur in begrenztem Maße über den Pufferbehälter oder über das Backup abdecken.
Die Druckwechseladsorption liefert Stickstoff mit einer Reinheit von bis zu 99,99 %. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass mit steigender Produktreinheit die Erzeugungskosten überproportional ansteigen. Sind für 1 m³ Stickstoff bei einer Reinheit von 99,5 % ca. 4 bis 5 m³ Druckluft erforderlich, so steigt der Bedarf für eine Reinheit von 99,9 % schon auf die doppelte Menge. Damit sind für 12 m³ Stickstoff pro Stunde bei einer Reinheit von 99,5 % ca. 54 m³ Druckluft pro Stunde (900 l/min) bzw. bei einer Reinheit von 99,9 % ca. 104 m³ Druckluft pro Stunde (1800 l/min) notwendig. Das macht in der Regel Investitionen in zusätzliche Kompressorkapazitäten mit Druckluftaufbereitung erforderlich. Die Druckluft muss trocken, öl- und fettfrei sein. Ein weiterer zu beachtender Faktor ist der Stromverbrauch eines solchen Kompressors. Hier ist zu prüfen, ob der Anschlusswert der Stromversorgung den zusätzlichen Betrieb eines solchen Generators erlaubt oder ob hier zusätzliche Maßnahmen notwendig sind. Um den Verschleiß des Kompressors zu minimieren, sollte er möglichst gleichmäßig durchlaufen, das reduziert die Wartungskosten pro Betriebsstunde.
Membranverfahren
Für die Gewinnung von Stickstoff mit Hilfe von Membranen ist, genauso wie für das Druckwechselverfahren, gereinigte und kohlenwasserstofffreie Druckluft erforderlich (Bild 2). Diese aufbereitete Luft wird durch Membranbündel geleitet. Das Verfahren basiert auf den unterschiedlichen Durchmessern und der Eigenbewegung der Moleküle. Die kleineren Gasmoleküle wie Sauerstoff und Wasser durchdringen die Poren der Membran, wohingegen der größere Stickstoff nicht passieren kann. So entstehen eine sauerstoffreiche und eine stickstoffreiche Phase (Bild 3).
Als Nebeneffekt ist der produzierte Stickstoff sehr trocken, was für etliche Anwendungen im Bereich der Elektronikfertigung Vorteile bringt. Dieser Effekt wird umso größer, je trockener die ursprünglich verwendete Druckluft war.
Die Reinheit des Stickstoffs ist hierbei abhängig von der Anzahl der Membranbündel und der Verweilzeit der Druckluft in der Membran. Je langsamer die Luft durch die Membran strömt, umso reiner wird der erzeugte Stickstoff, gleichzeitig sinkt allerdings auch die pro Stunde produzierte Stickstoffmenge. Mit kleinen und mittleren Anlagen ist eine Reinheit von bis zu 99,9 % Stickstoff möglich. Beim Membranverfahren ist der Wartungsaufwand im Vergleich zum Druckwechselverfahren wegen der fehlenden bewegten Teile und insbesondere wegen der gleichmäßigen Druckverhältnisse deutlich geringer. Insbesondere die Membranbündel sind wartungsfrei, sofern die Druckluftqualität permanent den vorgegebenen Spezifikationen entspricht. Bei Bedarfsanstieg ist je nach Anlagenkonzept eine Anpassung der Stickstofferzeugung nach Reinheit und Größe der Anlage in bestimmten Stufen möglich, die durch die Anzahl der verwendeten Membranmodule bestimmt wird.
Beim Vergleich der beiden nichtkryogenen Verfahren bietet die Membrananlage trotz Limitierungen bei der Reinheit deutliche Vorteile hinsichtlich Standzeit, Wartungsfreundlichkeit und Verschleiß an der Erzeuger-Einheit.
Ist eine Stickstoff- eigenerzeugung sinnvoll?
Um zu beurteilen, wann eine Eigenerzeugung von Stickstoff sinnvoll ist, sind folgende Aspekte zu berücksichtigen:
  • Stickstoffbedarf und Abnahmeprofil (kontinuierlich/sporadisch)
  • Flexibilität der Versorgung
  • Auftreten von Bedarfsschwankungen
  • Erforderliche Reinheit des Stickstoffs
  • Bedarfsentwicklung in den nächsten Jahren
  • Bedarf eines Backup-Tanks und seine Größe
  • Ausreichende Druckluftkapazität
  • Spezifikation der Drucklufterzeugung (z. B. erforderliche Druckstufe)
  • Genügend Stromanschlussleistung
  • Höhe der Strom- und Bereitstellungskosten
  • Kosten der Backup-Versorgung
  • Kosten der Wartung von Drucklufterzeugung und -Aufbereitung
  • Wartungskosten der Erzeugungsanlage
  • Langfristige Vertragsbindung (z. B. 10 Jahre).
Im Vergleich dazu ergeben sich bei der Betrachtung des Stickstofftanks – der konventionellen Versorgungsform für den Lötprozess – deutliche Unterschiede: Für eine Tankversorgung sind lediglich Investitionen für ein passendes Fundament erforderlich. Da der Tank gemietet wird, kann auf eine Bedarfserweiterung schnell und ohne hohe Kosten, zum Beispiel durch einen Tanktausch, reagiert werden. Generell sind die Abnahmemengen sehr flexibel, das heißt, auch bei starken Bedarfsschwankungen und hohen Bedarfsspitzen ist die Versorgung jederzeit gesichert. Ein weiterer Vorteil ist die gleich bleibend hohe Produktqualität mit einer Reinheit von bis zu 99,999 %. So stellt eine Tankversorgung mit Stickstoff häufig die flexiblere und wegen der sehr guten Versorgungsstruktur der Air Liquide in Deutschland auch wirtschaftlich günstigere Form dar.
Aus dem Vergleich dieser Rahmenbedingungen ergibt sich, dass der Einsatz von Vororterzeugungsanlagen dann sinnvoll ist, wenn ein möglichst gleichmäßiger Bedarf (24 Std./Tag) besteht.
Eine typische Anwendung für die Stickstoffeigenerzeugung ist zum Beispiel die Lagerung von feuchtigkeitsempfindlichen Bauteilen unter Stickstoff. Hier werden nur geringe, gleich bleibende Stickstoffströme mit minimalen Bedarfsspitzen benötigt. Der Stickstoff muss sehr trocken, aber nicht von hoher Reinheit sein. Ein weiteres Beispiel sind Selektivlötanlagen, die eine Stickstoffreinheit von mindestens 99,5 % benötigen. Eine Vororterzeugung kann hier unter bestimmten Voraussetzungen wirtschaftlich sinnvoll sein. Der Einsatz für den Reflow- und Wellenlötprozess ist zwar grundsätzlich möglich, allerdings ist dann mit Einschränkungen im Prozess zu rechnen. Daher ist hierbei die Vorort-Erzeugung nur im Einzelfall eine wirtschaftliche Alternative zum Stickstofftank.
Beratung bei der Auswahl der optimalen Versorgung
Die in diesem Beitrag aufgezeigten Aspekte belegen, dass eine kryogene Stickstofferzeugung bei einem passenden Bedarfsprofil unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten einer Tankversorgung gleichwertig oder sogar überlegen sein kann. Für kleinere Bedarfsmengen ist aber die Tankversorgung häufig die flexiblere und wirtschaftlichere Alternative verglichen mit einer Eigenerzeugungsanlage. Druckwechsel- bzw. Membran-Anlagen benötigen eine aufwändige Infrastruktur mit Druckluft, Strom, Wartung und Backup, dennoch können sie eine Alternative zur Tankversorgung darstellen, wenn die Limitierungen bei Reinheit und Flexibilität nur eine sekundäre Rolle spielen. Bei Wahl der optimalen Versorgungsform erhält der Anwender kompetente Unterstützung durch die Fachleute des Unternehmens.
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