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Kleine Kanten, große Wirkung

Die Metallisierung der dritten Dimension der Leiterplatte revolutioniert die Baugruppen
Kleine Kanten, große Wirkung

Man sollte erwarten, dass längst alles durchdacht ist. Zumindest, was die Leiterplattentechnologie betrifft. HDI und Laservias haben wir hinter uns, die MFT vor uns, aber das ist letztlich alles nur Mechanik. Kleiner, feiner, preiswerter sind die Maximen der Leiterplattentechnologie. Wer spricht vor diesem Hintergrund von sensationellen Ergebnissen, die sich für die elektrophysikalischen Eigenschaften von Leiterplatten ergeben?

Ilfa Feinstleitertechnik, Hannover

Manchmal sind Lösungen simpel und die Frage ist erlaubt, warum niemand eher darauf gekommen ist. Wahrscheinlich haben die Philosophen unter den Kryptografen Recht, die meinen, „dass nichts so verborgen ist wie das Offensichtliche“. Wer täglich mit Leiterplatten umgeht, weiß, dass es eine „Bestückungsseite“ und eine „Lötseite“ gibt, manchmal auch „TopLayer“ und „BottomLayer“ oder „Primärseite“ und „Sekundärseite“ genannt. Hat eine Leiterplatte noch mehr Ebenen, dann werden auch diese akribisch und zweifelsfrei durchgezählt und bekommen einen Namen.
Die dritte Dimension der Leiterplatte, die umlaufende Kante, hat keinen Namen. Für die Kante hat sich bisher kaum jemand interessiert. Das wird sich
künftig ändern.
Der Einfluss der Kantenkontaktierung
Eine Baugruppe funktioniert unter EMV-Aspekten stabil, wenn sie keine eigene Störstrahlung abgibt (Emission) und wenn sie nicht auf Störungen durch fremde Baugruppen (Immission) reagiert. Technisch gesehen ergeben sich diese Störungen durch die Signalübertragung zwischen den Komponenten einer Baugruppe oder zwischen mehreren Baugruppen eines Gerätesystems. Die zielgerichtete Signalübertragung auf komplexen Multilayer-systemen findet mittels der Leiterbahnen statt. Die Stromversorgung erfolgt über flächige Ebenen. Berücksichtigt werden muss, dass für jede Signalübertragung natürlich auch eine Rückleitung vorhanden sein muss (die sogenannte GND-Plane), und dass der Informationstransport nicht in zweidimensionalen Paketen, sondern in dreidimensionalen elektromagnetischen Feldern stattfindet. Damit ist jede Baugruppe (und jede Leiterplatte) ein gigantischer elektronischer Mikrokosmos mit einer kaum vorstellbaren Ereignisvielfalt auf kleinstem Raum.
Hier liegt der Schlüssel für eine erweiterte Strategie zur Erlangung der EMV-Stabilität. Der Aufbau eines Multilayers besteht in der Übereinanderschichtung von Signallagen und Powerplanes. Beim Betrieb einer Baugruppe wird erzeugte, aber nicht benötigte Energie über den Kantenbereich der Powerplanes abgestrahlt. Das Schaltungskonzept bemüht sich, diese Effekte zu kompensieren, beispielsweise durch die Signalterminierung, durch definierte Leitungseigenschaften (Impedanz) oder durch hochkapazitive MultiPowerSysteme (= MPS). Der Erfolg dieser linearen Signalübertragung kann nicht vollständig sein. Es fehlt eine effektive Kontrolle der elektromagnetischen Felder im dreidimensionalen Raum der Leiterplatte. Eine Kontrolle kann jedoch erreicht werden, wenn eine Kompartimentierung der Feldbereiche auf und in einer Leiterplatte stattfindet. Im Prinzip kann diese Kompartimentierung durch eine strukturierte Abschirmung erfolgen.
Die Analyse eines Multilayer-Aufbaus ergibt die einfache Erkenntnis, dass jede Lage rechtwinklig an der Kante der Leiterplatte endet. Damit ist die Aufgabe definiert: Die Kontrolle der dreidimensionalen elektromagnetischen Räume auf einer Leiterplatte ergibt sich durch die Abschirmung an der Kante der Leiterplatte. Die Prognose ist, dass sich dadurch das EMV-Verhalten einer Leiterplatte/Baugruppe erheblich verbessert.
Das Kontaktieren von Leiterplatten
Um die Funktion der Abschirmung einschätzen zu können, muss die galvanotechnische Kontaktierung erläutert werden. Der Prozess-Schritt des Kontaktierens ist elementar für die Herstellung von Leiterplatten. Die galvanotechnische Verbindung mehrerer Ebenen einer Leiterplatte erfolgt an der Innenwandung von Bohrungen vermittels eines kathodisch-anodischen Verfahrens zur Kupferabscheidung. Topologisch gesehen gehört die Innenwandung einer Bohrung zur Oberfläche der Leiterplatte. Die galvanotechnische Kontaktierung führt grundsätzlich zu einer Oberfläche und kann auf unterschiedlichste Art durch Bohrungen, Schlitze oder Fräsungen modifiziert werden.
Soll die spätere Leiterplattenkante metallisiert werden, dann ergibt sich für die Herstellung der Leiterplatte vornehmlich eine metallische Abscheidung auf der Leiterplattenoberfläche. So darf die zu metallisierende Kontur nicht (wie üblich) erst in einem der letzten Arbeitsschritte gefertigt werden, sondern muss bereits vor dem Kontaktieren ausgeführt worden sein. Für die Bearbeitung der Kontur empfehlen sich Fräswerkzeuge. Mit diesen Werkzeugen sind gerade oder runde Konturen problemlos ausführbar. Es können Innenausschnitte und/oder Teilbereiche der Kontur strukturiert werden. Die Konturfräsung kann die Kante über die gesamte Dicke der Leiterplatte freistellen. Es sind aber auch kontaktierbare Niveaufräsungen machbar, die nur eine vorgegebene Solltiefe freistellen. Bei umlaufender Kantenkontaktierung muss beachtet werden, dass für die weiteren Fertigungsschritte der Leiterplatte 1 bis 2 mm breite Haltestege zum Produktionsnutzen bleiben müssen, die ohne Weiteres nicht kontaktiert werden können.
Die Kanten aller kontaktierten Konturfräsungen haben auf der fertigen Leiterplatte die gleiche galvanische Endoberfläche wie die eigentliche Leiterplatte auch (Bild 1). Die Fertigungskosten für die Kantenkontaktierung sind gering. Jeder Hersteller von kontaktierten Leiterplatten verfügt über einen Galvanoautomaten und eine Fräsmaschine. Es sind also keine zusätzlichen Investitionen in Maschinen oder Prozesse erforderlich. Lediglich in den Fertigungsabläufen muss eine Fallunterscheidung nach „Kantenkontaktierung: ja/nein“ möglich sein.
Entwärmung
Ursprünglich war ein kontrollierteres EMV-Verhalten die Motivation für die Kantenkontaktierung. Es war bald offensichtlich, dass auch die aktive Entwärmung einer Leiterplatte bei kontaktierten Kanten deutlich besser ist. Die Entwicklung immer leistungsfähigerer Elektronik auf immer kleinerem Raum führt zwangsläufig zu Wärmeproblemen. Die Ableitung der Wärme durch zusätzliche Maßnahmen (Kühlkörper, Gehäuse) ist aufwendig und verteuert die Gerätekosten.
Eines der strategischen Ziele für das CAD-Layout und die Baugruppenkonstruktion muss deshalb die Integration der Entwärmung in das Multilayersystem sein. Zusätzlich zu diversen konstruktiven Eigenschaften eines Multilayers (Dickkupferschichten, MPS) muss das Leiterbild in die Entwärmung einbezogen werden. Es ergibt sich eine Kantenfläche von 7,80 Quadratzentimetern, eine Nettofläche, die heute bei kompakten Layouts auf den Außenlagen einer Leiterplatte kaum für die Entwärmung freigehalten werden kann. Ergänzend muss die Qualität der Entwärmung über die Kontaktierung der Leiterplattenkante bewertet werden. Eine kompakte Fläche auf einer Leiterplattenseite hat nie die Wärmespreizung und Wärmeabstrahlung wie ein um die Kante laufendes flächiges Band (Bild 2). Die Bauteil-Industrie hat bereits akzeptiert, dass mit der Kantenkontaktierung im Prinzip auch ein Vorteil für die Signalintegrität bei der Signalübergabe von der Baugruppe an die Peripherie entsteht.
Für jedes anspruchsvolle elektronische System (Beispiel: LVDS, High-Speed) ist die Schnittstelle von der Baugruppe zum Kabel und/oder zum Stecker eine Schwachstelle. Hier fehlt für wenige Millimeter auf der Strecke von der Leiterplattenkante bis zum Kabel die Abschirmung oder der durchgehend zuverlässige Massebezug für die Signalübertragung. Deutliche Störungen der Signalqualität können die Folge sein. Die Signalintegrität an dieser Schnittstelle kann sichergestellt werden, wenn Leiterplatte, Stecker und Kabel eine funktionelle Einheit bilden. Diese Aufgabe wird mit Steckern gelöst, die auf die kontaktierte Kante einer Leiterplatte aufgesetzt werden. Im oberen und unteren Bereich des Steckers erfolgt die Kontaktübergabe der differenziellen Signale an die obere und untere Seite der Leiterplatte. Im Mittenbereich hat der Stecker eine metallische Trennfläche, die gleichzeitig als Referenzplane dient. Rückseitig ist diese Trennfläche mit der partiell metallisierten Kante der Leiterplatte verbunden (Bild 3). Im Idealfall sieht dadurch jedes Signal vom Kabel über den Stecker bis zum Eingangsbaustein auf der Leiterplatte ein homogenes elektromagnetisches Umfeld.
Fazit
Die Kantenkontaktierung (oder auch Kantenmetallisierung) bringt für Baugruppen mit mittlerem bis hohem Anspruch an EMV, SI und Entwärmung deutlich messbare Vorteile bei vergleichsweise vernachlässigbaren Kosten. Die CPU „Meltemi“ von Unitel ist mit Berücksichtigung der hier beschriebenen technischen Eigenschaften von Herrn Eigelsreiter konstruiert worden. Die Praxis hat bewiesen, dass die Theorie sich umsetzen lässt und funktioniert. Die EMV-Stabilität von „Meltemi“ ist beeindruckend. Und das Zitat aus dem Prüflabor: „Die Sonde muss defekt sein. Ich messe nichts“ ist bereits legendär.
SMT, Stand 9-210
EPP 431
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