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Man kann nicht alles haben. Oder doch?

Über die neue Generation von bleifreien Legierungen
Man kann nicht alles haben. Oder doch?

Die EU-Richtlinien RoHS I von 2003, RoHS II von 2013 regeln in der Europäischen Union die Verwendung von Blei und anderen giftigen Stoffen, wie Quecksilber und hexavalentes Chrom. Darunter fallen auch bleihaltige Lotverbindungen, die seither nicht mehr oder nur in bestimmten Ausnahmefällen verarbeitet werden dürfen. Das Problem war lange Zeit, dass die erste Generation der bleifreien Lotverbindungen die Performance von bleihaltigen Legierungen nicht erreicht hat. Doch es hat sich viel getan in den letzten Jahren.

Almit GmbH, Michelstadt

Blei (Pb) ist ein giftiges Schwermetall, das nicht nur die Umwelt belastet, sondern kann sich auch im Körper von Menschen, vor allem in Knochen, Zähnen und im Gehirn ansammeln und zu Gesundheitsschädigungen führen. Noch 1998 wurden in Deutschland 20.000 Tonnen Blei pro Jahr in Loten verarbeitet. Heute ist der Verbrauch von Blei auf ein Minimum reduziert und im Normalfall ist die Verwendung, z.B. in der Konsumelektronik, durch die RoHS-Richtlinien ganz verboten. Den Gesundheitsrisiken gegenüber standen die ausgezeichneten Eigenschaften von Blei als Bestandteil von Legierungen. Blei ist korrosionsbeständig, verfügt über hohe Dichte, ist einfach verarbeitbar und garantiert besondere Festigkeit. Diese Eigenschaften haben Zinn-Blei-Lote viele Jahrzehnte zu einem festen, zuverlässigen Bestandteil in der Fertigung weltweit gemacht. Wie sollte also auf die Verwendung von Blei verzichtet werden können?
Die Suche nach den Alternativen
Gezwungen durch die rechtlichen Vorgaben, mussten für die bewährten Zinn-Blei-Lote (SnPb) alternative Lösungen gefunden werden. Alternative Lösungen, die über die gleichen guten Eigenschaften wie die nun verbotenen bleihaltigen Legierungen verfügen. Das ist leichter gesagt, als getan. Das Grundproblem bei bleifreien Legierungen ist das Fehlen des „weichen“ Bestandteils Blei in den Legierungen. Bleifrei-Lötstellen verformen sich jedoch bei Belastungen weniger und die Stresslast an den Lötstellen nimmt zu. Dadurch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Mikrorissen kommt. Mikrorisse sind aber einer der Hauptgründe für defekte Lötstellen und führen letztendlich zu Materialermüdungen.
Die erste Generation erfüllt die Erwartungen nicht
Die bleifreien Legierungen, die nach dem Inkrafttreten der RoHS-Richtlinien auf dem Markt angeboten wurden, nennen wir sie die erste Generation, erfüllten die Erwartungen der Verwender nicht. Die Problematik dieser Legierungen, wie zum Beispiel SAC305 und SAC0307 ist allgemein bekannt: Einerseits erreichen sie in keinem Punkt die Performance der früheren bleihaltigen Legierungen. Andererseits macht der hohe Silbergehalt, bei SAC305 sind es 3 %, diese Legierungen sehr teuer. Welche Bedeutung das für die Verwender hat, wird klar, wenn man einen Blick auf die Preisentwicklung von Silber in den letzten Jahren wirft. Kostete 1 Kilogramm Silber um die Jahrtausendwende noch durchschnittlich 156 Euro, so mussten 2015 bereits im Schnitt 454 Euro für dieselbe Menge bezahlt werden. Für Controller in Unternehmen sicher ein Horror-Szenario.
Eine neue Generation, neue Möglichkeiten
Die Zeit der ersten Generation von bleifreien Legierungen, als SAC noch als alternativlos angesehen wurde, ist vorbei. Heute gibt es bleifreie Alternativen, die über die gleichen Eigenschaften wie bleihaltige Legierungen verfügen, ja, sie sogar übertreffen. Hier sollte in erster Linie die SJM-Serie genannt werden. Die Abkürzung SJM steht für Strong Joint Metal, was bereits einen ersten Hinweis auf die besondere Leistungsfähigkeit dieser Legierungen gibt. Das Besondere an den Legierungen der SJM-Serie: Sie verfügen über Eigenschaften, die man bisher für nicht vereinbar hielt. Trotz des sehr niedrigen Silbergehaltes – und damit auch ein sehr viel günstigerer Preis – sind SJM-Legierungen sehr zuverlässig und haben eine hervorragende Zug- und Reissfestigkeit. Die Aussage „Man kann nicht alles haben.“ ist mit der SJM-Serie widerlegt. Man kann eben doch.
Das haben in der Zwischenzeit viele Anwender erkannt, darunter auch namhafte Hersteller aus dem Automotive-Bereich, und haben von SAC305 zu SJM-03 gewechselt. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass SJM-03 (Sn-0.3Ag-0.7Cu-2.0Bi) das große Potential hat, eine neue Standard-Legierung zu werden und damit der Nachfolger von SAC305. Das Non-plus-ultra an Festigkeit auch bei sehr hohen Temperaturwechseln ist allerdings eine andere Legierung aus der SJM-Serie: SJM-40 (Sn-4.0Ag-2.0Bi-3.0Sb) mit einem höheren Silberanteil.
Zukunft durch Forschung und Innovation
Die Fortschritte, die in den letzten Jahren bei bleifreien niedrig-silberhaltigen Legierungen gemacht wurden, sind auf intensive Forschungen und neue, innovative Ansätze zurückzuführen. Eine sehr wichtige Rolle spielt dabei ein bekannter Stoff: Bismut, manchmal auch als Wismut bezeichnet. Bismut ist ein Halbmetall (Elementsystem Bi) und gehört zu der Gruppe der ungiftigen, bzw. sehr wenig giftigen Schwermetalle. Bismut-Legierungen stehen bezüglich Elastizität und Scherfestigkeit einem SnPb-Lot in nichts nach. Die Vorteile, die Bismut beim Erstarrungsprozess für die Rissfestigkeit der Lötstelle bringt, lassen sich leichter fassen, wenn man sich Bismut als Anordnung von Atomen in einem Gitter vorstellt. Beim Erstarren „versetzen“ sich die Atome, was letztendlich zu Rissbildungen führen kann. Vereinfacht gesagt, verhindert Bismut die Versetzung der Atome. Ein weiterer Vorteil von Bismut ist der niedrige Schmelzpunkt, der auch bei sehr hitzeempfindlichen Bauteilen neue Möglichkeiten eröffnet. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass man Bismut als adäquaten und zeitgemäßen Ersatzstoff für Blei sehen kann.
Welche bleifreie Legierung ist jetzt die richtige?
Last but not least: Anwendern stellt sich die Frage, welche bleifreie Legierung ist die richtige für mich und meine Aufgabe? Die Auswahl und Vielfalt ist groß. Also, was ist zu tun um die richtige Entscheidung treffen zu können? Das Maß aller Dinge ist immer noch ein persönliches Gespräch und eine spezifische, kompetente Beratung durch einen Spezialisten auf Hersteller- und Lieferantenseite ist. Spezielle Anforderungen an eine Legierung können nur in einem Gespräch detailliert definiert und dadurch kann eine individuell perfekt abgestimmte Lösung gefunden werden.
SMT Hybrid Packaging, Stand 7-359
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