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Nager IT und Stannol zeigen: Es geht auch fair!

Applikationsbeschreibungen
Nager IT und Stannol zeigen: Es geht auch fair!

Fairer Kaffee und faire Kleidung sind bekannt und werden gekauft. Sozial nachhaltige Elektronik steht hingegen noch ganz am Anfang. Dennoch: Eine fair produzierte Computermaus sowie ausbeutungsfreier Lötdraht für Kleinabnehmer zeigen Alternativen auf.

„Die Lieferkette ist Herausforderung und Messlatte“, fasst Susanne Jordan zusammen. Die 37-jährige Geographin ist der Kopf hinter dem Startup Nager IT und kämpft seit nunmehr sieben Jahren für ihr Herzensanliegen: faire IT. Der Gedanke, dass Computertechnologie auch ohne Ausbeutung ihrer Erschaffer möglich ist, soll in die Köpfe der Menschen. Und die Produkte in die Regale des Einzelhandels. Knapp 6.000 Computermäuse hat das Unternehmen seit 2012 an den Mann bzw. die Frau gebracht. Nicht schlecht, angesichts der ziemlich unverhohlenen Verweigerungshaltung seitens der großen IT-Hersteller.

Doch zurück zur Lieferkette: Selbst ein relativ simples IT-Zubehör wie eine Computermaus verfügt über eine große Zahl an Komponenten und den entsprechenden Produktionsschritten. 100 % fair ist die Maus erst, wenn sämtliche Prozesse menschlicher Arbeit unter fairen Bedingungen passieren. Davon ist auch die Faire Maus noch ein gutes Stück entfernt. „Aber zwei Drittel haben wir. Und Jahr um Jahr wird die Maus fairer“, freut sich Jordan. Potenzielle Anwender der Fairen Maus können sich selbst ein Bild machen: Die Lieferkette ist vollständig aufgedröselt im Internet abrufbar. Grün eingefärbte Komponenten signalisieren Erfolg: Hier sind faire Produktionsbedingungen gesichert. Leuchtet es orange oder rot, gibt es noch was zu tun. 
Grünes Licht gibt es zum Beispiel für die Montage in einer bayerischen Integrationswerkstatt, die Herstellung des Gehäuses aus Biokunststoff, das in Österreich gedrechselte Scrollrad aus Holz und die Kondensatoren aus dem Badischen. Mit zunehmender Fertigungstiefe wird die Beschaffung nachhaltig erzeugter Komponenten jedoch schwieriger. »Mineralien aus sogenannten konfliktfreien Minen sind mittlerweile häufig verfügbar. Doch konfliktfrei hat nicht allzu viel mit den Bedingungen der Minenarbeiter zu tun. „Konfliktfrei“ bedeutet, dass mit dem Erlös des Abbaus keine Kriege finanziert werden, über Gesundheitsschutz, Bezahlung und Arbeitszeiten ist nichts ausgesagt», erläutert Jordan. Und um diese Faktoren steht es generell schlecht in der globalen IT-Fertigung. Nicht erst seit den publik gewordenen Suiziden beim Apple-Zulieferer Foxconn wissen die Konsumenten, dass teure Elektronik nicht unbedingt etwas mit fairen Produktionsbedingungen zu tun haben muss.
Am Beispiel des in beinahe jedem elektronischen Teil verbauten Zinns lässt sich die triste Lage erkennen. Aber auch, was zu deren Aufhellung zu tun ist. Indonesien gilt als weltgrößter Zinnexporteur, die Umweltorganisation Friends of the Earth hat 2012 über die Produktionsbedingungen berichtet. Der Zinnabbau verursacht Umweltzerstörung riesigen Ausmaßes. Wer – wie z.B. Fischer und Landwirte – auf eine intakte Natur angewiesen ist, hat bald keine Wahl mehr, als selbst, oft auf eigene Faust, nach Zinn zu schürfen. Belastende Stäube und Lebensgefahr durch schlecht gesicherte Minen treffen auf eine völlig unzureichende Bezahlung und fehlende Arbeitnehmerrechte. Ausbeuterische Kinderarbeit ist verbreitet. Die Zustandsbeschreibung ist durchaus repräsentativ, aktuell ist es fast unmöglich Zinn aus nachhaltiger Erzeugung zu beziehen.
 Der erste Schritt zu einer Lösung ist jedoch gemacht: Seit November 2015 gibt es in Deutschland fairen Lötdraht zu kaufen. Hinter dem Produkt stecken die Initiative Fairlötet und die Firma Stannol aus Wuppertal. Die Köpfe hinter Fairlötet sind schon länger im Feld der fairen IT aktiv und greifen auch selbst zum Lötkolben. Doch ist der soziale Preis für den weit verbreitenden Werkstoff so hoch? Kontakte wurden geknüpft, eine Umfrage ob des Marktpotenzials fairen Zinns gestartet. Mit der Firma Stannol, einem Hersteller hochwertiger Lötmittel aus Wuppertal, war der ideale Partner gefunden. Der gemeinsam entwickelte Lötdraht besteht zum größten Teil aus Sekundärzinn – wiederaufbereitetes, kupferhaltiges Material aus einem deutschen Industriebetrieb wird um Zinn ergänzt, das mittels Elektrolyse gereinigt wurde. Somit entsteht qualitativ hochwertiger Lötdraht, ohne unter problematischen Bedingungen gewonnener neuen Komponenten. Künftig soll auch das als Flussmittel benötigte Kolofonium aus sozialverträglicher Erzeugung stammen.
Auch die Faire Maus setzt auf das Zinn von Fairlötet – und hat damit ein weiteres grünes Glied der Lieferkette zugefügt. Keine Frage: Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen. Und der Teufel steckt im Detail. Dennoch ist sich Susanne Jordan sicher: Irgendwann wird es sie geben, die komplett faire Maus und auch den komplett fairen Computer. Und wer weiß, vielleicht entdeckt ja doch bald eine der großen IT-Firmen den Charme fairer Produktion und macht die Idee nachhaltiger Elektronik zu der ihren. Fairlötet und die Faire Maus hätten sich selbst abgeschafft. Eine schöne Vorstellung. 
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