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Analyse auftretender Fertigungsfehler

Voraussetzung für den optimalen Einsatz von AOI-Systemen
Analyse auftretender Fertigungsfehler

Mit modernen AOI-Systemen stehen in zunehmendem Maße leis-tungsfähige Hilfsmittel zur Verfügung, um nicht nur die Qualität der gefertigten Baugruppen zu überprüfen, sondern gleichzeitig eine Prozessoptimierung durchzuführen. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf der Ausbeute qualitativ einwandfreier Baugruppen sowie einer kostengünstigen Reparatur fehlerhafter Flachbaugruppen. Diese trivial anmutende Aufgabenstellung birgt jedoch in sich eine hohe Komplexität, da eine Vielzahl von zusätzlichen Parametern als Randbedingung für den effektiven Einsatz von AOI-Systemen zu berücksichtigen sind. Entscheidende Einflüsse sind dabei die Variantenvielfalt der gefertigten Flachbaugruppen, die verarbeiteten Bauelementetypen und deren Lieferqualität sowie der Aufbau und die Organisation der Fertigung. Im nachfolgenden Fachartikel wird die Vorgehensweise für die Auswahl eines AOI-Systems sowie die Bestimmung des optimalen Einsatzortes bei Siemens im Elektronikwerk Karlsruhe (EWK) dargestellt. An diesem Standort werden vorrangig Flachbaugruppen zum Einsatz in Steuerungssystemen gefertigt. Bedingt durch eine große Typenvielfalt an Flachbaugruppen und Bauelementen kommt es dabei zu häufigen Produktwechseln pro Fertigungslinie und Schicht.

Hermann Schmidt, Siemens, Elektronikwerk Karlsruhe; Jens Kokott, Göpel Electronic, Jena

Um den eingangs erwähnten Anspruch des effektiven Einsatzes eines AOI-Sys-tems gerecht zu werden, wurde im EWK mit einer detaillierten Analyse der auftretenden Fertigungsfehler begonnen. Diese wurde in drei Schritte unterteilt:
• Beobachtung des Fertigungsdurchlaufes eines Flachbaugruppentyps,
• Fehlerauswertung anhand mehrerer Flachbaugruppentypen über einen längeren Zeitraum und
• Ermittlung weiterer Fehlerquellen im Fertigungsprozess.
Zur Fehlerauswertung an einer Bestücklinie wurde eine Baugruppe ausgewählt, die das im Elektronikwerk eingesetzte Bauteilespektrum weitestgehend repräsentiert. Die Daten zur Flachbaugruppe:
• Format: (L x B) 146 mm x 260 mm
• Bestückpositionen: 715
• Bauformen von 0603 bis IC-Raster 0,5 Pitch,
• BGA und Sonder-Bauformen wie Sicherungshalter, Spulen und Buchsenleiste.
Zur Analyse wurde jede Leiterplatte nummeriert und durch den gesamten Fertigungsprozess verfolgt. Prozessstörungen während der Fertigung wurden erfasst, sowie die Ablieferqualität am Flying-Probe-Tester festgestellt und dokumentiert. Anhand dieser Untersuchungen konnten folgende Fehlertypen festgestellt werden:
Bei Flachbaugruppen wurde der Lotpastendruck jeweils als ordnungsgemäß bewertet, beim Bestücken wurden keine Vorkommnisse festgestellt und auch die manuelle, visuelle Kontrolle nach dem Bestücken konnte nichts beanstanden. Am Flying-Probe-Tester wurde jedoch das Fehlen von Bauteilen festgestellt.
Es war bei einer Baugruppe der Lotpastendruck in Ordnung, das Bestücken brachte keine Vorkommnisse hervor und auch die visuelle Kontrolle nach dem Bestücken konnte nichts beanstanden. Beim Flying-Probe-Test wurde eine offene Lötstelle festgestellt, deren Ursache Bestückversatz war.
Es konnten auch durch die manuelle, visuelle Kontrolle nach dem Bestückautomaten durch den kontrollierenden Mitarbeiter Fehler festgestellt werden, wie z.B. der Versatz eines Bauelementes.
Aus dem Ergebnis dieses Versuchs wurden folgende Erkenntnisse gewonnen:
• Es entstehen Fehler, ohne dass während des Fertigungsprozesses eine Störung beobachtet wurde und der Mitarbeiter, der das Bestückergebnis kontrolliert, kann bei weitem nicht alle Fehler erkennen.
Im zweiten Schritt wurden über einen längeren Zeitraum Untersuchungen mit folgendem Ziel durchgeführt:
• Welche Fehler kann man mit einem AOI-System frühzeitig erkennen?
• Wieviele Fehler könnte man vermeiden?
Ausgewertet wurde das Fehleraufkommen nach dem SMT-Prozess an allen folgenden Prüfstufen. Die Auswertung dieser Untersuchungen führt zu folgenden Rückschlüssen: Etwa 2/3 der auftretenden SMT-Fehler können mit einem AOI-System bei dem Einsatz vor dem Reflow-Ofen vermieden werden. Ein weiteres Senken dieser Fehlerrate ergibt sich zusätzlich durch das Erkennen von versetzten Bauelementen, welche in Folge Lötfehler verursachen (sowohl offene Lötstellen als auch Kurzschlüsse). Nicht berücksichtigt wurde der Umfang an Nacharbeit durch fehlerhaft aufgerüstete oder nachgelegte Bauteile, was meist zu Serienfehlern führt (beispielsweise bei Anlieferform Tray und Stick).
Ermittlung weiterer Fehlerquellen im Fertigungsprozess
Im Sinne der ganzheitlichen Betrachtung des Fertigungsprozesses wurden weitere Fehlereinflüsse gesucht und detailliert analysiert. Sie können in drei Gruppen zusammengefasst werden und sind nachfolgend dargestellt: Bauelementequalität (zum Beispiel Oberflächenbeschaffenheit), Einflüsse des Bestückautomaten und Aufrüstung/Anlieferung von Bauelementen.
Bauelementequalität: Die Voraussetzung für ein gutes Bestückergebnis in Bezug auf Versatz ist in erster Linie die sichere Haftung eines Bauelements an der Pipette des Bestückautomaten. Daran maßgeblich beteiligt ist die Oberflächenbeschaffenheit der Bauteile im Ansaugbereich der Pipette. So ist in Bild 1 zu erkennen, dass der Zinnauftrag an den Anschlusskappen einen zu großen Abstand zur Bauteiloberfläche verursacht und damit die sichere Haftung verhindert. Eine ähnliche Konstellation ist in Bild 2 dargestellt, wobei in diesem Fall die Wölbung der Oberfläche den entscheidenden Fehleranteil liefert. Betroffen davon sind prinzipiell alle Bauteiltypen.
Einflüsse des Bestückautomaten: Durch den Dauerbetrieb der Bestücker kommt es zu Verschleiß an Komponenten. Diese sind im allgemeinen auf folgende Punkte zurückzuführen: Beschädigte oder verschlissene Pipetten (Bild 3) und nachlassendes Vakuum durch Verschmutzung (Bild 4). Da diese Punkte maßgeblich von der Wartung und somit von subjektiven Einflüssen abhängig sind, wird ohne geeignete Kontrollmechanismen nie ein vollständiger Ausschluss dieser Punkte möglich sein.
Einflüsse durch fehlerhafte Anlieferung bzw. Aufrüstung von Bauelementen: Eine weitere Fehlerquelle kann durch die Zufuhr der Bauteiltypen am Bestückautomaten entstehen. Hierbei ist entscheidend, dass sich die jeweils richtige Bauteilsachnummer auf dem richtigen Zuführmodul befindet. Die Gefahr der Verwechslung, z.B. bei häufigen Rüstwechsel, ist dabei besonders groß wenn es sich um gleiche Bauformen und evtl. sogar ähnliche Bezeichnungen handelt. Prinzipiell sind an dieser Stelle folgende Fehlerquellen möglich:
• Materialnummer des Bauteils wurde verwechselt (z.B. bei Sticks),
• nur ein Teil der Bauteile liegt seitenrichtig im Tray,
• Bauteil liegt um 90° verdreht im Tray,
• Gurt (32 mm und größer) seitenverkehrt auf der Rolle,
• Bauteile fehlerhaft nachgefüllt (WPW, Linearförderer) sowie
• Bauteil falsch gegurtet.
Besonders gelaserte Beschriftungen auf IC-Bauelementen stellen dabei für den Mitarbeiter eine hohe Schwierigkeit bei der Erkennung des richtigen Bauteiltyps dar. Da es sich im vorliegenden Fall um BGAs auf mehrlagigen Leiterplatten handelt, ist die Reparatur nach dem Löten zudem noch schwierig, aufwändig und sehr kostenintensiv. Eine frühzeitige Erkennung ist somit zwingend notwendig.
Anforderungen an ein AOI-System
In den vorangegangenen Abschnitten wurden die einzelnen Fehlermechanismen während eines Fertigungsablaufs dargestellt, welche zwar äußerst vielschichtig sind, aber bezogen auf die Erkennung durch ein AOI-System in folgenden Punkten zusammengefasst werden können:
• Bauteil nicht vorhanden,
• Bauteil versetzt,
• Bauteil verpolt und
• falscher Bauteiltyp.
Natürlich müssen dabei auch Randbedingungen wie schnelle Programmerstellung, hohe Messgenauigkeit, geringer Fehlerschlupf, geringer Anteil an Pseudofehlern, hohe Flexibilität bei Programmwechsel und Prüfgeschwindigkeit vom ausgewählten AOI-System eingehalten werden. Das Elektronikwerk Karlsruhe hat sich bei der Auswahl der AOI-Systeme für die Opticon-Serie der Firma Göpel Electronic entschieden. Die Systeme stehen als Opticon Basic-Line (für die manuelle Zufuhr der Baugruppen), als Opticon Speed-Line (für die Inline-Integration im Fertigungsprozess) und seit neuestem auch als Opticon Advanced-Line (leistungsfähigstes System für Lötstellenkontrolle) zur Verfügung (Bild 5). Mit den Systemen ist im vorliegenden Einsatzfall die Kontrolle von Bauelementen auf Anwesenheit, Lagerichtigkeit und Polarität möglich. Für eine mögliche Integration nach dem Lötprozess kann zusätzlich die Inspektion auf Zinnbrücken sowie fehlerhafte Lötstellen erfolgen. Optional steht weiterhin ein Laserhöhenmess-system zur Verfügung, das sich durch seine Messgenauigkeit und Unempfindlichkeit gegenüber kritischen Oberflächen neben direkten Höhenmessungen an Bauelementen besonders auch für Koplanaritätsmessungen an BGAs eignet.
Aufgrund der fertigungsorientierten Bibliotheksstruktur mit komfortabler Integrationsmöglichkeit für „Second-Source“-Bauelemente besteht mit diesem System die Möglichkeit, Prüfprogramme in kürzester Zeit unter Verwendung von Bestückdaten bei geringstem Debug-Aufwand zu erstellen. Eine besondere Leistungsfähigkeit des Systems liegt in der Erkennung der Bauteilbezeichnung durch die integrierte Klarschrift-Lesefunktion (OCR). In Kombination mit einer entwickelten Spezialbeleuchtung ist selbst das Lesen der schwer erkennbaren laserbeschrifteten IC-Bauelemente möglich (Bild 6 und 7).
Strategie für AOI-Einsatz im EWK
Auf Grund der Fehlerauswertung fiel die Entscheidung, die AOI-Systeme nach dem Bestücken und vor dem Löten zu installieren. Mit diesem Standort sind folgende Vorteile verbunden: Schnelle Rückkopplung zum Ursprung der auslösenden Ursache und einfache und kostengünstige Fehlerbeseitigung aufgrund der noch nicht gelöteten Bauteile. Die Konstellation innerhalb der Fertigungslinie sieht wie folgt aus:
• Integration eines Leiterplattenpuffers nach dem letzten Bestückautomat,
• anschließende Montagestrecke für die Handbestückung (Nachbestücken von Bauteilen, die nicht von den Bestückern verarbeitet werden können),
• AOI-System Opticon zum Bestücktest der Flachbaugruppen,
• Reparaturstrecke für die als fehlerhaft erkannten Baugruppen auf Basis der Opticon-Reparaturplatzsoftware und
• Übergabe der Flachbaugruppe an den Lötofen.
Zusätzlich wird ein separates AOI-System vom Typ Opticon Basic-Line genutzt, um die Prüfprogrammerstellung inklusive Debug-Vorgang losgelöst von den Fertigungslinien durchzuführen. Damit ist am eigentlichen Prüfsystem nur noch das Laden des erstellten Programms nötig. Weiterhin wird das Stand-alone-System auch für die Prüfung von Erstmustern und Kleinstserien genutzt.
Resultate für die Fertigungsqualität
Der Einsatz der AOI-Systeme bewirkte einen signifikanten Fehlerrückgang der an einem Flying-Probe-Tester geprüften Flachbaugruppen, was eine enorme Verminderung des Reparaturaufwands mit sich brachte. Nach letzten Auswertungen verringerte sich der Fehleranteil einzelner Bauformen an den Gesamtfehlern um ca. Faktor 10. Als positive Nebenerscheinung ergibt sich eine wesentlich verbesserte Prozessstabilität der Fertigungslinie und eine enorm reduzierte Nacharbeit durch die frühzeitige Fehlererkennung, basierend auf der kurzen Qualitätsregelschleife.
Auf Grundlage dieser Situation wird in der Testphilosophie davon ausgegangen, dass die verbleibenden Restfehler durch den Flying-Probe-Test und/oder den Funktionstest erkannt werden. Der Aufwand, diesen Fehleranteil beispielsweise durch ein AOI-System nach dem Löten zu detektieren, steht dabei in keinerlei wirtschaftlichen Verhältnis zu den entstehenden Mehrkosten wie etwa dem hö-heren Anschaffungspreis und den laufenden Kosten zur Programmpflege, um den Anteil an Pseudofehlern/Schlupf gering zu halten.
Zusammenfassung
Abschließend kann festgestellt werden, dass Bestückfehler unterschiedliche Ursachen haben können, vorrangig jedoch von der Bauteilbeschaffenheit und dem Allgemeinzustand des Bestückers abhängen. Sie sind manuell nur sehr aufwändig erfassbar, da sie oftmals schwer erkennbar sind und sporadisch oder als Serienfehler auftreten können. Zusätzlich können solche Fehler im Fertigungsprozess Lötfehler bewirken. Die daraus entstehenden fehlerhaften Baugruppen würden zu hohen Prüf- und Reparaturkosten führen, sodass insgesamt die Erkennung der Fehler am Ort ihrer Entstehung am sinnvollsten erscheint. Auf Basis dieses Konzeptes sind bei Siemens im Elektronikwerk Karlsruhe vier AOI-Systeme vom Typ Opticon nach den Bestückautomaten sowie zusätzlich ein Stand-alone-System zur Programmerstellung ausserhalb der Linien installiert worden.
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