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Antwort durch Analysen

Auswirkungen des Kühlgefälles beim bleifreien Reflow
Antwort durch Analysen

Aufgrund des fortlaufenden Wechsels zu bleifreier SMT-Fertigung tauchen Bedenken bezüglich des Kühlgefälles und dessen Auswirkung auf die Lötanschlüsse auf. Durch die höheren Spitzentemperaturen ist das Kühlgefälle natürlich aggressiver, wenn es nicht richtig geregelt wird. Die Auswirkungen variabler Kühlgefälle sollten beim Übergang zur bleifreien Montage berücksichtigt werden.

Marc Apell, Tad Formella, Alden Johnson, Speedline Technologies, Franklin (USA)

Neben dem Einfluss des variablen Kühlgefälles auf bleifreie Lötanschlüsse wird das kontrollierte Testen von bleifreien Baugruppen diskutiert, die unterschiedlichen Kühlgefällen in Luft- als auch Stickstoffumgebung ausgesetzt sind. Wir untersuchen Lötanschlüsse auf ihre Körnungsstruktur unter den verschiedenen Bedingungen aggressiver, mittlerer und milder Kühlgefälle. Abschließend werden die Ergebnisse dieser Untersuchung zusammen mit Empfehlungen zu Kühlgefällen und Optionen eines Reflowsystems dargestellt, mit denen das Reflow-Kühlprofil am besten unterstützt wird.
Übergang zu Bleifrei
Der Übergang zu bleifreien Elektronikbaugruppen wirft eine Vielzahl von Fragen auf, die man im Reflow mit herkömmlichem bleihaltigem SMT-Material als gegeben hinnahm. Der Wechsel fordert die Industrie erneut dazu auf, all die Fragen anzugehen, die auftraten, als der SMT-Reflow erstmals eingeführt wurde.
Ein kritischer Schritt beim Wechsel zur bleifreien Montage ist der Reflow-Prozess. Die erforderlichen höheren Spitzentemperaturen des Materials kommen nahe an die kritischen Spitzentemperaturen heran, denen Bauteile und Leiterplatten einer Baugruppe widerstehen können. Die Wärmeaufnahme und -abgabe der unterschiedlichen verwendeten Massen und Materialien führen zu verschiedenen Wärmeausdehnungskoeffizienten (TCE, thermal coefficient of expansion) und können in Problemen bezüglich der Qualität und Langzeitzuverlässigkeit des Endprodukts resultieren. Besondere Sorgfalt ist erforderlich beim Erstellen ordnungsgemäßer Lötspezifikationen, die gleichzeitig Belastung und Beschädigung der Baugruppe in Grenzen halten.
Test-Leiterplatte
Die Dummy-Testleiterplatten, die für die Untersuchungen verwendet wurden, sind FR4-Laminate, 0,062 stark mit Silber und Gold als Leiterplatten-Finish, siehe Bild 1. Die ausgewählten Leiterplatten-Finishes waren nicht Mittelpunkt des Experiments; sie stellen eine Repräsentation häufig benutzter Oberflächenbehandlungen in der bleifreien Elektronikfertigung dar.
Das verwendete bleifreie Material ist ein SAC-Lot 305 von einem globalen Materiallieferanten. Die Profile wurden anhand der empfohlenen Parameter des Lieferanten entwickelt. Bemerkenswert in den Materialspezifikationen des Lieferanten ist ein aggressives Kühlgefälle von 3 bis 7 °C/Sekunde von der Spitzentemperatur, wobei das aggressivste Kühlgefälle vorzuziehen ist. Das ist eine interessante Tatsache, besonders da andere Materiallieferanten das Kühlgefälle mit 2 bis 4 °C/Sekunde von der Spitzentemperatur angeben.
Der Fokus der Untersuchung war die Bestimmung der Auswirkungen verschiedener, in Grad Celsius pro Sekunde von der Spitzentemperatur gemessenen Kühlgefälle auf die Lötanschlussstruktur einer Baugruppe. Insgesamt wurden auf einem OmniExcel-10-Reflowofen mit Stickstoffoption sieben Profile entwickelt. Aus den sieben Profilen wurden drei ausgewählt, die unterschiedliche Durchschnittsgefälle von 6,31 °C, 3,91 °C und 1,27 °C pro Sekunde repräsentieren.
Nach Erstellung der Profile wurden zwölf Samples gefertigt, sechs Leiterplatten mit Gold- und sechs mit Silber-Finish. Die Samples wurden dann im Ofen mit unterschiedlichen Kühlgefällen in Luft- und Stickstoffumgebung verarbeitet. So entstanden 1zwölf Samples, die alle mit verschiedenen Parametern verarbeitet wurden.
Montage und Vorbereitung des Samples
Nach Verarbeitung der Leiterplatten wurden Samples aus den 0402-Widerständen aus der Leiterplatte ausgeschnitten, um einen Querschnitt der Lötanschlüsse zu erhalten. Jedes Sample wurde montiert und poliert, so dass vergrößerte Abbildungen der Lötanschlüsse und ihrer Körnungsstruktur analysiert werden können. Bild 2 zeigt die Montage des Querschnitt-Samples, bereit zum Schleifen, Polieren und Ätzen.
Die Samples wurden zum Schleifen und Ätzen und zur Bildanalyse an Buehler Ltd. gesandt. Das Schleifen und Polieren erfolgte mit einer Multi-Schritt-Vorbereitungsmethode. Zunächst wurden die Samples mit 400er-Schleifpapier und Wasser auf die gewünschte Höhe geschliffen. Dann wurden 9 mm und 3 mm Poliermittel zusammen mit einem „Metadi“-Schmiermittel eingesetzt. Für den letzten Vorbereitungsschritt wurde „Mastermet“-Schleifmittel benutzt.
Nachdem alle Samples dementsprechend vorbereitet worden waren, durchliefen sie ein Ätzverfahren. Obwohl dieser Ätzprozess bei allen Samples angewendet wurde, war er nicht bei allen erfolgreich. Der Prozess basierte auf einer 2-%-NitalLösung, in die die Samples eingetaucht wurden. Der Ätzprozess ermöglicht eine sehr saubere Oberfläche für die Bildauswahl und Analyse. Pro Sample wurde ein Bild mit 50-facher oder 100-facher Vergrößerung gemacht.
Sample-Analyse
Die Samples wurden auf die Körnungsstruktur der Lötanschlüsse hin analysiert, um die Auswirkungen der Reflow-Umgebung und der unterschiedlichen Kühlgefälle zu bestimmen. Da die Gold- und Silber-Oberflächenbehandlung der Leiterplatten nicht Hauptaspekt dieser Untersuchung war, wurden keine weiteren Untersuchungen zu den Auswirkungen der Finishes auf die Lötanschlussstruktur durchgeführt.
Der erste Vergleich wurde zwischen Leiterplatten mit der gleichen Oberflächenbehandlung und unter gleicher Reflow-Umgebung (Luft oder Stickstoff), jedoch einmal mit dem größten Kühlgefälle und einmal mit einem weniger aggressiven Kühlgefälle durchgeführt. Dies wird in den Bildern 3 und 4 gezeigt. Bild 3 mit dem aggressiveren Kühlgefälle zeigt: Die leuchtenden, Zinn-reichen Formen haben zufällige Größen und Formen. Die weniger leuchtenden Zinn-reichen Formen sind im Lötanschluss diffuser und weisen eine feinere Dendrit-Größe auf. Das Ergebnis war zu erwarten: Bei schnellerer Abkühlung erstarrt das Material, bevor eine volle Diffusion erzielt wird. In Bild 4 erscheinen die leuchtenden, Zinn-reichen Formen länger und geschichtet. Dunklere, eutektische Formen zeigen eine längere, anwachsende Formierung mit körniger Struktur.
Zur Bestimmung der Körnungsstruktur und -größe wurde ein weniger aggressives, mittleres Kühlgefälle untersucht. In Bezug auf den Lötanschluss ist interessant, dass sich in dem dunkleren, eutektischen Material körnige, Nadel-ähnliche Strukturformen neben den feineren Strukturen bilden, die man bei sehr aggressiven Kühlgefällen findet. Dieses Sample zeigt außerdem die Formierung der längeren Schichtungen der leuchtenden, Zinn-reichen Formen (Bild 5).
Während der Ergebnisuntersuchung wurde ein Vergleich zwischen den Lötanschlüssen gezogen, die bei gleichem Kühlgefälle von –1,27 °C/s unter Luft und unter Stickstoff gelötet wurden. Die Samples waren poliert und 50-fach vergrößert. Während des Vergleichs war festzustellen, dass die Luft-Samples etwas feinere, dunklere eutektische Formen mit mehr Diffusion aufweisen, obwohl das Kühlgefälle sehr mild war. Die Stickstoff-Samples zeigten zwar sehr ähnliche Ergebnisse, die dunkleren eutektischen Formen hatten allerdings eine geringfügig lineare Form. Obwohl interessant, sind die Ergebnisse mit polierten Samples jedoch als nicht eindeutig anzusehen. Für weitere Analysen werden sauber geätzte Samples mit 100-facher Vergrößerung verwendet. Bemerkenswert ist auch, dass frühere, von Speedline Technologies durchgeführte Untersuchungen gezeigt haben, dass Stickstoff die Ausbreitung des bleifreien Materials zwar erhöht, aber einen unbedeutenden Effekt auf die Stärke und Struktur der Lötanschlüsse hat.
Fazit
Die folgenden Schlussfolgerungen konnten aus dem Experiment und der Analyse der Samples gezogen werden:
  • Aggressive Kühlgefälle haben kleinere, diffuse Zinn-reiche Dendrite in einem feineren Mix eutektischer Formen mit Körnungsstruktur zur Folge. Daraus resultiert ein gleichförmigerer Materialmix, wenn es erstarrt ist.
  • Milde bis mittlere Kühlgefälle haben längere eutektische Körnungsstrukturen mit längeren und geschichteten Zinn-reichen Formen zur Folge.
  • In Bezug auf die Körnungsstruktur konnten keine deutlichen, visuellen Unterschiede zwischen Samples, die unter Luft und solchen, die unter Stickstoff gelötet wurden, erkannt werden.
  • Gezielte Tests sind erforderlich, um die Auswirkungen verschiedener Kühlgefälle auf die Lötanschlussstärke zu bestimmen.
Empfehlungen für bleifreien Reflow
Für die Reflow-Abkühlung bleifreier Materialien wird ein aggressives Kühlgefälle empfohlen, um die beste Diffusion des Materials und feine, eutektische Körnungsstrukturen zu erzielen. Bei der Anwendung eines aggressiven Kühlgefälles sollten jedoch die Angaben des Bauteilherstellers zu maximalen Kühl- und Wärmegefällen herangezogen werden, damit die Bauteile nicht beschädigt werden. Obwohl kein deutlicher Vorteil bezüglich des Lötanschlusses aufgetreten ist, unterstützt der Einsatz von Stickstoff im Reflow-Prozess die Ausbreitung des Materials.
EPP 411

Literaturangaben
  • 1. Shiloh, P. John, Malboeuf, John; How to Profile a PCB. Surface Mount Technology (SMT), February 2000
  • 2. Ochoa, F. Williams, J.J. Chawla, N.: Effect of Cooling Rate on the Microstructure and Mechanical Behavior of Sn-3.5Ag Solder. JOM (April 2003) submitted. http://www.pbfree.com/pdf/university_research/jom_final_nc.pdf
  • 3. Manko, H. Howard: Soldering Handbook for Printed Circuits and Surface Mounting. 2nd ed. New York, Chapman & Hall, 1995, pgs. 190–192
  • 4. Rhee, H. Subramanian, K.N. Lee, A. Lee J.G.: Mechanical Characterization of Sn-3.5Ag Solder Joints at Various Temperatures. Soldering & Surface Mount Technology, Volume 15 Number 3, 2003, pgs. 21–26
5. Dong, Ross, and Schwarz: N2 Inerting for Reflow of Lead-free Solders. Advanced Packaging, November 2003, pgs. 29–31
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