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Bleifreies Löten und FEM-Modellierung

Zuverlässigkeit und Lebensdauer
Bleifreies Löten und FEM-Modellierung

Trotz der allgemeinen Umstellung auf bleifreie Elektronik sind wichtige Fragen zur Zuverlässigkeit und Lebensdauer bleifreier Lösungen noch immer offen. Da Zeit kostbar ist und immer weiterläuft, kann man erhebliche Vorteile aus einer Modell-gestützten Vorhersage der Lebensdauer gewinnen. Die neuesten Ergebnisse aus einer thermo-mechanischen Finite-Elemente Modellierung ( FEM) eines bleifreien Lotmaterials für Flip-Chip Anwendungen sind viel- versprechend, obwohl eine experimentelle Verifikation noch aussteht.

Koen Snoeckx & Mario Gonzalez, Imec, Leuven (Belgien)

Zuverlässigkeit ist ein heißes Thema beim bleifreien Löten. Eine neue Studie von Elfnet, dem europäischen Verband für bleifreies Löten zeigte, dass sich 56% aller mit bleifreier Technologie verbundenen Fragen in europäischen Unternehmen mit Zuverlässigkeitsproblemen befassen. Die Untersuchung folgert weiter, dass SnPb höchstwahrscheinlich durch Legierungen auf der Basis von SnAgCu, SnAg und SnCu(Ni) ersetzt werden wird. Das Fehlen von Zuverlässigkeitsdaten für diese Materialien macht allerdings jede Umstellung zur Ablösung bleihaltiger Lotmaterialien zu einem riskanten Schritt. Dies gilt umso mehr, als die verfügbaren Daten oft erhebliche Fluktuationen enthalten oder sogar widersprüchlich sind. Im Rahmen des von der EU finanzierten Imecat-Projekts wurden eine Reihe von Forschungsgebieten untersucht, um diese Wissenslücken in Bezug auf die Zuverlässigkeit zu schließen. So verwendete man eine thermo-mechanische FEM-Analyse, um die Lebenszeit bleifreier Lötverbindungen im Vergleich zu ihren bleihaltigen Konkurrenten vorherzusagen (Bild 1). Diese Methode wird häufig benutzt, um das Zeit- und Temperatur abhängige Verhalten verschiedener Lotlegierungen in elektronischen Gehäusen zu prognostizieren.
Ein erster Teil der neuesten Ergebnisse im Rahmen des Imecat-Projekts befasst sich mit der kumulierten Dauerbelastung in den Lötverbindungen eines mit der Unterseite montierten Fine-Pitch Flip-Chip Gehäuses. In einem zweiten Teil der Ergebnisse wurden die Einflüsse von Leerräumen in Lötverbindungen untersucht. In allen Tests wurde eine SnAgCu (SAC) Legierung mit einer eutektischen SnPb-Referenz verglichen. Die thermo-mechanische Ermüdung von Lötverbindungen gilt als der dominante Fehlermechanismus für diesen Gehäusetyp.
Andere Fehlermechanismen wie Delaminierung, durch Material-Sprödigkeit, bedingte Brüche an der Schnittstelle zwischen Lot und UBM sowie Risse im Chip waren nicht Gegenstand der Analyse.
Vorhersage der Lebensdauer
Die untersuchten Gehäuse hatten drei verschiedene Größen (2,5 x 2,5 mm2, 5 x 5 mm2 und 10 x 10 mm2) und besaßen für jede Die-Größe Pads in Abständen von 200 µm und 300 µm, die jeweils am Rand des Dies angeordnet waren. Die Bausteine wurden auf einer 1 mm starken Leiterplatte aus FR4 bestückt. Unter Belastung durch Temperaturzyklen waren die Lebensdauer-Abschätzungen für die SAC-Legierung in allen Fällen besser als die der SnPb-Gehäuse. Der größte Unterschied konnte bei den kleinsten Staffelungsabständen mit einer Verbesserung von ungefähr 50% beobachtet werden. Bei den Gehäusen mit 300 µm Staffelung betrug die durchschnittliche Verbesserung der Lebensdauer ca. 30%.
Um diese Ergebnisse zu erreichen, machte man eine Finite Elemente Simulation für ein vereinfachtes Modell eines Flip-Chip-Gehäuses. Dank der Symmetrie des Gehäuses musste man nur ein Achtel des gesamten Flip-Chips modellieren. Darüber hinaus stammt der Großteil der Deformationen bei dem unter dem Chip angeordneten Lot von einer aus der Ebene heraus gerichteten Ausdehnung des Materials, und nicht von einer Querverschiebung zwischen Chip und Substrat, wie dies bei Chip-Scale-Gehäusen üblich ist. Da das Volumen des Lots unter dem Chip erheblich größer ist, als das Volumen des Lots bei am Rand angeordneten Kontakten, musste man nur das kritische Bump am Eck in den Berechnungen berücksichtigen. Zusätzlich wurde das thermo-mechanische Verhalten des Silizium-Dies, des FR4-Boards, der Metallisierung und des Kunstharzes unter dem Chip mit isotropischen, linear-elastischen und temperaturunabhängigen Modellen abgebildet. Lediglich die Materialeigenschaften der Lötverbindungen wurden mit nichtlinearem Verhalten modelliert. Dieses Konzept wurde anhand früherer Experimente an anderen Elektronik-Gehäusen validiert. Dank dieser Vereinfachungen ließ sich die erforderliche Simulationszeit ohne einen Verlust an Genauigkeit um den Faktor fünf verkürzen.
In der beschriebenen Studie wurde ein kompletter thermischer Zyklus zwischen + 125°C und – 55°C in 60 Minuten durchlaufen. Bereits in früheren Arbeiten im Rahmen des Imecat-Projekts zeigte sich, dass die kumulierte Dauerbelastung und Energie für diesen Gehäusetyp und ein gewähltes Temperaturprofil praktisch unabhängig von Veränderungen des Temperatur-Gradienten und der Verweildauer ist (Bild 2).
Hohlräume
Aufgrund der aggressiveren Flussmittel, die für bleifreie Lötprozesse erforderlich sind, müssen Ausgasungs-Vorgänge berücksichtigt werden. Ein typisches Problem bei bleifreien Lotlegierungen ist das Vorhandensein von Hohlräumen (Bild 3). Übermäßig große Hohlräume im Lotmaterial können Zuverlässigkeitsprobleme verursachen, da sie als Spannungs-Konzentratoren wirken und damit Ausgangspunkte für die Entstehung bzw. die Ausbreitung von Rissen sein können.
Zur Untersuchung des Einflusses der Hohlräume auf die Zuverlässigkeit von Lötverbindungen wurde eine spezielle 2D FEM aufgebaut. Es wurden mehrere Konfigurationen mit unterschiedlichen Anzahlen, Größen und Positionen der Hohlräume analysiert. Als Referenz verwendete man eine Lötverbindung ohne Hohlräume. Die wesentliche Schlussfolgerung daraus ist, dass die kumulierte nicht-elastische Belastung einer Lötverbindung mit einem einzigen Wohnraum nicht größer ist, als die einer Lötverbindung ohne Hohlräume. Allerdings können mehrere Hohlräume in einer einzigen Verbindung zu Frühausfällen führen.
Kontext der Modellierung
Ein wichtiger Grund für die großen Unterschiede bei den modellierten Zuverlässigkeitsergebnissen für bleifreie Legierungen liegt in der breiten Streuung der in der Literatur erwähnten Materialeigenschaften. Durch die Auswahl eines speziellen Satzes von Grundeigenschaften und durch das Treffen unterschiedlicher Annahmen und Vereinfachungen im Modell kann man zu vollständig unterschiedlichen – und sogar gegenteiligen – Schlussfolgerungen kommen. Beim Vergleich der Ergebnisse kommt also dem verwendeten Modell eine entscheidende Bedeutung zu (Bild 4).
In der vorliegenden Studie wurde das Dauerverhalten von SnPb und SnAgCu durch die in der Literatur gefundenen Gleichungen definiert. Aufbauend auf diesen Berechnungen zeichnete man das Dauerverhalten der zwei untersuchten Legierungen in einem stabilen Zustand im Vergleich zur mechanischen Spannung auf. SnAgCu scheint bei hohen Temperaturen und geringen mechanischen Spannungen eine bessere Dauerstabilität zu bieten als normales SnPb. Dieser Vorteil nimmt allerdings bei niedrigen Temperaturen oder hoher mechanischer Spannung ab. Die Zuverlässigkeitsgleichungen beruhen auf einer empirischen Beziehung zwischen der kumulierten Dauerbelastung und der charakteristischen Lebensdauer. Sämtliche Abschätzungen und Ergebnisse müssen noch durch laufende Experimente bestätigt werden.
Da das Gehäuse in der FEM-Analyse auf der Basis stetiger Modelle ohne Ungleichmäßigkeiten modelliert wurde, werden verarbeitungsbedingte Fehlermechanismen nicht berücksichtigt. Zudem könnte auch der Bestückungsprozess in der Fertigung die Zuverlässigkeit der Lötverbindung beeinflussen. So kann zum Beispiel das Reflow-Profil die Benetzung und die Mikrostruktur der Verbindung beeinflussen und damit die Zuverlässigkeit verbessern oder verringern, wodurch die in dieser Analyse getroffenen Vorhersagen zu hoch oder zu niedrig liegen können.
Fazit
Die wichtigste Schlussfolgerung aus der Studie: Chips, die mit bleifreiem Lot bestückt wurden, besitzen im Vergleich zu mit SnPb Lotlegierungen bestückten Gehäusen eine um 27 bis 51% längere Lebensdauer. Die experimentelle Verifikation der erzielten FEM-Ergebnisse dauert noch an. Der Effekt von Hohlräumen auf die Ermüdungsfestigkeit bleifreier Lötverbindungen wurde mit Hilfe einer dedizierten 2D FEM analysiert. Obwohl sich mehrere Hohlräume negativ auf die Zuverlässigkeit auswirken, scheinen einzelne Hohlräume keinen solchen Einfluss auszuüben. Durch die Verwendung eines konsistenten Modells in allen Untersuchungen lassen sich einheitlichere Ergebnisse erzielen, wodurch ein Vergleich der verschiedenen Legierungen möglich wird. Dies wiederum ist ein weiterer Schritt, um aus dem Labyrinth der Bleifrei-Technik herauszufinden.
EPP 419

Literaturverzeichnis:
M. Gonzalez, B. Vandevelde, J. Vanfleteren and D. Manessis; “Thermo-Mechanical FEM Analysis of Lead Free and Lead Containing Solder for Flip Chip Applications”; Proceedings of the 15th IMAPS EMPC Conference, June 12–15, 2005, Bruges, Belgium, pp. 440–445.7
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