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Bleifreies Löten – Von der neuen Sachlichkeit

Kommentar zum Verbot bleihaltiger Produkte ab 2007
Bleifreies Löten – Von der neuen Sachlichkeit

Bleifreies Löten - Von der neuen Sachlichkeit
Dr. Hans Bell, Leiter Forschung und Entwicklung, Rehm Anlagenbau
Von strikter Ablehnung bis zum aufgeregten Aktionismus waren einige Bestrebungen um das bleifreie Lötthema gekennzeichnet, nachdem Ende der „Neunziger“ die Europäische Kommission eine Gesetzesinitiative zum Verbot von Blei in elektronischen Produkten vorbereitete. In letzter Zeit ist wohltuende Sachlichkeit in die Diskussion um die Einführung bleifreier Lote eingezogen. Beigetragen haben hierzu vor allem, dass die Europäische Kommission die WEEE (Directive on Waste Electrical and Electronic Equipment) nunmehr verabschiedet hat, und der europäischen Industrie damit einen gesetzlichen Rahmen vorgibt und dass auf dem Markt längst bleifreie Produkte verfügbar sind, vornehmlich von den Japanern, die die Machbarkeit bleifreier Elektronik belegen.

Die WEEE verbietet ab dem 1. Januar 2007 nicht nur die Nutzung von Blei sondern auch von Quecksilber, Kadmium, Halogen, PBB und PBDE, womit sie ganzheitlich „grüne Elektronik“ zum Ziel hat und nicht nur den mit weltweit 0,2% verschwindend kleinen Anteil von Blei in elektronischen Produkten am gesamten Welt-Bleiverbrauch. Die Definition: „Was ist bleifrei ?“ lässt das Gesetz offen. Hierzu hat die Industrie unlängst Verabredungen getroffen. Infineon Technologies, Philips Semiconductors und ST-Microelectronics definierten eine Grenze von 1000 ppm Ge-wichtsanteil Blei in der Metallisierung, den Solderballs, dem Package-Material oder dem Substrat. Damit haben die europäischen Firmen schärfere Festlegungen getroffen, als der amerikanische Wettbewerb. DieNEMI (National Electronics Manufacturing Initiative) wird in ihrem „Final Report Lead Free“ 2000 ppm Gewichtsanteil Blei als Grenzwert definieren.
Zahlreiche Arbeitsgruppen untersuchen mit verschiedenen Zielsetzungen mögliche bleifreie Lotsubstitue, Technologien zu ihrer Verarbeitung und das dazu notwendige Equipment. Als besonders wichtig wurde erkannt, dass von den „neuen“ Legierungen detaillierte Stoffdaten (physikalische und metallurgische Parameter) erarbeitet werden müssen, die bislang nur lückenhaft vorhanden sind. Für Aussagen zur Zuverlässigkeit und Lebensdauer bleifreier elektronischer Produkte sind solche Daten jedoch unabdingbar. Diese Aufgabe muss zukünftig verstärkt von den Universitäten und wissenschaftlichen Instituten gelöst werden, wozu die notwendigen finanziellen Mittel nicht nur von der Industrie sondern auch von der Europäischen Gemeinschaft bereitgestellt werden sollten. Ein Kompliment ist einer Reihe von mittelständischen Unternehmen (stellvertretend seien genannt: Kieback&Peter, Peperl+Fuchs, Zollner, Technolab) zu machen, die mit beachtlichem Aufwand die technischen Lösungswege für eine bleifreie Produktion untersuchen und ihre diesbezüglichen Ergebnisse der interessierten Öffentlichkeit zugänglich machen. Diese Offenheit wird leider bei einigen „Großen“ in der Branche vermisst.
Zinn-Silber-Kupfer, Zinn-Silber und teilweise Zinn-Wismut sind die zur Zeit meist favorisierten Lotlegierungen, für die die technologische Fertigungskette nachhaltig untersucht wird. Schablonendruck und Reflow-Löten gelten als gut beherrschbar, wenn insbesondere die Flussmittel und Additive der Lotpaste optimiert werden. Eine Aufgabe, die von den Pastenlieferanten zu lösen ist. Nachgewiesen ist, dass Reflow-Temperaturen von kleiner 240 °C (SnAgCu) zu zuverlässigen Lötstellen führen, womit eine leichte Entspannung hinsichtlich zukünftiger Bauelementequalifikation gegeben ist. Ein wesentliches Problem der höheren Löttemperaturen resultiert aus der Widerstandsfähigkeit der Packaging- und Substratmaterialien. Insbesondere feuchteempfindliche Materialien können beim Reflow-Löten zur Delamination oder zum Popcorn-Effekt führen. In dem neuen Prüfstandard IPC/JEDEC J-STD-033 werden die neuen Kriterien für feuchteempfindliche Bauelemente berücksichtigt.
Ein oft begangener Fehler der Fertigungspraxis liegt in der Annahme, dass der Feuchte-Diffusionsprozess stoppt, sobald das Bauelement wieder in seiner Dry-Verpackung liegt. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Diffusion der einmal aufgenommenen Feuchtigkeit findet weiter statt und sie kann die kritischen Grenzflächen erreichen. Nur trockene Lagerung ( 3% relative Feuchte) beeinflusst signifikant den Feuchtegehalt. Die Lagerzeit sollte jedoch fünf mal länger sein, als die Zeit, die das Bauelement der Feuchte ausgesetzt war.
Noch sind nicht alle Bauelementetypen in bleifreier Qualität verfügbar, so dass selbst „bleifreie Testboards“ teilweise noch mit SnPb-Bauelementen bestückt sind.
Sowohl für die Leiterplatte als auch für die Bauelemente sind bleifreie, lötbare Oberflächen verfügbar. Chemisch- Nickel-Gold, Chemisch-Zinn, Chemisch-Silber und zum Teil OSP sind die Favoriten auf der Leiterplatte, Zinn und Silber-Palladium oder Nickel-Palladium auf den Bauteilanschlüssen.
Bei neueren Untersuchungen rücken die Qualität und das Langzeitverhalten dieser Endoberflächen in den Mittelpunkt. Auf der APEX 2002 wurden unter anderem Untersuchungsergebnisse zum Black-Pad-Defekt und zum Whisker-Wachstum vorgestellt.
Der Black-Pad-Defekt bildet sich während der Ni/Au-Abscheidung selektiv auf den Lötpads mit einem meist sehr kleinen Fehleranteil. Black-Pads können vor dem Bestücken der Leiterplatte nicht erkannt werden und führen während des Lötens zunächst zu benetzten Pads mit normal ausgeprägten Lötstellen. Erst nach dem Löten resultiert Black-Pad in Cracks und offenen Lötstellen und stellt daher ein ernstes Zuverlässigkeitsrisiko für eine Baugruppe dar.
Säulen/Nadeln, Filamente, Knoten und Hügel (Hershey Kiss Eruptions) sind die vier Erscheinungsformen von Zinn-Whiskers. Whisker können große Längen erreichen ( > 200 µm), woraus die Gefahr erwächst, dass der zulässige Isolationsabstand benachbarter Potentiale unterschritten wird. Zugelassen sind derzeit Längen 50% der kleinsten Distanz/Pitch. Die wesentliche Ursache für die Whisker-Bildung sind innere Spannungen in der Sn-Schicht. Schon bei der Schichtabscheidung können diese Spannungen sehr große Unterschiede annehmen.
Aufgrund des hohen Zinngehalts der bleifreien Legierungen müssen bei den Wellenlötanlagen korrosions- und ablegierfeste Materialien eingesetzt werden. Derzeit laufen bei einigen Equipment-Anbietern Feldtests, um das Langzeitverhalten dieser Materialien unter Produktionsbedingungen zu testen. Insgesamt wird von guten Wellenlötergebnissen berichtet. Die Fehlerraten können nach Optimierung der Parameter und geeigneter Flussmittelauswahl gleiche Größenordnungen erreichen, wie beim Löten mit SnPb. Gegenwärtig werden Zinn-Silber und Zinn-Silber-Kupfer für das Wellenlöten favorisiert, wobei mit Lottemperaturen von 260 ± 5 °C gearbeitet wird.
Die automatisierte oder manuelle optische Inspektion sowie die Röntgeninspektion erfordern eine Anpassung der Prüfmerkmale und Kriterien und gegebenenfalls der Bibliothek-Dateien. Jedoch werden hier neben dem notwendigen Arbeitsaufwand keine größeren Probleme erwartet.
Wesentlich problematischer wird sich der manuelle und Reparaturlötbereich gestalten. Aufgrund der höheren Prozesstemperaturen und des schlechteren Fließverhaltens der bleifreien Lote wird gegenwärtig von längeren Lötzeiten berichtet. Hierdurch werden nicht nur die Herstellungskosten erhöht sondern auch die Zuverlässigkeit und Lebensdauer des Produkts geschwächt.
Als Verbindungstechnologie beeinflusst „bleifreies Löten“ die gesamte Herstellungskette eines elektronischen Produkts. Zusammenarbeit und Wissensaustausch aller Fachpartner sind daher unabdingbare Voraussetzung, um das Ziel eines „grünen bleifreien Produkts“ möglichst weit vor dem gesetzlich definierten Termin zu erreichen.
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