Die Nachfrage nach der Reinigung elektronischer Baugruppen nimmt seit einigen Jahren wieder stetig zu. Die Gründe dafür sind vielfältig. Gleichzeitig ist nach nun mehr als 10 Jahren Felderfahrung mit No-Clean-Prozessen eine steigende Zahl an Feldausfällen, insbesondere lackierter Baugruppen, zu beobachten. Weiterhin hat der verstärkte Einsatz leistungsverschaltender, steuernder und sichernder Baugruppen im Markt, die Anforderungen an diese Hochspannungsbaugruppen hinsichtlich Spannungsfestigkeit und Alterungsbeständigkeit drastisch erhöht. Speziell Hersteller von solchen Schaltungen, an die erhöhte Anforderungen in Bezug auf Klima- bzw. Langzeitbeständigkeit gestellt werden, sollten sich fragen, ob sie die potenziellen Risiken einer No-Clean-Fertigung eingehen wollen.
Im Zuge der bevorstehenden Umstellung auf bleifreie Verbindungstechniken werden gleichzeitig offensichtlich auch die hergebrachten Fertigungskonzepte vor allem hinsichtlich ihrer Effektivität hinterfragt. Dies wirft automatisch wieder die Frage nach dem wirtschaftlichen Vergleich der No-Clean-Produktion gegenüber einer Produktion mit einem Reinigungsprozess auf. Die Beschäftigung mit dieser Frage zeigt, dass es interessanterweise für den Begriff der No-Clean-Fertigung kein Pendant für eine Produktion mit Reinigung gibt. Das Gegenteil von No-Clean-Produktion wäre „Yes, Clean!“-Produktion. Da dies sehr eigenwillig klingt, sei sie im Folgenden vereinfacht als „Clean-Produktion“ bezeichnet.
Der Artikel bietet nun eine Hilfestellung für den Anwender, der vor der Frage, steht einen Fertigungsprozess zu implementieren. Hierzu wird versucht die wesentlichen kostenseitigen und technologischen Vor- bzw. Nachteile bei Fertigung bei Clean- und No-Clean-Produktion gegenüberzustellen.
Situations- beschreibung
No-Clean erhebt den Anspruch, durch Elimination eines Prozessschrittes bei gleicher Qualität, insgesamt günstigere Gesamtkosten zu erzielen, als eine Fertigung mit Reinigung. Um jedoch zu einer echten Kostenanalyse zu gelangen, muss die Frage gestellt werden: Wie funktioniert das Clean- und das No-Clean-Konzept. Allein der Kauf einer mit „No-Clean“ etikettierten Lotpaste liefert ja noch keinen durchgängigen No-Clean-Fertigungsprozess. Damit diese Lotpasten ihr „Versprechen“ einhalten, ist die Einhaltung pastenspezifischer Lötprofile wesentlich, die die Einkapselung der Aktivatoren (Bild 1) bewirken, und damit theoretisch „elektrische Sauberkeit“ trotz verbleibender Rückstände schaffen. Hierdurch entstehen oft Zielkonflikte, da das ideale Lötprofil in erster Linie an der Lötung, und nicht der Verkapselung der Aktivatoren orientiert ist. Diese „unreine“ Variante des No-Clean-Prozesses liefert ohne klimatische Beanspruchung ein ausreichendes Ergebnis. Sollte sich diese Anforderung an die Baugruppe jedoch ändern, muss man sich der genannten Zielkonflikte bewusst sein, um Feldausfälle zu vermeiden.
Wenn hingegen eine wirkliche Reinheit für Betauungs- und Kriechstromsicherheit erzielt werden muss, fallen offensichtliche wie versteckte Kosten von der Beschaffung über die Fertigung bis hin zur Lagerung und Entsorgung an (Übersicht Seite 34). Eine Quantifizierung realer Kosten an dieser Stelle wäre wünschenswert, ist aber aufgrund der hohen Variationsmöglichkeiten von Fertigung zu Fertigung zu unterschiedlich, als dass man dem Praktiker wirklich übertragbare Zahlen für seinen spezifischen Fall liefern könnte.
Für einen ganzheitlichen Vergleich zwischen Clean- und No-Clean-Produktion sollten also die in der Tabelle aufgeführten Punkte im Detail, sowohl technologisch als auch von Seite der anfallenden Kosten, vor einer Entscheidung im folgenden Abschnitt hinterfragt und erläutert werden.
Fertigungskosten
Zur Installation eines Clean-Prozesses muss in eine Reinigungsanlage investiert werden. Ebenso entstehen Kosten für Reiniger und je nach Verfahren für Spülwasser (1). Auch dieser Fertigungsschritt muss in die Prozessüberwachung nach ISO 9001–2000 einbezogen sein. Das Problem des Platzbedarfs für Reinigungsanlagen ist durch unterschiedliche Konzepte flexibel lösbar. Bei der nachträglichen ungeplanten Installation kann die Platzfrage allerdings durchaus Mühe bereiten.
Einen wesentlichen Bestandteil des No-Clean-Konzeptes stellt das Löten unter Stickstoff dar. Zunächst sind die Anschaffungskosten für einen Stickstoff-Reflowofen deutlich höher als für einen Ofen, der unter Normalatmosphäre betrieben wird (2). Zusätzlich, und deshalb wesentlich, kommen die Verbrauchskosten für Stickstoff hinzu. Wie von einem namhaften Unternehmen genannt, liegen diese auch bei modernen Öfen mit Abstand an erster Stelle bei den Verbrauchsgütern – noch vor den Kosten für Wasser und sogar Lotpaste (!). Insbesondere durch die Einführung der Bleifreitechnologie wird man zukünftig bei No-Clean-Prozessen weniger denn je auf die Lötung unter Stickstoff verzichten können (3), da durch die erhöhte Löttemperatur die Oxidation gefördert wird.
Das mit Abstand primäre Ziel des Lötens besteht in der Schaffung von zuverlässigen Lötverbindungen. Wie viele Auftragsfertiger bestätigen können, ist allein dies nicht immer trivial. Beim Clean-Prozess kann man dieses Ziel durch die Wahl stärker aktivierter Flussmittel und Pasten leichter erreichen. Durch diese wird das Lötprozessfenster deutlich erweitert, was die Einfahrzeit des Lötprofils verkürzt, und die Toleranz gegenüber Schwankungen im Prozess erhöht (4).
Beim No-Clean-Prozess muss zusätzlich zum Löterfolg die ausreichende Baugruppenreinheit als zweites Ziel umgesetzt werden. Im Grunde beginnt die Einschränkung der Prozessfenster schon beim Drucken. Hier ist im No-Clean-Prozess stets auf eine minimale Pastenmenge zu achten. Damit ist es aber schwer z.B. Koplanaritätsprobleme auszugleichen. Im Clean-Prozess ist es möglich, die Fertigungsschritte nur auf ihre Funktion hin, z.B. Lötergebnis, zu optimieren. Damit steigt die Ausbringungsrate der Linie bzw. sinken die Nacharbeitskosten (5).
Im Rahmen der No-Clean-Fertigung muss auch sicher gestellt werden, dass keine handhabungsbedingte Verunreinigung der Baugruppen auftritt. Um solche Verunreinigungen wie Stäube, Fingerprints etc. zu vermeiden, ist eine 100%ige und kapitalintensive Automatisierung notwendig, oder das Tragen von Handschuhen (6). Insbesondere wer in Reinräumen gearbeitet hat, wird es schätzen, auf derartige Kleidungsstücke zu verzichten. Weiterhin sind die Handschuhe in kurzen Intervallen – meist täglich – zu wechseln, wodurch auch Kosten für Logistik und Reinigung entstehen. Wie viele verdeckte Kosten (Qualitätsmängel) durch das Nichttragen von Handschuhen entstehen, wird schwer zu quantifizieren sein.
Kosten für Beschaffung, Lagerung und Entsorgung
Beide Fertigungsvarianten benötigen Medien und eine spezielle Logistik. Beim Clean-Prozess sind Reiniger zu handhaben. Da zunehmend die wässrigen Reiniger die Lösemittel verdrängen, sind Transport und Lagerung problemlos – z.B. neben der Anlage – durchführbar und entsprechend kostengünstig. Verantwortungsvolle Lieferanten von Reinigungsprozessen bieten die Rücknahme des Reinigers ohnehin mit an, oder unterstützen den Kunden eng bei Fragestellen der lokalen Entsorgung (7). Beim No-Clean-Prozess ist die Handhabung der Stickstoff-Gasflaschen deutlich aufwändiger. Sie dürfen nur über spezielle Transporte geliefert und abgeholt werden. Die Lagerung im Betrieb muss in gesonderten, und hierfür eingerichteten Lagern geschehen (8).
Ein versteckter Kostenfaktor liegt auch in der Beschaffung von Bauteilen und Bare-Boards. Durch das weitere Prozessfenster des Clean-Prozesses ist die Grenze der Lager- bzw. Verarbeitungsfähigkeit der Bauelemente und Leiterplatten verlängerbar (9). Hierdurch eröffnet sich durch die Anwendung stärker aktivierter Flussmittel die Möglichkeit, größere Losgrößen, und damit günstige Bauelemente und Leiterplatten, zu beziehen. Weiterhin kann vielfach auf eine klimatisierte bzw. feuchtigkeitskontrollierte Lagerung bzw. teure Schutzverpackung verzichtet werden (10).
Durch den Clean-Prozess entfällt weiterhin die Spezifikation der Bauelemente und Leiterplatten hinsichtlich Kontamination. Da diese Gewährleistungen stets mit Zuschlägen erkauft werden müssen, besteht auch hier ein Einsparungs- und Fehlerreduktionspotenzial beim Clean-Prozess (11).
Die Materialverträglichkeit von Bauelementen und Leiterplatten ist heutzutage bei einem Prozess mit Reinigung praktisch immer gegeben. Außerdem verschwinden offene Schalter und Relais zunehmend.
Testkosten
Kostenrelevant sind hier vor allem In-Circuit-Testsysteme (ICT) und die Automatische Optische Inspektion (AOI).
Der No-Clean-Prozess schafft im Idealfall verkapselte, bezogen auf Korrosion und Kriechströme, inaktive Rückstände. Diese harten und elektrisch isolierenden Filme können die IC-Testbarkeit behindern. Sie verursachen unspezifisch Pseudo-Fehlmessungen, verunreinigen Testnadeln, erhöhen den Testnadelverschleiß und verursachen somit verdeckte Mehrkosten, die beim Einsatz einer Reinigung nicht auftreten (Bild 2). Durch den sicheren Kontakt auf rückstandsfreie Oberflächen lässt sich die Pseudofehlerrate deutlich reduzieren (12).
Flussmittelrückstände behindern die Automatisierte Optische Inspektion der Lötstellen durch Reflexe und Kontrastverschlechterung (Bild 3). Nach Aussage von AOI-Systemanbietern lässt sich durch ein klareres Oberflächenbild auch hier eine geringere Pseudofehlerrate erzielen, und damit Nacharbeitskosten senken (13).
Betriebszuverlässigkeit (Qualität)
Die Prüfung der Klima- und Kriechstromzuverlässigkeit elektronischer Baugruppen erweist sich schwierig, da zur Korrelation mit den Feldbedingungen Messdaten fehlen. Zur Simulation der Feldbedingungen ist ja nicht die Makrowetterlage entscheidend, sondern das Mikroklima am Einbauort der jeweiligen Baugruppe. Dieses wird stark durch die Einbaubedingungen beeinflusst, weshalb es im Prinzip von Fall zu Fall bestimmt werden müsste. Die Erfassung von Klima bzw. Betauungsbedingungen im Mikroklima der Schaltungen ist aber erst durch neu entwickelte Sensoren seit ca. zwei Jahren möglich. Dementsprechend fehlt frei zugängliches Datenmaterial. Die Anstrengungen diese Erfassungen durchzuführen, werden vor allem im Automobilbereich, einer Branche die sehr kostenbewusst ist, unternommen. Aufgrund des immer exponierteren Einsatzes elektronischer Schaltungen ist hier ein besonders hoher Leidensdruck durch Feldausfälle entstanden.
Aufgrund des enger werdenden Marktes wird jeder versuchen, das Risiko zu minimieren, durch Feldausfälle seinen guten Ruf zu verlieren. Die Zeit für Langzeittests ist jedoch meist aufgrund der kurzen Produktlebenszyklen oft nicht verfügbar. Somit erzielt hier der Clean-Prozess Vorteile, die nur schwer in Kosten zu fassen sind.
Fazit
Für viele Produktionszwecke hat sich No-Clean bewährt und wird auch weiterhin in der Bestückung eine dominierende Rolle spielen. Die letzten 10 Jahre wurde jedoch viel Erfahrung gesammelt, und insbesondere Hersteller hochwertiger Baugruppen sind in der Zwischenzeit zur Reinigung zurückgekehrt. Da sich auch die Reinigungstechnologien hinsichtlich Kosten, Prozessfenster, Materialverträglichkeiten und Arbeitssicherheit deutlich weiterentwickelt haben, sollte der kritische Anwender neueste Technologien nach den aufgeführten Kriterien vergleichen.
Bei der Reinigung verhält es sich wie bei der Beschichtung: Nachträglich eingeführt ist sie unnötig teuer, und die Freiheit in der optimalen Prozessauswahl ist stark eingeschränkt. Nachbessern ist immer kostenintensiver als schon in der Entwicklungs- und Designphase die Reinigung zu berücksichtigen. Auch ist dieser Weg riskanter, da die Entscheidung schließlich doch zu reinigen, meist aufgrund von Kundendruck gefällt wird. Soweit sollte man es bei der derzeitigen Wettbewerbssituation nicht kommen lassen. Wird die Clean-Philosophie aber konsequent von der Beschaffung über das Design und die Fertigung umgesetzt, birgt sie große Kosteneinsparungspotenziale.
EPP 417
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