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Drahtzieher in der Hightech-Elektronik

Die etwas andere Leiterplatte erobert sich Marktsegmente
Drahtzieher in der Hightech-Elektronik

Ursprünglich hatte Markus Wölfel die Idee, starke Ströme über Leiterplatten zu übertragen. Und, was bis dahin mit der konventionellen Technik nicht möglich war, auch Strom einfach um die „Ecke“ leiten zu können. Schließlich die Lösung: die drahtgeschriebene Leiterplatte. Dass er der drahtgeschriebenen Leiterplatte zugleich bislang unerkannte Anwendungsfelder eröffnete, stellte sich allerdings erst im Nachhinein heraus.

JUMA Leiterplattentechnologie, Eckenthal

Konventionelle Leiterplattentechnik hat das Strukturieren mehr oder minder dicker kupferbeschichteter Trägermaterialien zum Ziel. Gleiches will Juma mit der neuen Drahtschreibetechnik auch. Nur mit anderen Mitteln und völlig anderen Folgen. Im Gegensatz zu ihrer konventionellen Verwandtschaft bringt sie ihre Verbindungen direkt auf eine Kupferfolie beliebiger Stärke auf. Und das ohne jeden Umweg über Belichten, Ätzen, Strippen, Galvanisieren etc. Dennoch gleichen sich in beiden Fällen die Vorbereitungen wie ein Ei dem anderen. Denn auch hier werden ausschließlich CAD-Daten, die am CAD-System von den Entflechtungsspezialisten für die eigentliche Drahtschreibung vorbereitet werden, genutzt.
Offensichtlich hat die Elektrotechnik Pate gestanden. Denn in diesem Zweig der Industrie werden schon frühzeitig Kabelverbindungen in freien Formen verlegt. Zwar nicht exakt in einem scharfen rechten Winkel. Dazu ist das Material zu starr und auch die Technik machte diese Verlegeform nicht unbedingt notwendig. Doch es entstehen auf diesem Weg raumsparende und letzten Endes auch kostensparende Verbindungen. Da die Verbindungen aus einem oder mehreren Drähten hergestellt werden, liegt die Assoziation zur Leiterplattentechnik auf der Hand. Flachdraht, Runddraht, dicke Drähte, dünne Drähte, dem Erfinder bietet sich ein sehr breites Spektrum an Nutzungsmöglichkeiten. Wohlwissend, dass bei Verwendung höherer Ströme und Spannungen konventionelle Leiterbahnen der Belastung auf Dauer nicht Stand halten und schlichtweg verbrennen würden.
Dreh- und Angelpunkt: die Drahtschreibemaschine
Erste Versuche mit dem Verlegen unterschiedlich dicker und variabel geformter Kupferdrähte ließen sich gut an. Doch nun kam es darauf an, eine Technik zu finden, Drähte auf Kupferfolien sicher zu verlegen und dauerhaft zu befestigen. Und alles möglichst in einem automatischen Arbeitsgang. Und auch um die Ecke, damit wäre der Anspruch schließlich erfüllt. Doch eins war von Beginn an allen Beteiligten klar, mit dieser neuen Technik durften die in der Branche üblichen Prozessabläufe auf gar keinen Fall verändert werden. Denn eingefahrene und bewährte Prozesse umzustellen, die sich vielleicht später als nicht so praktikabel herausstellen, das entbehrt aus Gründen der Ökonomie und Technik jeder Grundlage. Kein Fachmann wäre dazu zu bewegen. Zugleich würde der drahtgeschriebenen Leiterplatte damit der Markteintritt unangemessen erschwert oder gar verhindert.
Recherchen und Gespräche mit Instituten und Fachleuten aus der Verbindungstechnik schafften Zug um Zug Klarheit: An deren Ende steht das Schweißen als die einzige praktikable Lösung. Nach einigem Hin und Her findet die Mannschaft schließlich mit dem Widerstandsschweißen exakt die richtige Technik.
Fehlte nur noch das Gerät, das die Drähte automatisch verlegt, die Drähte auf Zug hält, auf die Kupferfolie schweißt und abschließend ablängt. Dem Team war klar, dass diese erdachte Maschine nirgends „von der Stange“ zu kaufen sein dürfte. Blieb als einzige Alternative die Eigenkonstruktion. Im Eifer des Gefechts verstieg sich das Team sogar zur Entwicklung einer individuellen Steuerung. Das entpuppte sich einerseits als Hindernis, andererseits als Ansporn für die Weiterentwicklung der Drahtschreibemaschine. Heute steht die zweite Generation der Drahtschreibemaschine und produziert seit Beginn dieses Jahres komplette Leiterplatten in Klein- und Mittel-Serien. Die Fertigung präsentiert sich komplett vernetzt und automatisiert.
Arbeitsweise
Das eigentlich Spannende spielt sich auf relativ wenigen Quadratzentimetern ab: Vorschub der auf Rollen gelagerten lack- isolierten Kupferdrähte, Anheften per Schweißpunkt, Drehen des Arbeitstisches, Ablängen per miniaturisiertem Cutter und beidseitiges Absaugen der Schweißdämpfe per Saugnasen. Wichtig: Der Kupferfolie wird während dieses Prozesses kein Haar gekrümmt. Sie liegt während des gesamten „Schreibens“ per Vakuumsaugplatte eben auf dem Arbeitstisch auf. Nötiger Gegendruck kommt von dem Haltestempel unmittelbar unter dem Arbeitstisch. Aus den integrierten „Lagerrollen“ wird per Vorschub die nach dem jeweiligen CAD-Programm nötige Bahn- bzw. Drahtlänge, quasi die Leiterbahnen, bis zum ersten Heftpunkt ausgezogen. Danach verläuft es weiter wie im jeweiligen Layout vorgesehen. Kurven, rechte Winkel und alle denkbaren Formen werden gelegt, geheftet, abgelängt. Drahtwechsel, sollte ein anderer Leitungsquerschnitt vom Layout vorgeschrieben sein. Geschweißt wird mit einer Spannung von 5 Volt. Die Leistungsaufnahme der Drahtschreibemaschine liegt dabei um 1 kW.
Ein drahtiges Programm
Mit einem Erfolg versprechenden Business-Plan, der schließlich zum Ziel führte, Patentanmeldungen, Fördermittel und einem Geldgeber im Rücken wurde das Unternehmen auf die Beine gestellt. Doch von der reinen drahtgeschriebenen Leiterplatte hatte sich das Unternehmen kurzfristig wieder verabschiedet. Denn schnell setzte sich die Erkenntnis durch, dass es nur Sinn mache signifikante Leitungen, also die Bahnen, die höhere Ströme verlangen als konventionelle Bahnen verkraften, aus lackisoliertem Draht zu schreiben. Inzwischen verfügt die Juma über acht Patente und Gebrauchsmuster, mit denen die eigenentwickelte Drahtschreibetechnologie weitere Gewinne von Marktanteilen absichern will. Zudem ist das Unternehmen nach ISO 9001/2000 auditiert, die Zertifizierung nach ISO TS 16949 (Automotive) wird 2006 abgeschlossen und die amerikanischen UL-Prüfungen (Underwriter Laboratories) werden bis zum dritten Quartal 2005 erfolgreich absolviert sein.
Nicht nur Standard
Von der Idee der ausschließlich drahtgeschriebenen Leiterplatte hat sich das Unternehmen längst losgesagt, doch werden handelsübliche Multilayer spürbar kostengünstiger gestaltet. In vielen Fällen kann durch intelligentes Redesign und Drahteinsatz die Zahl der Lagen reduziert werden – ein erheblicher Kostenfaktor. So wurde beispielsweise aus einem Sechs-Lagen-Multilayer ein Vier-Lagen-Wirelaid-Multilayer, ein drahtgeschriebener Multilayer also. Träger der Drahtschreibung sind in allen Fällen die getreateten Oberflächen (Innenseiten) der Top- und Bottom-Kupferfolie.
Wo starke Ströme fließen sollen, kommt die Drahtschreibetechnik gerade recht. Die Innenlagen konventioneller Leiterplatten werden mit einem oder mehreren parallel laufenden Lackdrähten, Verbindungen mit hoher Strombelastbarkeit, belegt, zusätzlich oder anstelle geätzter Leiterbahnen. Damit wird der Weg frei zur Nutzung der Außenseiten zur Abschirmung oder zur Mischbestückung mit Leistungs- und Schaltungselektronik. Zudem wird die Baugröße trotz höherer Ströme reduziert. Den Vergleich mit der Dickkupfertechnik entscheidet die Drahtschreibetechnik glatt für sich. Denn allein bei den Durchlaufzeiten hinkt das Cu-Material hinterher. Das wiederum bedeutet, wer sich für Dickkupfer entscheidet, spricht sich zugleich für eine separate Fertigungslinie aus; denn in punkto Laufzeiten im Fertigungsprozess bleibt sie weit hinter der konventionellen Leiterplattentechnik zurück. Mit einem Mineralöl-Füllstandsensor hat Juma auch ein Bein bereits in die Tür zum Automotivebereich gestellt.
Auch ein Blick auf das Temperaturverhalten offenbart, wo die konventionelle Technik das Ende der Fahnenstange erreicht. Mit sechs Ampere Strombelastung erhitzt sich eine herkömmliche Leiterbahn mit 800 µm Breite auf rund 100°C. Dagegen wird Juma Power mit lackiertem Runddraht bei nahezu sechsfacher Strombelastung erst 120°C „warm“. Zudem können auf Grund der Technologie noch bis zu 60% Raum gewonnen werden. Juma Flachdraht 800 µm x 300 µm verträgt gar 30 Ampere Dauerlast und 75 Ampere Kurzlast. Das ist mit Blick auf die Diskussion um die 42-Volt-Bordnetze und die stets steigende Ströme im Automobil ein deutliches Signal. Tests haben gezeigt, mit zum Beispiel 21 Ampere Strombelastung erhitzt sich der Flachdraht gerade mal auf 40°C.
Diverse Verfahren
Dieses Verfahren wird auch bereits mit herkömmlichen Leiterplatten praktiziert. In die 3D-Leiterplatte wird quer zu den Drähten eine gerade Nut von einer zur anderen Leiterplattenkante gefräst. Um diese Nut lässt sich die drahtgeschriebene Leiterplatte nach der einen Seite bis zu 180°, nach der anderen Seite bis zu 90° biegen. Doch wer zu viel biegt, hat letztlich Bruch in der Hand. Idealerweise bietet sich für die Kompaktbauweise die 180°-Biegung an. Die 90°-Biegung eignet sich gut zur Anbringung von Anzeigeelementen. Eine Biegung um 30° wirkt sich positiv als Hitzschutz und Zinnfreiheit beim Löten aus. Das heißt, planeben produzieren, bestücken, testen, abgleichen, notfalls Reparatur. Alle elektrischen Verbindungen sind in einer einzigen Leiterplatte untergebracht. Auch die Wartung und Logistik profitieren davon. Einfacher Zugang bei Service und Reparaturen, nur ein Lieferant und außerdem erhält der Kunde damit noch optional eine EMV-sichere Gehäuseform.
So ganz nebenbei wird die Mannschaft mit Feuchteproblemen konfrontiert. Elektrogeräte im „Außendienst“ oder auf erhitzten Motoren bildet sich nach dem Abschalten mitunter Kondensat. Das wiederum kann den erneuten Betrieb schon gefährden. Für diese Fälle bringt die Drahtschreibemaschine an festgelegten Positionen Widerstandheizdrähte in die Leiterplatte ein. Schließlich wird bei Inbetriebnahme der Schaltung erst kurz vorgeheizt, damit die Feuchtigkeit aufgelöst und dann das Element gestartet. Parallel wird damit einem unkontrollierten Durchbiegen oder Dehnen der Platine vorgebeugt. Wärme auf der Leiterplatte ist unerwünscht. Juma aktiv Lösung sieht integrierte und mit Flüssigkeit gefüllte Hohlleitungen vor. Die für den Flüssigkeitstransport wichtige Membranpumpe entstand in einer Entwicklungspartnerschaft mit der TU Dresden. Kein Flüssigkeitsverlust durch Diffusion, keine Kurzschlussrisiken. Einfacher geht es mit Juma passiv. Aus der Leiterplatte führen Kupferflachdrähte an Gehäuse oder Kühlflächen als kostengünstige Lösung.
Juma Large ist ein Riesending. Dimensionen bis 2500 x 2500 mm sind damit zu realisieren. Verlegt werden können damit sowohl signal- als auch stromführende Leitungen, und diese kommen ohne jede Galvanik aus. Denn die Drähte können sich kreuzen und die Funktionen bleiben erhalten. Testergebnisse bescheinigen der Large auch sehr gute EMV-Eigenschaften.
Auf dem Weg in die Zukunft ist die neuste Kreation Juma Optic. Der Einsatz von Glasfasern verspricht einen unproblematischen Datentransfer im Höchstfrequenz-Bereich. Auch dafür sind bereits Patente auf dem Weg. Da die Optik in Kombination mit der Leiterplatte eine immer stärkere Rolle spielt, hat man sich dieses Themas angenommen. Zusammen mit der Fraunhofer Gesellschaft IZM Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration wird derzeit an einer praktikablen Lösung gearbeitet. Auch die benachbarte Uni Erlangen – Nürnberg ist intensiv mit einbezogen.
Ausblick
Drahtgeschriebene Leiterplatten sind kein Produkt für den Massenmarkt. Sie füllen dort Lücken, wo spezielle technologische Ansprüche gefordert sind, oder diese mit herkömmlicher Technik nicht realisiert werden können. Das Unternehmen sieht den Drahtschreibeprozess parallel zur konventionellen Technik oder auch als Ergänzung bestehender Linien. Denn die drahtgeschriebenen Cu-Folien können problemlos in den normalen Prozessablauf integriert werden. Sie lassen sich wie alle Platinen via Prepreg auf Polymerträger verpressen und auch zu Multilayer-Aufbauten einsetzen. Wird mit dickeren Lackdrähten gearbeitet, dann kommen Prepregs mit größerem Harzanteil zum Zuge, um damit die Höhenunterschiede der Lackdrähte zu kompensieren. Nach bisherigen Erkenntnissen bringen die drahtgeschriebenen Platinen ihren Nutzern oftmals erhebliche Kostenvorteile. Bei Kleinserien konnte der Auftraggeber zum Beispiel bis zu 55%, bei mittleren Serien immerhin noch 39% und bei Großserien 13% gegenüber konventioneller Technik einsparen. Die Zukunft sieht Wölfel weiterhin überwiegend drahtig. Kosteneinsparungen von bis zu 70% bei kurzen Lieferzeiten, weiterer Miniaturisierung und Flexibilisierung will er in nächster Zukunft realisieren. Die Zuversicht gründet auf der Drahtschreibemaschine zur Serienproduktion, die derzeit mit einer Siemens SPS die letzten Dauertests absolviert. Strategische Partnerschaften spielen für die weitere Wachstumsstrategie eine relevante Rolle.
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