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Löten für den Massenmarkt

Interview mit Bernd Schenker, Mitglied der Ersa-Geschäftsleitung
Löten für den Massenmarkt

Löten für den Massenmarkt
Bernd Schenker, Leiter Profitcenter Lötanlagen, Mitglied der Geschäftsleitung ERSA GmbH
Das Löten ist die mit Abstand verbreitetste Verbindungstechnik in der Elektronikfertigung. Veränderungen im Fertigungsprozess, wie z.B. die Blei-frei-Technik, beeinflussen das Löten stark. Aber auch andere technische und wirtschaftliche Anforderungen zeigen Auswirkungen. Bernd Schenker, Leiter des Profitcenters Lötanlagen und Mitglied der Geschäftsleitung der Ersa GmbH, stand der Redaktion EPP Rede und Antwort zu den Entwicklungen in der Löttechnik.

Redaktion: Welche besonderen technischen Eigenschaften müssen moderne Reflow-Lötanlagen aufweisen?

Schenker: Die Maschinen müssen in erster Linie eine äußerst homogene und stabile Temperaturverteilung über die gesamte Prozesskammer aufweisen. Dies betrifft zum einen die Temperaturverteilung über die Maschinenbreite (Querprofil). Vor allem im Hinblick auf das bleifreie Löten und der damit verbundenen Reduzierung des Prozessfensters werden kleinstmögliche Temperaturunterschiede (iT) immer wichtiger. Deshalb darf die Anlage selbst keine Temperaturunterschiede auf die Leiterplatte übertragen.
Zum Anderen müssen die Anlagen über mehr Heiz- und Kühlzonen verfügen, um dem Anwender mehr Flexibilität zur Einstellung des idealen Lötprofils zu geben. Hier spielt vor allem eine exakte und stabile Temperaturtrennung der Heizzonen eine Rolle. Und zwar unabhängig davon, ob die Maschine aktuell mit wenigen Baugruppen oder voll beladen ist – die Reproduzierbarkeit des Temperaturprofils ist grundsätzlich oberstes Gebot.
Moderne Lötsysteme müssen einfach bedien- und parametrisierbar sein. Denkt man z.B. an das große Produktspektrum im EMS-Bereich (Electronic Manufacturing Service), wird die zeitraubende Ermittlung des idealen Lötprofils für jede neue Baugruppe immer mehr zum wirtschaftlichen Faktor. Unterstellt man beispielsweise nur durchschnittlich 20 bis 30 Minuten pro Leiterplatte und multipliziert dies mit der Anzahl der unterschiedlichen Baugruppen, so fehlen schnell 100 Stunden und mehr pro Jahr an Produktivität. Ähnliches gilt für Wartung, Service und Instandsetzung und steht in krassem Gegensatz zu dem enormen Kostendruck, der mittlerweile in der Industrie besteht. State-of-the-Art Reflow-Anlagen müssen deshalb über intelligente Steuerungs- und Softwarekonzepte verfügen, die dem Anwender wesentliche Teile dieser Arbeit abnehmen oder aber erleichtern.
Mit unserem neuen Softwarepaket EPOS (ERSA Proccess Optimization Software) haben wir hier Zeichen gesetzt. Es stellt für den Anwender ein wertvolles und unentbehrliches Werkzeug dar, seinen Prozess zu optimieren und seine Produktivität messbar zu erhöhen. Beispielsweise ermöglicht EPOS dem Anwender das Ermitteln und Analysieren seiner Lötprofile im Offline-Betrieb. Er bekommt eine genaue Profilvorhersage, die er solange optimieren kann, bis sie seine Spezifikationen erfüllt. Anschließend überspielt er diese Idealparameter als Lötprogramm direkt in die Maschine. Zur Kontrolle kann er auch jederzeit eine echte Profilaufzeichnung mit einem Temperaturrekorder einspielen. Die Software erlaubt außerdem die komplette Dokumentation aller Prozessdaten bis hin zum Ablegen von Bilddaten zum Produkt.
Redaktion: Wie wird sich die Einführung der bleifreien Lote auf die Lötanlagen auswirken?
Schenker: Die Vielzahl unserer Kunden legen Wert darauf, dass alle neuen Anlagen in der Lage sind, bleifreie Lote zu verarbeiten. Deshalb wurden alle Aggregate und Komponenten unserer Lötanlagen auf die Verträglichkeit mit bleifreien Loten abgestimmt. Bei Wellenlötanlagen betraf dies vor allem die Materialien des Lötmodules. Da der Einsatz bleifreier Lote konsequenter Weise in engem Zusammenhang mit VOC-freien Flussmitteln zu sehen ist, wurden auch Fluxersyteme und Vorheizungen überarbeitet und angepasst.
Die prozesstechnischen Voraussetzungen habe ich bereits angesprochen. Maschinenbautechnisch müssen in erster Linie Aggregate und Materialen eingesetzt werden, die den höher Arbeitstemperaturen dauerhaft standhalten. Außerdem müssen alle Bestandteile des Prozesstunnels, gegen das Verhalten der Flussmitteldämpfe bei höheren Temperaturen resistent sein.
Redaktion: Werden sich künftig auch andere Lötverfahren als das Reflow-Löten stärker durchsetzen können und warum?
Schenker: Es kommt immer darauf an, über welche Anwendungen und Einsatzgebiete man spricht. Als Massenlötverfahren sehen wir derzeit noch keine Alternative zum Reflow-Löten. Wobei wir hierzu auch die Dampfphase zählen. Aber selbst dieses Verfahren wird seinen Nischencharakter nicht ablegen können, wenn es gegen die Möglichkeiten neuer Konvektionssysteme bestehen muss. Selbstverständlich werden wir uns als Lötmaschinenhersteller mit diesem Thema auch weiterhin intensiv beschäftigen. Derzeit geht es darum, die technisch und wirtschaftlich sinnvollsten Konzepte zu entwickeln, die auch für den bleifreien Lötprozess geeignet sind. Hier sehen wir derzeit ganz klar den Vorteil bei den Konvektionsanlagen. Deshalb werden wir uns vor allem mit der Optimierung dieser Technik beschäftigen. Mit der neuen Maschinengeneration Hotflow 2/24 haben wir bereits einen Technologiesprung vollzogen.
Ob noch andere, ergänzende Verfahren nötig werden und ob sich diese dann durchsetzen, hängt in erster Linie mit der Entwicklung auf dem Bauteilesektor zusammen.
Redaktion: Wann macht das Selektiv-Löten Sinn, welche speziellen Anforderungen werden dabei an die Anlagen gestellt und wie werden sie gelöst?
Schenker: Es gibt drei Hauptbeweggründe für das Selektiv-Löten:
  • 1. Automation des Handlötprozesses, wo noch in großen Stückzahlen manuell verarbeitet wird und die Lohnkosten sehr hoch sind. Selektivlöten ist um ein Vielfaches schneller als das Löten mit dem Lötkolben. Darüber hinaus garantiert eine gute Selektivlötanlage reproduzierbare Lötstellen.
  • 2. Steigerung der Lötqualität und Senkung der Lötfehlerraten, da für jede einzelne Lötstelle ein individueller Parametersatz erstellt werden kann.
  • 3. Wirtschaftliche Aspekte, in denen der Aufwand, Energie- und Platzbedarf von Wellenlötsystemen in keinem Verhältnis zur Anzahl der zu verarbeitenden Komponenten steht.
Die wichtigste Anforderung an eine Selektivlötanlage besteht darin, dass sie alle drei Prozessschritte des Lötverfahrens, nämlich Fluxen, Vorheizen und Löten, mit äußerster Präzision erfüllt. Was nützt es beispielsweise, wenn eine Maschine zwar genau lötet, aber auf Grund von mangelhaften Vor- und Oberheizkonzepten keine ausreichenden Lötmenisken auf der Leiterplattenoberseite erzielen kann.
Unsere Selektiv-Lötanlagen verfügen deshalb über ein umfassendes Vorheizkonzept. Der Anwender kann beliebige Kombinationen aus dynamischer Infrarot- und Konvektionsheizung von oben und unten zusammenstellen. Selbst im Lötmodul befinden sich oben Heizmodule, um die vorgewählten Vorheiztemperaturen permanent stabil zu halten. Die Fluxersysteme müssen hochpräzise und feinst dosierbar sein. Sie sind die Voraussetzung für den rückstandsfreien Lötprozess.
In unseren Maschinen setzen wir daher frequenzgesteuerte Multidrop-Systeme ein,die ähnlich wie ein Tintenstrahldrucker arbeiten und Flussmittelmengen im µ-Bereich ermöglichen. Der Sprühkopf selbst ist auf einem Servo-Postionier-System montiert und garantiert eine Sprühstrahlgenauigkeit von 0,1 mm.
Beim Lötmodul selbst entscheidet vor allem die Flexibilität beim Parametrisieren, Schnelligkeit sowie die Wiederholgenauigkeit. Schließlich geht es darum, möglichst „Zero-Defect“ zu erzielen.
Grundsätzlich kann der Lötprozess durch zwei unterschiedliche Verfahren erfolgen, die sowohl einzeln als auch in Kombination in eine Maschine integriert werden: Entweder mit der Versaflow-MultiWave-Technik, bei der alle Komponenten gleichzeitig über eine Vielzahl von dynamisch fließenden, dem Leiterplatten-Layout angepassten Lotfontänen verlötet werden. Oder aber durch das Versaflow-Einzellötmodul, mit dem jedes Bauteil individuell bearbeitet wird. Das Herz dieses Verfahrens bildet eine hochpräzise, elektrodynamische Punktlötwelle. Sie befindet sich in einem Löttiegel mit nur 10 kg Lotvolumen, der auf einem xyz-Positioniersystem montiert ist. Die Lötstellen werden entweder als Einzellötpunkte oder in Bahnen verarbeitet. Bei beiden Lötverfahren wird unter Stickstoffatmosphäre gearbeitet.
Entscheidend ist bei der Versaflow, dass die Leiterplatten horizontal, ohne Masken oder Träger durch die Maschine befördert werden können. Die Leiterplatte selbst wird beim Fluxen und Löten nicht bewegt. Dies ist eine entscheidender Vorteil gegenüber Robotersystemen, bei denen die Leiterplatte zuerst durch aufwändige Greifersysteme aufgenommen werden muss, bevor sie anschließend in die verschiedenen Positionen bewegt wird. Dies ist vor allem bei Komponenten, die eine exakte Einhaltung der Lötposition erfordern, sehr kritisch.
Neben den technischen Aspekten einer Selektivlötanlage sind vor allem eine einfache Programmierbarkeit und Handhabung der Systeme gefordert. Die Versaflow-Maschinen-Software basiert auf einer sehr übersichtlichen Windows-Oberfläche. Zur schnellen Programmierung können einfach die CAD- oder Gerberdaten der Leiterplatte geladen werden. Kameras im Lötmodul liefern eine perfekte Prozessvisualisierung und erleichtern die Parame-terermittlung erheblich.
Redaktion: Welche künftigen Entwicklungen sehen Sie bei Lötanlagen und -verfahren?
Schenker: Die wesentliche Rolle für künftige Lötsysteme spielt die Entwicklung beim „Bleifreien Löten“ und die weitere Miniaturisierung auf dem Bauteil- und Baugruppensektor. Die Prozessfenster werden immer kleiner und erfordern immer mehr Präzision bei allen Verfahrensparametern. Prozesskontrolle wird zum zentralen Thema. Der Trend in Richtung Verarbeitung von „Bare Chips“ wird sich weiter durchsetzen und die Packungsdichte auf den Leiterplatten wird weiter steigen. Hier kommen auf jeden Fall große Herausforderungen auf uns zu, die auch neue oder ergänzende Verfahren zu Folge haben können.
Neben den ganzen technologischen Herausforderungen gewinnt der wirtschaftliche Aspekt zukünftiger Lötsysteme zunehmend an Bedeutung. Dies betrifft einerseits die Leistungsfähigkeit der Anlagen, als auch deren Energiebilanz und Platzbedarf. Darüber hinaus müssen sie immer einfacher zu bedienen sein und mit minimalem Service- und Wartungsaufwand betrieben werden können.
Redaktion: Vielen Dank Herr Schenker.
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