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Mehr Nutzen durch Umstrukturierung

Vorteile durch bleifreie Selektivlöttechnik im EMS Wettbewerb
Mehr Nutzen durch Umstrukturierung

Der enorme Kostendruck, dem sich EMS Dienstleister stellen müssen, erfordert häufig auch ein Umdenken in der Organisation etablierter Fertigungsstrukturen. Schlafhorst Electronics in Mönchengladbach hat sich diesen Herausforderungen erfolgreich gestellt, und durch eine Neuordnung der Fertigungsstruktur wurden technologische und wirtschaftliche Vorteile weiter ausgebaut.

Felix Meckmann, Ulrich Dohmen, Schlafhorst Electronics , Mönchengladbach & Jürgen Friedrich, Ersa, Wertheim

Maßgeblich beeinflusst wurde diese Entscheidung durch permanente Kundenforderungen nach immer niedrigeren Kosten aber auch immer höherer Qualität und kürzeren Durchlaufzeiten der Aufträge. Parallel zu diesen Forderungen stand die Umsetzung der RoHS im Mittelpunkt, was für die Elektronikfertigung u.a. die Einführung bleifreier Lotwerkstoffe bedeutete. Nur durch die rechtzeitige Umstellung der Fertigungsprozesse Mitte 2004 kann man sich heute gelassen zurücklehnen und die bleifrei Technologie als Standard-Dienstleistung anbieten.
Die Ausgangssituation der klassischen Baugruppenfertigung für THT Baugruppen bei Schlafhorst Electronics waren drei Wellenlötlinien. Für doppelseitig SMD bestückte Baugruppen mit THT Anteil war lange Zeit das Kleben der SMDs auf der Wellenlötseite der Baugruppe und das gemeinsame Löten mit den THT Bauteilen Standard. Durch diese Arbeitsweise waren häufig zusätzliche zeit- und kostenintensive Arbeiten erforderlich. Zu diesen Arbeiten zählte in hohem Maße das Abkleben von THT Bestückpositionen für den Wellenlötprozess mit Flüssigmasken oder der Einsatz von sehr kostspieligen Lötmasken mit einem hohen Handlingsaufwand. Die an diesen Positionen zu bestückenden Bauteile konnten aufgrund ihrer hohen Wärmekapazität nicht wellengelötet werden, da der THT Durchstieg, wie vom Kunden mit 100% gefordert, nicht immer garantiert werden konnte. Nach dem Wellenlötprozess mussten dann die Abdeckungen entfernt werden und die Bauteile wurden manuell gelötet. Der Handlötprozess per Lötkolben gestaltete sich aufgrund der hohen Wärmekapazität der Bauteile sehr schwierig. Häufig musste Wärmeenergie von oben und unten gleichzeitig zugeführt werden, um den geforderten Lotdurchstieg zu erreichen. Die Qualität aber vor allem die Optik dieser Lötstellen war ein permanenter Diskussionspunkt mit dem Kunden.
Gleichzeitig wurden, über die letzten Jahre betrachtet, die SMD Layouts immer enger. Neue Bauteilformen sind sehr oft für Wellenlötprozesse nicht mehr geeignet. Hier bleibt nur die Möglichkeit der Verarbeitung im Reflowlötprozess.
Das zunehmende Verlangen nach RoHS konformen Baugruppen konfrontiert einen EMS Dienstleister ebenfalls mit den unterschiedlichsten Kundenforderungen. Hier kommt man nicht umhin, zumindest für eine gewisse Übergangszeit zweigleisig zu fahren, was die Lotwerkstoffe im Wellenlötprozess betrifft. Für die Praxis bedeutet dies entweder eine Lötanlage mit Wechseltiegel oder zwei Lötanlagen, eine bleifrei und die andere mit bleihaltigem Lot. Aufgrund der Anforderung nach höchster Flexibilität und kurzen Durchlaufzeiten schied die Lösung mit Wechseltiegel frühzeitig aus. Die Umrüstzeiten sind aufgrund des Auftragseinganges nicht kalkulierbar.
Vor diesem Hintergrund wurde die Entscheidung getroffen, den gesamten Bereich der Elektronikfertigung umzustrukturieren. Im Detail betrachtet, kristallisierte sich sehr schnell heraus, dass dadurch eine komplette Wellenlötlinie inklusive der Handbestückungs- und Nacharbeitsplätze entfallen kann. Nach gründlicher Prüfung und Kalkulation der Fertigungsschritte und -kosten wurde die Entscheidung getroffen, die Wellenlötlinie komplett abzubauen und durch eine Selektivlötanlage Versaflow von Ersa zu ersetzen. Von den verbleibenden zwei Wellenlötlinien inkl. Handbestück- und Nacharbeitsplätzen wurde eine Linie auf ein bleifreies Lot umgestellt, die andere Linie arbeitet noch mit bleihaltigem Lot.
Die neue Fertigungsstruktur brachte enorme Vorteile: so konnte in einem Produktbereich der von einer hohen Variantenvielfalt geprägt ist, die Fertigungsdurchlaufzeit von 1,5 Wochen auf 2 Tage reduziert werden. Damit ist man heute in der Lage, Bestellungen direkt zu fertigen, wo früher noch auf Lager produziert werden musste. Die flexible Fertigung erlaubt darüber hinaus auch kleinste Losgrößen innerhalb kürzester Zeit zu produzieren. Diese Faktoren und der Wegfall des arbeitsintensiven Handlötens senken die Herstellkosten und erfreulicherweise konnte dieser Kostenvorteil dem Kunden in Form niedrigerer Preise weitergegeben werden.
Entscheidung für das Selektivlöten
Die Evaluierungsphase für die Kaufentscheidung des Selektivlötsystems bestand in ausgiebigen Vorversuchen im Demo- und Testcenter von Ersa. Die Randbedingung auch Losgrößen von nur einer Baugruppe fertigen zu können, ließen das Multiwellenlöten bereits im Ansatz ausscheiden. Dieser Forderung konnte nur mit einer flexiblen selektiven Miniwellenlötanlage mit einer kleinen Lötwelle nachgekommen werden. Die einfache, schnelle Programmierung und die auf Anhieb perfekten bleifreien Lötergebnisse auf Baugruppen, die auf Grund ihres hohen Lötwärmebedarfs als sehr schwierig eingestuft sind, forcierten die Kaufentscheidung.
Der große Vorteil des voll automatisierten Selektivlötens liegt in der Stabilität des Prozesses und der damit reproduzierbaren Fertigungsqualität. Gleichzeitig lässt sich der Automatisierungsgrad steigern, da die zeit- und kostenintensiven manuellen Arbeitsschritte entfallen. Höchste Flexibilität und kurze Durchlaufzeiten wurden realisiert, indem die Selektivlötanlage nicht in eine starre Fertigungslinie eingebunden ist. Die Selektivlötanlage wird als Fertigungsinsel betrieben, die in der Regel von einer Person bedient wird. Die Bestückung der Bauteile, die anschließende Kontrolle der gelöteten Baugruppe und evtl. erforderliche Nacharbeiten werden von einer Person in dieser Fertigungsinsel ausgeführt. Bei Bedarf kann das Personal jederzeit aufgestockt werden. Die Praxis zeigt allerdings, dass eine Person hier völlig ausreichend ist. Ein weiterer Vorteil, im Vergleich zu einer Wellenlötlinie, liegt in den kurzen Durchlaufzeiten der Baugruppen. Die Wartezeit an einer Wellenlötlinie, bis die Baugruppen zum Arbeitsplatz zurückkommen, ist mitunter sehr lange. Besonders bei kleinen Losgrößen können dadurch an den Arbeitsplätzen der Wellenlötlinie lange Totzeiten entstehen, in den eigentlich schon an den Folgeaufträgen gearbeitet werden könnte. Die kurzen Taktzeiten, die häufig im Bereich von 25 bis 30 s liegen, dürfen also nicht mit der eigentlichen Durchlaufzeit des Produktes vom Auflegen des Werkstückträgers am Arbeitsplatz, bis zu dessen Rückkehr nach dem Löten verwechselt werden. Bei längeren Wellenlötlinien mit bis zu 10 bis 15 Arbeitsplätzen können Durchlaufzeiten von bis zu 10 Minuten entstehen.
Die realisierte Insellösung mit der Selektivlötanlage zeigt hier ein völlig anderes Bild. Das besondere inline Konzept der Versaflow ermöglicht das simultane Arbeiten an drei Baugruppen in der Lötanlage. Das Fluxen, Vorheizen und Löten findet gleichzeitig in den entsprechenden Modulen statt. Die Taktzeit der Selektivlötanlage ist dadurch kurz und im Prinzip nur von der Anzahl der Lötstellen pro Baugruppe abhängig. Da lange Transportwege für die Baugruppen entfallen, kann mit Durchlaufzeiten von ca. drei Mal der Taktzeit einer Baugruppe ausgegangen werden. Die Gesamtfertigungszeit für Aufträge mit kleinen Losgrößen ist deshalb im Vergleich zur klassischen Lötwelle wesentlich kürzer.
Fertigungserfahrungen mit bleifreien Loten
Die kleineren Prozessfenster, die sich bereits im Vorfeld bei den Versuchen gezeigt haben, haben sich im Fertigungsalltag bestätigt. Eine Prozessqualifikation ist deshalb sehr wichtig und die Erfahrung zeigt, dass die Optimierungsphase für neue Baugruppen etwas mehr Zeit erfordert als bei bleihaltigem Lot.
Um die Prozesse abzusichern und auf eine stabile, breite Basis zu stellen, ist ein erhöhter Kontrollaufwand erforderlich. Herauszuheben, neben der z.B. regelmäßigen Kontrolle der Temperaturprofile, ist hier die regelmäßige Analyse des Lotes. Kupfer und Blei sind zwei Elemente die gezielt überwacht werden müssen, da eine Anreicherung dieser Elemente über die zulässigen Grenzen hin- aus in sehr kurzer Zeit stattfinden kann. Analysenintervalle im Bereich von 2 bis 4 Wochen sind zumindest in der Anfangszeit empfehlenswert. Die Kontamination des Lotes durch Blei wird sich in nächster Zukunft hoffentlich selbst erledigen, da immer mehr Bauteile RoHS konform ausgeführt werden. Dennoch muss der Grenzwert von 0,1% gem. ElektroG für den homogenen Werkstoff Lot regelmäßig kontrolliert werden. Das Kupferleaching wird sich leider nicht von selbst erledigen und stellt deshalb ein Punkt permanenter Aufmerksamkeit dar. Die Ablegierungsrate für Kupfer in bleifreie Lote ist abhängig von der Lottemperatur, der Dynamik der Lötwelle und der Legierung selbst. Sie ist aber in allen Fällen höher als bei den bekannten Zinn Blei Loten. Die Akkumulierung des Kupfers im Tiegel bewirkt nun eine Verschiebung der Lotzusammensetzung weg vom eutektischen Punkt. Dadurch entsteht eine Legierung, die keinen schlagartigen Übergang fest-flüssig und umgekehrt mehr besitzt, sondern einen Übergangsbereich der mit steigendem Kupfergehalt größer wird. Dieser Übergangsbereich ist dadurch gekennzeichnet, dass sich intermetallische CuSn Nadeln im noch flüssigen Lot ausscheiden. Besonders beim Abriss des Lotes von den Lötstellen kann dieser Übergangsbereich, durch die starke Bildung intermetallischer Partikel bei der Abkühlung des Lotes zu einer Erhöhung der Lötfehlerrate führen. Lotzapfen und Lotbrücken sind das sichtbare Ergebnis.
Um derartigen Effekten gezielt entgegenwirken zu können ist die Personalqualifikation sehr wichtig. Durch entsprechende Schulungen muss erlernt werden, welche Prozessindikatoren wichtig sind, um durch präventive Maßnahmen die Prozesse stabil zu halten. Schulungen können allerdings nur der Beginn und der Anstoß einer wertvollen Erfahrungskette sein, denn die Erfahrung die man selbst in der Fertigung sammelt, ist durch nichts zu substituieren.
Ausblick in die bleifreie Zukunft
Die Produkte des Kunden Schlafhorst/Saurer sind nahezu alle auf bleifrei Lote umgestellt, wobei die Qualifizierung dieser in Zusammenarbeit mit dem ZAVT in Lippstadt durchgeführt wurde. In Summe über die gesamte Fertigung betrachtet gab es im vergangenen Jahr eine hohe Steigerungsrate in der Umstellung auf bleifreie Baugruppen, wobei die RoHS Konformität nach wie vor hauptsächlich von den Bauteilen abhängt und deshalb oft noch nicht gewährleistet ist. Der Anteil bleifreier Baugruppen liegt aktuell bei über 50%. Die Kapazitäten der Fertigung liegen durchaus höher, doch leider bereitet das hohe Informationsdefizit bei vielen Kunden enorme Probleme beim Transfer bestehender Baugruppen in die RoHS konforme Welt. Hier sind an erster Stelle vor allem die fehlende Qualifizierung von Baugruppen und die fehlende Akzeptanz in Bezug auf das optische Erscheinungsbild bleifreier Lötstellen zu nennen. Fehlende Beurteilungskriterien für bleifreie Lötstellen von offizieller Seite unterstützen leider diesen Trend.
Die enge Zusammenarbeit im Rahmen einer strategischen Partnerschaft mit seinen Löttechnik-Lieferanten zeichnet sich auch durch betriebswirtschaftliche Aspekte aus. So führt die Reduzierung der Lieferanten beispielsweise in der Löttechnologie zu einer einfachen Ersatzteilversorgung und schlussendlich kann ein Servicetechniker an allen Lötanlagen Welle, Reflow und Selektiv arbeiten. Dies sorgt für eine Kostenreduzierung im laufenden Betrieb der Anlagen und Verbesserung der Verhandlungsparteien. Ein weiterer Aspekt, der für eine Reduzierung der Lieferanten spricht, ist die Übertragbarkeit von Fertigungsparametern und -erfahrungen an andere Produktionsstandorte. Bei gleichem Maschinenpark innerhalb des Unternehmens wird es wesentlich einfacher, auch ferne Produktionsstandorte fertigungstechnologisch zu unterstützen, da Optimierungen im eigenen Haus auf den gleichen Anlagen erarbeitet werden können. Ein zentrales Kompetenzzentrum kann die Qualifikation von Baugruppen durchführen, unabhängig davon, an welchem Standort die Baugruppen später gefertigt werden.
EPP 419

Ihr Bleifrei Partner Schlafhorst Electronics (SE) positioniert sich als Elektronik-Dienstleister (EMS-Provider) mit einem klaren Unternehmenskonzept, das auf den Kunden und seine Anforderungen ausgerichtet ist. Gestützt wird diese Aussage durch eine über 30-jährige Erfahrung in der Fertigung und Entwicklung von elektronischen Baugruppen und Produkten. Neben der bereits achtjährigen selbständigen Tätigkeit als EMS-Provider kann das Unternehmen auf eine langjährige Tradition als ehemalige Elektronikschmiede des Weltmarktführers Schlafhorst zurückblicken. Das Ergebnis sind ausgereifte Prozesse, sowohl in der Fertigung als auch in den anderen Unternehmensbereichen.
Als Kunden stehen mittelständische Unternehmen und Geschäftsbereiche international tätiger Unternehmen im Fokus, die als Anbieter von OEM- oder High-End-Produkten ein breites Spektrum an Leistungen bei SE in Anspruch nehmen. Die Unternehmen kommen u.a. aus den Branchen Industrie, Medizin- und Datentechnik, Mess- und Regeltechnik und Automotive. Die Anforderungen der Kunden sind dabei höchst unterschiedlich, neben Leistungselektronik für raue Umgebung werden elektronische Baugruppen und Produkte mit feinen Strukturen und Embedded Systeme an den beiden Standorten in Mönchengladbach/Deutschland und Lubsko/Polen entwickelt und produziert.
Die Maßnahmen und Projekte im Zuge der Bleifrei-Umstellung sind vielfältig. So stehen derzeit neben der Selektivlötanlage von Ersa eine SMD- und eine konventionelle Bestückungslinie bleifrei zur Verfügung. Zum Ende des ersten Halbjahres 2005 werden bereits 56% der Kundenprodukte RoHS-kompatibel gefertigt.
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Doris Jetter, Redaktion EPP und Sophie Siegmund Redaktion EPP Europe sprechen einmal monatlich mit namhaften Persönlichkeiten der Elektronikfertigung über aktuelle und spannende Themen, die die Branche umtreiben.

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