Deutsche Elektronikfertiger suchen in den aktuellen Boomzeiten händeringend nach Fachkräften. Statt nur zu reden und zu klagen, beschreitet die Krauss Electronic-Support GmbH seit Mitte Juli neue Wege: Unterstützt von Sponsoren aus der Industrie hat das mittelständische EMS-Unternehmen ein hochmodernes Schul- und Trainingszentrum eröffnet. Hier wird ausgebildet, was vielen Elektronikfertigern fehlt: Lötprofis, Certified IPC-A610 Specialists und Experten für SMT- und THT-Prozesse.
Was treibt einen Familienbetrieb in Delbrück bei Paderborn dazu, ein mehr als 600 Quadratmeter großes Schul- und Trainingszentrum für die Elektronikfertigung zu eröffnen?
„Wir sind seit unserer Gründung 1993 stark gewachsen. In den letzten Jahren mussten wir erkennen: Wir finden zu wenige gut ausgebildete Fachkräfte. Auch andere deutsche Elektronikfertiger kämpfen mit diesem Problem – gleichzeitig müssen wir uns aber gegenüber unseren Kunden extrem flexibel zeigen und in höchster Qualität fertigen. Der Mangel an qualifiziertem Personal hat sich in unserer Branche zur Wachstumsbremse entwickelt“, erläutert Firmengründer Dieter Krauss.
Während sich Politik und Wirtschaft in ihren Reden meist auf die „Ingenieurslücke“ stürzen, sieht Mittelständler Krauss weitere Herausforderungen. Ihm fehlt es in fast allen Bereichen an qualifiziertem Personal. „Auch wenn jemand löten kann, so braucht es in der Elektronikfertigung zusätzliches Wissen und Erfahrung. In fast allen Prozessen haben sich in der Elektronikfertigung extrem hohe Standards etabliert – auch dieses Qualitätsbewusstsein muss den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vermittelt werden. Auf dem normalen Arbeitsmarkt finden wir diese Fähigkeiten nicht“, verdeutlicht Firmenchef Dieter Krauss.
So hat man in Delbrück aus der Not eine Tugend gemacht. Im firmeneigenen Schul- und Trainingszentrum sollen künftig Fachkräfte nach den Anforderungen der Praxis und Branchenstandards wie IPC ausgebildet werden – auch für andere Elektronikfertiger. Das bisher einzigartige Ausbildungskonzept dafür hat Michael Haupthoff, Produktionsleiter bei Krauss Electronic-Support, entwickelt.
Praxisnahe Elektronikfertigung
Als selbst zertifizierter IPC-Trainer mit über 25 Jahren Praxiserfahrung will Michael Haupthoff in den verschiedenen Kursen Theorie und Praxis der Elektronikfertigung eng verzahnen: „Unser Angebot richtet sich an Elektronikfertiger aus ganz Deutschland, die ihre Mitarbeiter in mehr als Theorie und allgemeinen Techniken ausbilden lassen wollen. Wir bieten Praxisbezug, Ausbildung auf dem aktuellen Stand der Technik und bewerten alle Ergebnisse mit den Augen des EMS-Fertigers, der seinen Kunden höchste Qualität bieten muss. Uns geht es um den Hebel einer guten Ausbildung auf Produktivität und Qualität im Unternehmen – auf Wunsch konzipieren wir daher auch spezielle Schulungen für Mitarbeiter-Teams einzelner Unternehmen.“
Diese Verzahnung mit der aktuellen Praxis in der Elektronikfertigung konnten die Gäste schon am 15. Juli beim Festakt zur Eröffnung gut beobachten. Das Schul- und Trainingszentrum liegt direkt neben der Fertigung – Anschauungsunterricht und die Einbindung in die Fertigung sind Kernbestandteil der Kurse. Die Arbeitsplätze im Schul- und Trainingszentrum sind mit dem modernstem Equipment führender Hersteller wie ASM Assembly Systems, Ersa, Christian Koenen, Kolb oder Felder Löttechnik ausgestattet. Sie alle konnte man in Delbrück als Partner für das neue Ausbildungszentrum gewinnen – auch weil die Hersteller ein Eigeninteresse an gut ausgebildeten Fachkräften haben.
„Wir wissen aus vielen Kundengesprächen, dass sich der Fachkräftemangel im Bereich der Prozesstechnik sowie bei der Bedienung von Maschinen und bei den manuellen Arbeiten zu ei- ner echten Wachstumsbremse für Elektronikfertiger auswächst. Die Herausforderungen unserer Kunden sind aber letztlich auch unsere Herausforderungen: Wer kein Bedienpersonal bekommt, wird auch bei guter Auftrags- lage nicht oder nur zögerlich in neue Linien investieren. Des- halb begrüßt und unterstützt das Siplace Team das außergewöhn- liche Engagement der Krauss Electronic. Was die Familie Krauss und ihr Produktionsleiter Mi- chael Haupthoff auf die Beine stellt, ist ein Leuchtturmprojekt und eine unternehmerische Antwort“, bestätigt Gabriela Reckewerth, Marketing Director des Siplace Teams.
Die Zeit drängt und so werden schon im August und Septem- ber dieses Jahres die ersten Kur- se im neuen Schul- und Trai- ningszentrum starten – von Lötkursen über die Ausbildung zum ESD-Koordinator oder CIS nach IPC-A610 bis hin zu Prozess- schulungen. Nähere Informationen zu den aktuellen Kursangeboten gibt es unter:
Sylvia Metzner (li.), Tochter des Firmengründers und Geschäftsführerin der Krauss Electronic-Support GmbH und Gabriela Reckewerth (re.), Marketing Director ASM Assembly Systems, über ihre unkonventionelle Zusammenarbeit.
Frau Metzner, wie kommt ein Mittelständler zu einem eigenen Ausbildungszentrum?
Wie heißt es so schön in den Krimis: Wir hatten die Möglichkeit und das Motiv.
Tatsächlich kämpfen wir seit Jahren mit dem Fachkräftemangel. Gemeinsam mit unserem Produktionsleiter Michael Haupthoff entstand dann die Idee zum Schul- und Trainingszentrum. Durch die tolle Zusammenarbeit mit den Partnern aus der Industrie konnten wir unsere Ideen dann verwirklichen.
Frau Reckewerth, warum unterstützen Equipment-Hersteller diese Initiative?
Das Siplace Team von ASM Assembly Systems ist ebenso wie unsere Kollegen von Ersa, Christian Koenen, Kolb oder Felder Löttechnik und anderen Partnern von diesem Konzept überzeugt. Im Kern geht es bei der Ausbildung doch um die mittel- und langfristigen Wachstumschancen unserer Branche in Deutschland. Die deutschen Elektronikfertiger müssen bei Effizienz, Qualität und Flexibilität an der Spitze bleiben, um dem internationalen Preis- und Konkurrenzdruck standhalten zu können. Ohne qualifiziertes Personal geht das nicht.
Wie ist das Echo in der Branche, Frau Metzner?
Wir erfahren Anerkennung und Unterstützung. Viele EMS-Unternehmen aus der Region haben sich bereits bei der Eröffnung informiert und auch erste Kurse gebucht. Jetzt wollen wir das Konzept auch überregional, bundesweit ausrollen. Wichtig ist uns, dass der Schwerpunkt auf der Praxis liegt und sich die Aus-bildung sofort in den Unternehmen auszahlt. Daher bieten wir auch an, die Kursinhalte ganz individuell auf die Anforderun-gen in den Unternehmen abzustimmen.
Fachkräftemangel in Deutschland
Politik und Verbände fokussieren sich in der öffentlichen Diskussion zum Thema Fachkräftemangel meist auf die „Ingenieurslücke“. Laut Institut der deutschen Wirtschaft (IW Köln) und VDMA werden bis zum Jahre 2020 etwa 470 000 Ingenieure aus Altersgründen die deutsche Wirtschaft verlassen. Zu diesem Ersatzbedarf kommt noch ein Expansionsbedarf von 420 000 Ingenieuren, um mit der zunehmenden Technisierung der Wirtschaft Schritt halten zu können. Da deutlich weniger Ingenieure ausgebildet werden, wird laut IW Köln bis zum Jahre 2020 zwischen Bedarf und Angebot eine Lücke von 380 000 Ingenieuren klaffen.
Vor diesem Hintergrund erwarten Fachleute, dass es für mittelständische Unternehmen künftig nochmals deutlich schwerer werden wird, Ingenieursnachwuchs zu rekrutieren. Zum einen präferieren viele junge Ingenieure mit Blick auf Gehalt, Standortflexibilität und Karrierechancen eine Anstellung in Großunternehmen. Zum anderen hat der Mittelstand kaum Zugriff auf internationale Arbeitsmärkte, um den Mangel an deutschen Nachwuchskräften zu beheben.
Die „Ingenieurslücke“ ist aber nur ein Teilaspekt des Fachkräftemangels, wie Peter Staudt, Regionalgeschäftsführer der Bundesverbandes mittelständischer Wirtschaft (BVMW), anlässlich der Eröffnung des Schul- und Trainingszentrums in Delbrück ausführte: „Ich weiß von meinen Besuchen in den Unternehmen, dass es vielen Bewerbern ganz allgemein an Qualifikation fehlt – auch bei vorwiegend manuellen Tätigkeiten. Viele Arbeitskräfte sind sehr praxisfern ausgebildet oder oftmals an Anlagen und Maschinen mit überholter Technologie. Der hohe Qualitäts- und Wettbewerbsdruck in den Unternehmen wird in der Ausbildung zu wenig vermittelt. Genau hier liegt der Wert des innovativen Konzeptes, das die Krauss Electronic-Support hier aufgesetzt hat.“
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