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Selektivlöten von Baugruppen Manfred Fehrenbach, Eutect, Dußlingen; Gundolf Reichelt, Ingenieurbüro, Berlin; Stefan Penzenstadler, Zollner, Zandt

Verfahren zur Erprobung der Bleifrei Technologie
Selektivlöten von Baugruppen Manfred Fehrenbach, Eutect, Dußlingen; Gundolf Reichelt, Ingenieurbüro, Berlin; Stefan Penzenstadler, Zollner, Zandt

Vom 4. bis 8. August 2003 organisierte der Fachkreis BFE (Blei-Freie-Elektronik) im Rahmen seiner Lötkampagne eine Testreihe mit den 4 Bleifreiloten Sn-3.5Ag, Sn-3.8Ag-0.7Cu, Sn-0.7Cu, Sn-0.7Cu-0.1Ni und dem Referenzlot Sn63Pb37 auf verschiedenen Leiterplattenoberflächen, die mit jeweils identischen Lötparametern abgearbeitet wurden. Involviert waren Zollner Elektronik, Eutect und Balver Zinn. Die Fragestellung lautete: Welche Einstellungen der Lötparameter erfordern die bleifreien Lote?

Drei Argumente beschreiben die Begründungslage für das kostenintensive Vorhaben der Blei-Elimination in den Elektronikprodukten:

  • 1. Umweltschutz: Vermeidung des toxischen Bleis in den industriellen Arbeitsprozessen und als Risikoelement für die Biosphäre beim Endverbleib von Produkten und Abfällen;
  • 2. Marketing: Die hohe Attraktivität „grüner“ Produkte für den Endabnehmer;
  • 3. Verbreiterung der Technologiebasis: Das einzigartige Eigenschaftsprofil des SnPb-Eutektikums bezüglich der Elektronikanwendungen hatte bisher zu einer Vernachlässigung der anderen interessanten Sn-Basislegierungen geführt. Da eine „Drop-in“-Legierung nicht existent ist, werden voraussichtlich mehrere der Sn-Basis-Systeme mit ihrem breiter gestreuten Eigenschaftsspektrum zum Einsatz kommen.
Vorschriften
Es ist allgemein bekannt, dass die EU-Richtlinie RoHS (Restrictions of Hazardous Substances, in Kraft gesetzt am 13.02.2003) für die Elektronikprodukte – mit wenigen Ausnahmen – die Bleifreiheit fordert. Das bedeutet, vor wenigen Jahren auch für viele Branchen-Insider unvorstellbar, dass das seit Jahrzehnten bewährte Lot Sn63Pb37, in der Summe seiner technischen Eigenschaften, dazu in Verfügbarkeit und Preis bisher nicht erreicht, in gleichwertiger Weise durch bleifreie Lote ersetzt werden muss. Doch zwischenzeitlich sind Forschungsprojekte durchgeführt worden, die sowohl in der Lotauswahl als auch den möglichen und sinnvollen Lötprozessbedingungen grundsätzliche Klarheit gebracht haben. Außerdem haben viele Firmen eigene Untersuchungen angestellt, wie beispielsweise auch Mitglieder unseres Fachkreises BFE Blei-Freie-Elektronik seit seiner Gründung im Jahre 2000. Die EU-Richtlinie legt für den spätesten Lieferbeginn der bleifreien Elektronik an den Endabnehmer den 1.7.2006 fest. Dieser Termin lässt wenig Zeit für die Bleifrei-Umstellung, da man die Lötprozesse umgestalten, die Lotmaterialien qualifizieren, Bauelemente und Leiterplatten anpassen bzw. in angepasster Form beziehen, logistische Optimierungen durchführen, Entwicklungsgrundlagen geeignet modifizieren, die Mitarbeiter einweisen und schulen und die umgestellten Produkte und Fertigungsprozesse freigeben muss. Aufgaben, die je nach Größe des Hauses, Produktionsvolumen, Kundenspezifikationen usw. sehr unterschiedliche Größenordnungen annehmen können. In vielen Fällen ist ein Bleifrei-Vorlauf erforderlich, um Zwischenlagerzeiten, Absatzstockungen usw. zu berücksichtigen.
Lötanlage
Das Selektivlöten wird nicht nur für das „Einschwallen“ der THT-Bauelemente auf mixed Boards benötigt (in diesem Sinne auch als „Punktwelle“ bezeichnet), sondern oft auch für Lötverbindungen an geometrisch schwierigen Objekten auch außerhalb der Elektronik verwendet. Die Herstellung der notwendigen Positions-Zeit-Beziehung zwischen den Fügeflächen und der Lotquelle erfordert die gekonnte Kombination der Robotertechnik mit der Löttechnologie, die besondere Stärke des Hauses Eutect.
Als Selektiv–Lötanlage wurde der Typ LW1-S150 auf Grund seiner Flexibilität und Prozessstabilität ausgewählt. Das aus Gerberdaten Daten generierte Lötprogramm (Bild 3) kann in allen relevanten Parametern frei verändert werden, wodurch eine optimale Einstellung für die Lötkampagne erreicht werden konnte. Der Flussmittelauftrag erfolgte mittels Inkjet-Düse über die gleichen Grundparameter. Es erfolgte weiterhin eine Vorwärmung der Leiterplatte mittels Heizgebläse.
Die bleifreien Lote
Nach dem Motto: „Es ist uns nicht der Mühe wert, die Dinge halb zu tun“, wurden in nur drei Tagen die fünf Favoriten-Lote im Testdurchlauf gelötet.
Die Auswahl (Tabelle) stellt die derzeit anwendungsrelevantesten bleifreien Elektronik-Lote für die Flow-Verfahren dar. SnAg, aus dem Bereich der Kfz-Elektronik wohl bekannt und bewährt, ist für breitere Anwendungen durchaus geeignet. SnAgCu wird von einigen Großunternehmen, auch von wichtigen Industrieverbänden als bleifreies Nachfolgelot für SnPb propagiert. SnCu ist bisher als Billiglot für untergeordnete Anwendungen regelrecht verkannt worden, es hat wertvolle technologische Eigenschaften, ist in der Zuverlässigkeit der Lötverbindungen dem SnAg und dem SnAgCu überlegen und dem SnPb gleichwertig, wie neuerliche Untersuchungen bei Boeing belegen [1]. SnCuNi ist eine legierungstechnische Weiterentwicklung des SnCu, der Ni-Zusatz bremst die Cu-Ablegierung (Cu-leaching), verringert den Krätzeanfall und soll weitere Vorteile aufweisen, die durch praktische Erfahrungen und gezielte Experimente für die Fertigungspraxis noch zu unterlegen sind; auch der Fachkreis BFE arbeitet daran, dies herauszufinden.
Diese beiden letztgenannten Legierungen haben den Nachteil eines höheren Schmelzpunktes gegenüber den konkurrierenden Loten. Es wird zwischenzeitlich jedoch deutlicher, dass die Bauelementeindustrie ihre voll mit den Bleifrei-Anforderungen kompatiblen Bauelemente für die Verarbeitbarkeit mit allen gängigen Loten unter Einschluss des SnCu auslegen wird (schwierige Grenzfälle aufgrund eines speziellen Baugruppen-Designs und aufgrund chemisch-physikalisch gegebener Temperaturempfindlichkeiten wird es immer geben). Die genannte Auswahl der Lote stellt somit die derzeit anwendungsrelevantesten bleifreien Elektronik-Legierungen dar. Mit der Erprobung dieser Lote wird die Skala der aus heutiger Sicht für die Flow-Verfahren ernsthaft in Betracht kommenden bleifreien Lot-Grundsysteme vollständig abgedeckt.
Die vom Fachkreis BFE bisher durchgeführten 4 Wellenlötkampagnen mit diesen Loten lieferten folgende Ergebnisse:
1. Baugruppen bis zu mittleren Schwierigkeitsgraden lassen sich mit folgenden typischen Parametern fehlerarm löten:
Badtemperatur 260 °C, Vorwärmtemperatur 140 °C, Transportgeschwindigkeit 1 bis 1,5 m/min, Kontaktzeit >/= 3 s.
  • 2. Das Lötfehler-Niveau ist für alle genannten bleifreien Legierungen deutlich höher als für SnPb.
  • 3. Die bleifreien Lote erscheinen bezüglich der Lotbrücken-Häufigkeit nicht sehr unterschiedlich, differieren jedoch bei den Nichtlötungen.
Für den Selektiv-Lötprozess lässt sich daraus ableiten, dass eine Lottemperatur von 260 °C am Düsenaustritt ausreichend hoch sein sollte, zumindest ein vernünftiger Ausgangswert für eine Optimierungsreihe ist.
Es wurde so vorgegangen, dass zuerst eine Programmierung des Prozesses für SnPb ermittelt wurde, mit der praktisch fehlerfrei gelötet werden konnte. Diese Einstellung wurde für die bleifreien Lote übernommen.
Versuchsdurchführung
Die Temperatur des Lotes an der Düse wurde variiert: 250 und 270 °C. Die verwendete Baugruppe mit doppelseitigem Layout ist keine Selektivbaugruppe im klassischen Sinn. Dennoch bietet sie aber für die Versuchsreihe ideale Voraussetzungen zur Ermittlung von möglichen auftretenden Prozessfehlern (Lötbrücken, mangelnder Lotdurchstieg etc.).
10-fach – Mehrfachnutzen … warum?
Der 5×2-Nutzen wurde in 1×2-Partien jeweils mit einem Lot gelötet, so dass auf einem Nutzen nebeneinander alle 5 Lote auf ihr Lötbild, Fehler etc. beurteilt werden können. Der Nutzen kann auch zur simultanen Stressbeaufschlagung und Zuverlässigkeitsuntersuchung der 5 Lote verwendet werden.
Verschiedene Oberflächen … warum?
Um Verhalten und Auswirkungen der Lotlegierungen auf unterschiedliche Oberflächenfinishes zu untersuchen, wurden die Versuchslötungen auf den üblichen bleifreien Oberflächen (chem. Sn, Ni/Au, OSP, chem. Ag) einer bleifrei mit SnCuNi heißverzinnten Leiterplatte sowie der Referenz-SnPb-Oberfläche durchgeführt.
Ergebnisse
Die Ergebnisse der Kampagne aus Sicht der Zollner Elektronik sind überaus positiv. Der modulare Aufbau mit kurzen Tiegelwechsel- und Aufheizzeiten kombiniert mit der sehr guten Prozessstabilität der Eutect Lötmaschine ermöglichten einen objektiven Vergleich der einzelnen Legierungen.
Nach Programmierung und Optimierung der Baugruppe mit SnPb wurde mit einem Parametersatz die komplette Kampagne abgefahren. Auf eine Optimierung bei den bleifrei Legierungen während der Versuches wurde verzichtet, nachdem sich herausgestellt hatte, dass die Verwendung der bleifreien Lote mit dem für SnPb ermittelten Programm nur in geringem Umfang vermehrt Lötbrücken gegenüber dem SnPb (Bild 4) zur Folge hatte.
Fazit: Bleifreie Lote sind einsetzbar. Eine Temperaturerhöhung war für den selektiven Lötprozess bei dem gegebenem Lötobjekt nicht notwendig.
Das fehlerfreie Löten wird wahrscheinlich erst bei löttechnisch schwierigen Boards und/oder bei Annäherung an die Löt-Grenzgeschwindigkeit (bei Forderung nach Durchsatzmaximierung, Wirtschaftlichkeit bei High-Volume-Baugruppen) problematisch.
Abschließende Bemerkung
Abschließend ist deutlich darauf hinzuweisen, dass das Selektivlötverfahren, das seinen Platz als Serienverfahren längst gefunden hat, auch ein kostengünstiges Lötverfahren zur Erprobung der Bleifrei-Technologie darstellt. Die Lot-Einsatzmenge für die Eutect-Maschinen beträgt bis herunter zu etwa 20 kg. Damit können – neben Verfahrensuntersuchungen – mit (noch?) unüblichen Legierungen, gelötete Boards für weitere Erprobungen mit wenig Aufwand hergestellt werden, insbesondere, wenn Lotpaste (oder Lotdraht für Handlötungen, die auch aus anderen Gründen ausscheiden können) nicht verfügbar sind, oder wenn es sich eben um interessante Experimental-Legierungen handelt.
Für den industriellen Einsatz bleifreier Lote sollte zur Verringerung der Fehlerrate meist eine Programmoptimierung an bestehenden Anlagen durchgeführt werden (Zeitfaktor beachten!).
Der Vorteil einer Selektivlötmaschine, auf jede einzelne Lötstelle individuell (selektiv) reagieren zu können, lässt hier jedoch ein hohes Verbesserungspotenzial bei Lötfehlern zu.
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