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Wärme entlarvt unsichtbare Fehler

Volles Potenzial in der Qualitätskontrolle
Wärme entlarvt unsichtbare Fehler

Ob winzige Risse im Rotorblatt einer Windkraftanlage, defekte Klebverbindungen oder Lötfehler in einem elektronischen Bauteil – mit der Wärmefluss-Thermografie kommt man verborgenen Fehlern auf die Spur.

Hellmuth Nordwig, Fraunhofer Institut

Es muss nicht immer die berühmte Stecknadel im Heuhaufen sein. Aber wie findet man zum Beispiel ein Steinchen in einem Beutel mit geschälten Haselnüssen? Oder wie macht man Wasserzeichen in Urkunden sichtbar, falsches Blattgold in einer Ikone oder eine gestanzte Inschrift, die unter einer dicken Lackschicht versteckt ist? Ganz einfach: mit Wärme! Eine Infrarotkamera nimmt die Verteilung der Wärme auf. So lassen sich Materialdefekte in teuren Turbinenschaufeln oder Klebefehler in einem Holzfurnier aufspüren. Die Wärmefluss-Thermografie misst zerstörungsfrei und in Echtzeit, also während laufender Produktionsprozesse.
Das Messprinzip ist denkbar einfach: Bestrahlt man einen homogenen Körper mit einer Wärmequelle, so strahlt er rundum die gleiche Energiemenge ab. Weist er aber in seinem Inneren Fehlstellen oder Fremdkörper auf, so verraten sich diese durch wärmere oder kältere Stellen an der Oberfläche. Denn die Wärmeabstrahlung von Stein und Haselnuss, Klebstoff und Luft sind bei derselben Temperatur deutlich verschieden. Dieses Phänomen hat schon Max Planck vor mehr als hundert Jahren beschrieben, und Anschauungsmaterial gibt es im Alltag genug: Metall wird in der Sonne heißer als Kunststoff und Wärmekissen werden aus gutem Grund mit Kirschkernen oder Dinkelsaat gefüllt und nicht mit Styroporkügelchen.
Doch erst in jüngster Zeit ist die Wärmefluss-Thermografie auch als Verfahren zur Qualitätskontrolle für die Industrie interessant geworden – „erst seit hoch leistungsfähige und praxistaugliche Infrarotkameras zur Verfügung stehen“, sagt Dr. Norbert Bauer, der in Erlangen das Koordinierungsbüro der Fraunhofer-Allianz Vision leitet. Dieser unsichtbare Infrarotbereich des Spektrums ist nichts anderes als die Wärmestrahlung. Sie wird zum Beispiel von Nachtsichtgeräten erkannt, wie sie Jäger oder Grenzpolizisten verwenden; die Industrie verwendet dazu Matrixkameras. Doch erst in Verbindung mit ausgeklügelten Bilderkennungs-Algorithmen – einem der Schwerpunkte in der Allianz Vision – entfaltet die Wärmefluss-Thermografie ihr volles Potenzial in der Qualitätskontrolle. „Sie erlaubt außerdem eine hohe Prüfgeschwindigkeit und sie kann relativ einfach automatisiert werden“, fasst Norbert Bauer zwei weitere Pluspunkte gegenüber anderen zerstörungsfreien Prüfverfahren zusammen.
Punkt für Punkt wird gemessen
In der Regel muss das Objekt zunächst erwärmt werden – rasch und möglichst gleichmäßig über eine größere Fläche hinweg. Je nach der Prüfaufgabe kommen dafür Blitzleuchten oder Laser in Frage; in der industriellen Online-Thermografie auch Linien- und Flächenstrahler aus Quarzglas, Kohlefasern oder Keramik. Bei schwierigeren Fragestellungen, etwa bei sehr inhomogenen Objekten, ist es günstig, nicht nur die Ausbreitung einzelner Wärmeimpulse zu verfolgen, sondern den Prüfling mit sinusförmigen Wärmewellen anzuregen. „Während die Nachweistiefe bei Blitzlichtpulsen eher gering ist, kommen wir bei dieser Form der Thermografie umso tiefer, je länger wir messen“, berichtet Dr. Udo Netzelmann vom Fraunhofer-Institut für Zerstörungsfreie Prüfverfahren IZFP in Saarbrücken.
Zur Auswertung wird das abkühlende Prüfobjekt meist auf einem Förderband unter die Infrarot-Kamera geschoben. Deren Pixel messen Punkt für Punkt die Wärmestrahlung. Dabei werden die früher üblichen Temperaturdetektoren, gewissermaßen punktförmige Thermometer, immer häufiger durch die leistungsfähigeren Quantendetektoren ersetzt. Diese bestehen aus einem halbleitenden Material (zum Beispiel Indium-Gallium-Arsenid) und wandeln die eintreffende Wärmestrahlung direkt in ein elektrisches Signal. Allerdings müssen sie dazu mindestens auf minus 130 Grad Celsius gekühlt werden. Üblich sind Kameras mit 640 x 512 Pixeln. Sie können noch Temperaturunterschiede von 15 Tausendstel Grad erfassen und außerdem bis zu tausend Aufnahmen in der Sekunde anfertigen, was bei bewegten Objekten wichtig ist.
Die Leistungsfähigkeit der Wärmefluss-Thermografie wird vor allem durch die Gesetze der Physik begrenzt: Zum einen kann die Auflösung nicht wesentlich besser sein als die Wellenlänge der Infrarotstrahlung, nämlich 3 bis 5 Mikrometer. Zum anderen ist auch die gerade noch feststellbare Größe eines Fehlers von vielen Faktoren abhängig und schwankt je nach Material zwischen 0,1 und einigen hundert Quadratmillimetern. „Diese Empfindlichkeit lässt sich bisher noch schlecht vorhersagen und muss für fast jeden Anwendungsfall empirisch ermittelt werden“ – dieses Fazit zieht Dr. Jochen Aderhold vom Fraunhofer-Institut für Holzforschung WKI in Braunschweig nach vielen Versuchsreihen.
Die Wärmefluss-Thermografie wird schon jetzt unter den Bedingungen der industriellen Produktion eingesetzt, um von außen unsichtbare Materialdefekte, Fremdkörper, Beschichtungs- oder Klebefehler aufzuspüren. So genügen bei Siemens ganze 40 Sekunden, um die extremen Belastungen ausgesetzte Schaufel einer Gasturbine auf mögliche Risse zu prüfen – und dabei auch gleich festzustellen, ob Kühlkanäle verstopft sind oder die keramische Wärmedämmschicht Fehler aufweist. Interessant ist das Verfahren auch für die Sicherheitskontrolle von Rotorblättern bei Windkraftanlagen. Für deren Wärmefluss-Prüfung hat Jochen Aderhold vom WKI ein kompaktes Messsystem entwickelt, das mit einem Hubsteiger in luftige Höhen transportiert werden kann und sogar im Inneren der hohlen Flügel Platz hat.
Kontrolle von Schweiß- und Klebefugen
Auch die Autoindustrie hat begonnen, mit Hilfe thermografischer Methoden die Qualität von Schweiß- und Klebefugen sowie von geschäumten Bauteilen der Inneneinrichtung zu testen. Sogar Fehler in der Elektronik lassen sich mit Wärmefluss-Thermografie entdecken, das bestätigen die Arbeiten von Dr. Ralph Schacht vom Berliner Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM. „Lötfehler lassen sich genauso sichtbar machen wie die Quellen lokaler Überhitzung, die in Folge eines mangelhaften „thermischen Designs“ eines Chips zustande kommt“, berichtet der Wissenschaftler.
Doch so vielseitig sich die Wärmefluss-Thermografie auch einsetzten lässt, bei einer Aufgabe raten die Fraunhofer-Forscher allerdings zu größter Vorsicht: bei der Qualitätskontrolle von Schokolade.
EPP 453

Fraunhofer Vision
In der Allianz Vision bündelt die Fraunhofer-Gesellschaft Kompetenzen ihrer Institute im Bereich der Bildverarbeitung. Schwerpunkte sind die optische Vermessung und die automatische Inspektion für die Qualitätssicherung. Welche Möglichkeiten die verschiedenen Technologien und die moderne Bildverarbeitung bieten, haben die Wissenschaften in einer Leitfaden-Reihe zusammengefasst. Die aktuelle Ausgabe ist der „Leitfaden zur Wärmefluss-Thermografie“.
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