Startseite » Branchenstimmen » Top-Interviews »

„Nachhaltigkeit fängt bei den eingesetzten Materialien an“

Tobias Patzig, Feinhütte Halsbrücke, über Gründe Entwicklung Zinn aus Sekundärmaterial
„Nachhaltigkeit fängt bei den eingesetzten Materialien an“

Mit GreenTin+ stellt die Feinhütte Halsbrücke GmbH erstmals ein in Deutschland produziertes Zinn mit einem Reinheitsgrad von bis zu 99,99 % vor, das vollständig aus Recyclingmaterialien gewonnen wurde. Die Gründe und Überlegungen, die hinter dieser Produktentwicklung stecken, erläutert Tobias Patzig, Prokurist der Feinhütte Halsbrücke GmbH.

EPP: Warum hat sich die Feinhütte Halsbrücke dazu entschlossen, mit GreenTin+ ein Zinn aus Sekundärmaterial, mit einem Reinheitsgrad von bis zu 99,99 %, auf den Markt zu bringen?

Tobias Patzig: Wir freuen uns riesig dieses Produkt vorzustellen, denn mit GreenTin+ haben wir einen echten Meilenstein gesetzt. Die Gründe, die für uns bei der Produktentwicklung auf der Hand lagen, waren wirtschaftlich, ökologisch, und humanitär geprägt. Zum einen hat uns die Coronakrise gezeigt, wie anfällig unser Wirtschaftssystem ist, wenn Lieferketten zusammenbrechen. Grundsätzlich müssen wir uns überlegen wie wir uns in Deutschland und Europa auf der einen Seite unabhängiger von Importen machen und andererseits Normen und Standards bei der Erzeugung besser kontrollieren können, auch im Hinblick auf das kommende Lieferkettengesetz. Recyclingmaterial ist hier die Lösung, da wir es aus unserem Heimatmarkt beziehen können und zu Qualitätsprodukten verarbeiten. Der Wertstoffkreislauf bleibt so erhalten und sichert Lieferketten ab. Mit dem hohen Reinheitsgrad wollten wir dabei aufzeigen, dass wir mit diesen Sekundärmaterialien eine sehr hohe Qualität erreichen können. Wir sind also in der Lage hier ein absolutes Spitzenprodukt aus Recyclingmaterial anzubieten. Zum anderen kommt hinzu, dass wir dadurch auch die schwierigen Abbaubedingungen des Zinns in Südostasien umgehen können, die zum Großteil alles andere als human und umweltverträglich sind. Durch GreenTin+ eröffnen sich für Kunden mit höchsten Ansprüchen hinsichtlich der Reinheit des Zinns oder der jeweiligen Legierung in Kombination mit Nachhaltigkeit neue Möglichkeiten, ohne dabei von gewohnten Anforderungen abweichen zu müssen.

EPP: Können Sie den Wertstoffkreislauf von Metallen kurz beschreiben und wie muss man sich den 360°-Kreislauf von Feinhütte, der Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit verbindet, vorstellen?

Tobias Patzig: Der Ursprung von GreenTin+ sind nicht nur beliebige Rohstoffe, vielmehr haben wir gemeinsam mit unseren Kunden und Partnern Recyclingkreisläufe erfolgreich entwickelt und implementiert. Die im Kundenprozess anfallenden Rückstände wie Krätzen, Aschen, Ausläufer, Schlämme, Späne oder Lotpasten werden von uns nach dem neusten Stand der Technik verarbeitet. Dadurch besteht GreenTin+ zu 100 % aus recyceltem Material. Durch den energiesparenden Vollrecyclingprozess in unseren pyro- und hydrometallurgischen Anlagen werden die enthaltenen Metalle, insbesondere Zinn, wieder nutzbar gemacht. Das aus diesem Prozess hervorgehende hochreine Zinn, als auch die elektrolytisch gereinigten Legierungen, stehen in den benötigten Formaten allen Abnehmern wieder zur Verfügung. Gemeinsam schließen wir so Kreisläufe. Das ist nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll. Unser 360 Grad Kreislauf, welcher insbesondere auf die Wiederaufbereitung der anfallenden Prozessrückstände der Kunden abzielt, ist hierbei von zentraler Bedeutung. Die kürzlich erfolgte ISO 14021 Zertifizierung belegt zusätzlich den Einsatz von 100 % Recyclingmaterial in GreenTin+. Damit sind wir weltweit der erste Hersteller von Zinn der das zertifiziert nachweisen kann.

EPP: Was macht den Ankauf von Altloten und Metallen so anspruchsvoll und warum ist hier ein hohes metallurgisches Fachwissen unabdingbar?

Tobias Patzig: Altlote und andere Metalle müssen zunächst einmal als Wertstoff gesehen werden. D.h., dass wir deren Qualität und Wert ermitteln müssen, um unseren Kunden auch einen fairen und marktgerechten Preis dafür zu bezahlen. Hinzu kommt, dass die ermittelte Qualität natürlich auch ausschlaggebend ist, welchen Aufwand wir in den Recyclingprozess investieren müssen. Diese Entscheidungen können nur mit einem tiefen metallurgischen Wissen getroffen werden. Auf Basis von Kessel- oder Ofenproben erstellen wir mit genormter und geeichter Labor- und Analysetechnik exakte Analysen der Materialien und leiten von dort alle weiteren Entscheidungen und Schritte ab.

EPP: Über Einsatz von Sekundärmaterialien, speziell was die Qualität dieser Materialien angeht, gibt es viele falsche Informationen, die in Märkten kursieren. Was ist dran an diesen Mythen?

Tobias Patzig: Wir kennen diese Mythen natürlich, insbesondere wenn es um das Thema Qualität geht. Der Materialursprung sagt bei Metallen nicht zwangsläufig etwas über dessen Reinheit oder Qualität aus. Entscheidend sind der Umfang und die Art der Aufarbeitungsschritte, das Know-how und die Leistungsfähigkeit der Aggregate. Die Leistungsfähigkeit unserer Recyclingprozesse ermöglicht es uns, die übliche Qualität von importiertem Zinn aus Primärrohstoffen deutlich zu übertreffen, denn Metalle können ganz im Gegenteil zu dieser Legende beliebig oft recycelt werden und das ohne Qualitätsverlust. Bei anderen Rohstoffen, wie z. B. Papier oder Kunststoff, ist dies leider nicht ohne weiteres möglich. Gerade in der Elektronikindustrie wurde in den letzten Jahrzehnten versucht das Recyclingmaterial zu diskreditieren. Dies können Sie getrost in der Kategorie Falschinformationen verbuchen.

EPP: Und wie schaut es bei der Verwendung dieser recycelten Zinnprodukte aus? Gibt es hier Einschränkungen?

Tobias Patzig: Nein, denn vielmehr ist die zugrundeliegende Spezifikation des Metalls oder der Legierung für den Einsatz und den Prozess ausschlaggebend. Hierfür ist die zur Anwendung kommende metallurgische Verfahrenstechnik von Bedeutung. Unsere jahrhundertelange Expertise sowie die modernen Anlagen und optimierten Fertigungsprozesse befähigen uns, die aus den mannigfachen Recyclingverfahren gewonnenen Metalle und Legierungen in einer Qualität zur Verfügung zu stellen, welche in keiner Art und Weise den Qualitäten von Primärrohstoffen nachsteht. Das genaue Gegenteil ist hier der Fall.

EPP: Gibt es bereits erste Anwendung von GreenTin+ im Markt?

Tobias Patzig: Ja, aber die Anwendungen und Kunden dürfen wir aktuell nicht nennen. Nur so viel, es handelt sich dabei um Anwendungen aus der Elektronikfertigung, Bereich Konsumgüterelektronik. Im Übrigen wurde die ISO 14021-Zertifizierung von Kundenseite gefordert, da man langfristig vollständig recycelte Lote verwenden möchte, was natürlich das richtige Signal in den Markt ist, zumal es von einem der renommiertesten Elektronikartikelhersteller weltweit vorgelebt wird. Es sind also nicht nur Lippenbekenntnisse, sondern hier passiert auf jeden Fall etwas.

EPP: Worin liegen die Vorteile von GreenTin+ und wo wird ein Zinn mit diesem hohen Reinheitsgrad eingesetzt?

Tobias Patzig: GreenTin+ ist in erster Linie unabhängig von internationalen Lieferketten und weist eine Reinheit von 99,99 % auf. Das liegt deutlich über den allgemeinen Standards des Marktes. Natürlich gibt es auch den ökologischen Vorteil. Durch das nachhaltige Recycling von Zinn wird der Energieeintrag erheblich gesenkt und die Ausbeutung im Bereich des Bergbaus, der Aufbereitung und Verhüttung von Erzen auf ein Minimum gedrosselt. In Summe dessen werden somit nicht zuletzt die CO2-Emissionen, um bis zu 98,9 % je Tonne Zinn signifikant gesenkt.

Darüber hinaus werden die allgemeinen, negativen Belastungen für das gesamte Ökosystem maßgeblich reduziert. Auch die humanitäre Nachhaltigkeit in puncto Abbausituation in den Zinnminen, spielt für immer mehr Unternehmen eine Rolle. Denn Unternehmensnachhaltigkeit ist nicht erreicht, wenn die Geschäftsführung E-Fahrzeuge fährt. Nachhaltigkeit fängt bei den Produkten an. Diese bezieht die eingesetzten Vorprodukte und deren Herstellung und Herkunft, aber auch die Endprodukte mit ein.

EPP: In welchen Formen kann GreenTin+ bei Ihnen bezogen werden?

Tobias Patzig: GreenTin+ ist in allen gängigen Formen erhältlich, sei es als Draht, Barren, Stangen, Schüttgut oder Ähnlichem.

www.feinhuette.de

Unsere Webinar-Empfehlung
INLINE – Der Podcast für Elektronikfertigung

Doris Jetter, Redaktion EPP und Sophie Siegmund Redaktion EPP Europe sprechen einmal monatlich mit namhaften Persönlichkeiten der Elektronikfertigung über aktuelle und spannende Themen, die die Branche umtreiben.

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktuelle Ausgabe
Titelbild EPP Elektronik Produktion und Prüftechnik 2
Ausgabe
2.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Hier finden Sie aktuelle Whitepaper

Videos

Hier finden Sie alle aktuellen Videos


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de