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Was tun, wenn plötzlich ein wichtiges Bauteil fehlt?

Top-Interviews
Was tun, wenn plötzlich ein wichtiges Bauteil fehlt?

Bauteile-Abkündigungen sind nicht nur ärgerlich, sie können für die betroffenen Anwender auch gravierende finanzielle Folgen haben. Besonders deutlich machen sich diese bei Geräten und Anlagen mit Lebenszyklen von über 10 Jahren bemerkbar, wo inzwischen manchmal bis zu 50  Prozent der gesamten Produktzykluskosten durch direkte oder indirekte Obsolescence-Folgen entstehen. EPP sprach mit Ulrich Ermel, Vorstandsvorsitzender der Component Obsolescence Group (COG) Deutschland e.V. über Ursachen, Folgen und Präventionsmöglichkeiten.

Was vor 20 Jahren noch die absolute Ausnahme war, hat sich zwischenzeitlich vor allem für Unternehmen aus den Bereichen Automobil-, Automatisierungs-, Bahn-, Kraftwerks-, Luft-/Raumfahrt-, Militär- oder Medizintechnik zu einem echten Dilemma entwickelt: Die extrem kurzen Lebenszyklen mancher elektronischer Bauteile und Komponenten. Getrieben durch die rasanten Innovationsschübe bei Smartphones, Tablet-PCs etc., werden Hightech-Komponenten heutzutage oft schon wieder nach weniger als einem Jahr von der nächsten, leider nicht immer funktions- und/oder Pin-kompatiblen Produktgeneration abgelöst.
Herr Ermel, wie gehen Firmen, die besonders langlebige Wirtschaftsgütern wie beispielsweise Flugzeuge, Offshore-Windkraftanlagen, Containerschiffe entwickeln, fertigen und warten, mit dieser doch sehr bedenklichen Entwicklung um?
Insgesamt betrachtet sicherlich offensiver, als dies noch vor 10 Jahren in der Gründungsphase des Component Obsolescence Group (COG) Deutschland e.V. der Fall war. Das sieht man auch an unseren Mitgliederzahlen. Ursprünglich von 26 Industrie-, Handels- und Dienstleistungsunternehmen ins Leben gerufen, hat sich der nach wie vor allen interessierten Unternehmen und Personen offen stehende Non-Profit Industrieverband mit aktuell rund 130 Mitgliedern innerhalb eines Jahrzehnts zur wichtigsten nationalen Dialogplattform für Firmen entwickelt, die unter den manchmal doch sehr drastischen Folgen abgekündigter oder auch gefälschter Bauteile leiden. Für unsere Mitglieder ist der kontinuierliche Informations-, Erfahrungs- und Know-how-Austausch sowohl mit anderen betroffenen Anwendern als auch mit Bauteile-Herstellern und -Distributoren inzwischen längst zum unentbehrlichen Bestandsteil ihrer langfristigen Projektplanung geworden. Aber nach wie vor gibt es leider auch noch viele Unternehmen, in denen das Thema strategisches Obsolescence Management bislang nur eine eher untergeordnete oder sogar gar keine Rolle spielt. Und das, obwohl unserer Erfahrung nach bis zu 50 Prozent der gesamten Produktzykluskosten durch direkte oder indirekte Obsolescence-Folgen entstehen können.
Woran liegt das? Ist der Leidensdruck in diesen Unternehmen zu gering?
Das sicherlich nicht. Das Problem liegt vielmehr darin, dass die durch Abkündigungen einzelner Bauteile verursachten Kosten nicht im richtigen Kontext wahrgenommen werden. Wenn nicht nur erfasst würde, wie oft Redesigns gemacht werden, sondern auch warum, würde dem Thema Obsolescence in vielen Unternehmen vermutlich weitaus mehr Bedeutung beigemessen, als dies bislang oft noch der Fall ist. Erschwerend kommt noch hinzu, dass für viele Entwickler und Einkäufer heutzutage erfahrungsgemäß erst einmal die Funktion und der Preis eines Bauteils im Vordergrund stehen, eine Betrachtung oder gar Auswahl unter Total Cost of Ownership-Gesichtspunkten ist nach wie vor eher die Ausnahme denn die Regel.
In welcher Projektphase sollte man ihrer Erfahrung nach idealerweise mit dem Obsolescence Management beginnen?
So früh wie möglich, am besten schon in der Evaluierungsphase eines Projektes. Ärgerlicherweise gibt es aber dafür leider keine universell geltenden Lösungsansätze. In der Regel ist es am Ende ein Mix unterschiedlichster aktiver und reaktiver Methoden und Instrumentarien, die dazu beitragen, die langfristigen Kostenrisiken auf ein Minimum zu reduzieren. Und das funktioniert wiederum auch nur, wenn der verantwortliche Projektmanager, die eingebundenen Entwickler und die Einkaufsabteilung von Anfang an Hand in Hand arbeiten.
Welche Maßnahmen sind für ein erfolgreiches Obsolescence Management unerlässlich?
Zu den wichtigsten Grundvoraussetzungen zählt sicherlich das Vorhandensein einer topaktuellen Bauteile-Datenbank, denn nur mit Hilfe einer detaillierten Stücklistenanalyse können alle innerhalb der veranschlagten Gesamtprojektlaufzeit potentiell durch Abkündigung gefährdeten Bauteile noch vor Beginn der eigentlichen Entwicklungsarbeit erfasst, gegebenenfalls ausgetauscht oder durch eine projektbegleitendes Monitoring dauerhaft überwacht werden.
Natürlich sollte man als für das Obsolescence Management verantwortlicher Mitarbeiter auch darüber informiert sein, wer für kritische Bauteile bei Bedarf möglicherweise als Second Source zur Verfügung steht. Nicht selten hat ja auch ein anderer Hersteller einen hinsichtlich Größe, Anschlüssen und Funktion weitgehend identischen Baustein in Lieferprogramm, der sich ohne großen Entwicklungs- und/oder Zertifizierungsaufwand sofort in das bestehende Design integrieren lässt.
Das detaillierte Durchleuchten aller Komponenten auf mögliche liefertechnische Schwachstellen mag aufgrund des damit verbundenen hohen Zeitaufwandes auf den ersten Blick zwar etwas übertrieben scheinen, wenn es erst einmal zur Routine geworden ist, lässt sich damit erfahrungsgemäß über den gesamten Lebenszyklus besonders langlebiger Geräte und Anlagen hinweg ziemlich viel Geld sparen.
Gibt es noch andere Möglichkeiten, den mitunter drastischen Folgen einer unerwarteten Bauteile-Ankündigung wirksam vorzubeugen?
Ja, aber Alternativen wie beispielsweise die kontrollierte Langzeitlagerung kompletter Wafer oder einzelner wichtiger Bauteile in Stickstoffumgebung oder das Klonen bewährter Controller sind oft so teuer, dass man vorher schon sehr genau nachrechnen sollte, ob es nicht möglicherweise günstiger wäre, in die Geräte-/Anlagenentwicklung mehrere feste Redesign-Zyklen mit einzuplanen. Obsolescence Management ist in letzter Instanz vor allem auch ein Art vorausschauendes Kostenmanagement.
Herr Ermel, Sie sind ja nicht nur Vorstandvorsitzender des Component Obsolescence Group (COG) Deutschland e.V.. Hauptberuflich verantworten Sie die Bereiche Embedded und Obsolescence des EMS-Dienstleisters TQ Systems. Welche Empfehlungen geben Sie als Praktiker Entwicklern oder Einkäufern, die sich bislang nicht aktiv an das Thema Obsolescence Management herangewagt haben, mit auf den Weg?
Wer in seinem Unternehmen ein erfolgreiches Obsolescence Management installieren will, sollte Geduld und Ausdauer mitbringen, denn vieles, was im Nachhinein ganz einfach und logisch wirkt, ist in Wirklichkeit das Ergebnis jahrlanger Sisyphos-Arbeit. Ich kann jedem interessierten Manager, Einkäufer und Entwickler nur raten, sich vorab mit Leuten in Verbindung zu setzen, die bereits über reichlich Erfahrung im Umgang mit der Obsolescence-Problematik verfügen, am besten aus derselben Branche. Die COG bietet hierfür eine ideale Plattform.
Herr Ermel, vielen Dank für Ihre Zeit.
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