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Stuhlloser Stuhl schont Beine und Gelenke

Energieeffizienter DC-Flachmotor für mehr Ergonomie bei der Arbeit
Stuhlloser Stuhl schont Beine und Gelenke

Viele Tätigkeiten z.B. in Produktion und Fertigung müssen nur deshalb im Stehen verrichtet werden, weil vor Ort ein Stuhl den Weg versperren würde. Bis zum Feierabend schmerzen Mitarbeitern dann nicht nur Beine und Rücken, sondern auch die Konzentration und Leistungsfähigkeit werden durch das an sich unnötige Stehen beeinträchtigt. Abhilfe schafft künftig ein „stuhlloser Stuhl“. Das innovative Exoskelett-Konzept des Schweizer Start-up-Unternehmens Noonee arbeitet dank energiesparender Kleinstmotoren im Akkubetrieb mehrere Tage ohne Aufladen.

Die Anatomie beschreibt das Skelett als den Körperteil, der die Stützstruktur eines Lebewesens bildet. Beim Menschen liegt diese Stützstruktur im Innern des Körpers (Endoskelett). Dieser natürliche Stütz- und Bewegungsapparat kann durch eintöniges Arbeiten oder langes Stehen überbelastet werden. Schon länger gibt es in verschiedenen Bereichen daher Ansätze, den Menschen mit einem zusätzlichen Exoskelett (Außenskelett) zu entlasten. Diese Exoskelett-Lösungen muten ein wenig an wie im Science-Fiction-Film, finden aber ihr Vorbild ebenfalls in der Natur. Im Gegensatz zu den Wirbeltieren besitzen nämlich Gliederfüßer wie z.B. Insekten statt eines Innenskeletts ein stabilisierendes Außenskelett.

Künstliches Exoskelett im Alltagseinsatz
Künstliche Exoskelette helfen, wo die Muskelkraft allein oder auf Dauer nicht genügt – etwa um schwere Teile zu heben oder über längere Zeit mit einer klobigen Schleifmaschine über Kopf zu arbeiten. Menschen mit Querschnittslähmung können mit einem Exoskelett wieder gehen oder – wie 2014 in Brasilien – den Anstoß beim Eröffnungsspiel der Fußballweltmeisterschaft ausführen. Bisher hatten diese Exoskeletten aber wesentliche Nachteile: Sie sind mit meist über 20 Kilogramm Eigengewicht sehr schwer, was nicht zuletzt ihre Akkulaufzeiten negativ beeinflusst. Oft erreicht die Betriebszeit kaum zwei Stunden, für den breiten Alltagseinsatz ist das ungenügend. Hier setzt das Start-up-Unternehmen Noonee mit seinem Exoskelett-Konzept an. CEO Keith Gunura hat über Exoskelette geforscht, bevor er zusammen mit Olga Motovilaova das Unternehmen in Rüti nahe Zürich gründete: „Wir wollten ein unterstützendes System bauen, das sehr leicht und sehr einfach ist, im Dauerbetrieb nicht schlappmacht und eine Lösung für ein weit verbreitetes, alltägliches Problem bietet“, erzählt er.
Durch Entlastung Fachkräfte halten
Die Beschwerden, die durch langes Stehen verursacht werden, kannte Gunura aus eigenen Erfahrungen, die er während eines Studentenjobs bei einem Verpackungsdienstleister in England machte. „Besonders die älteren Kolleginnen hatten ihre Mühe. Den Ausruf ‚oh my legs‘ habe ich dort jeden Abend gehört“, erinnert er sich. Dass dieses Problem auch das Management großer Konzerne beschäftigt, erfuhren die beiden Gründer bei einem Workshop für Startup-Unternehmer an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich (ETH). Hier gehörte es zu den Übungen, potenzielle Kunden anzurufen und nach deren Interesse an einem Produkt zu fragen. „Der Workshop-Leiter hat eine Nummer eingetippt und uns den Hörer herübergereicht, mit dem Hinweis, dass jemand von einem der größten Autohersteller der Welt abnehmen würde“, erzählt Keith Gunura.
Zur Überraschung der beiden Gründer trafen sie bei diesen Telefonaten nicht auf Skepsis, sondern auf großes Interesse, obwohl sie noch nicht einmal einen Prototyp vorweisen konnten. Und selbst als der erste Prototyp bei der Vorführung versagte, fragten die Auto-Manager nur, wann man sich wieder treffen könnte. „Besonders die deutschen Unternehmen sehen die demographische Entwicklung und die zunehmende Knappheit der Fachkräfte als eine zentrale strategische Herausforderung“, erklärt Keith Gunura das große Interesse der potenziellen Kunden. „Sie wollen unbedingt etwas tun, um ihre Fachkräfte in der Produktion zu entlasten und die Voraussetzung schaffen, dass die Mitarbeiter länger aktiv bleiben können.“
In der Praxis bewährt
Die erste Prototyp-Generation wurde im Audi-Werk in Neckarsulm im Praxiseinsatz getestet. Die daraufhin optimierte Variante beweist derzeit im Werk in Ingolstadt im Dreischichtbetrieb ihre Praxistauglichkeit. „Die Manager hatten mit Skepsis bei den Mitarbeitern gerechnet. Stattdessen wollten diese freiwillig bei dem Versuch mitmachen. Die Bedienung zu lernen, hat jeweils nur wenige Minuten gedauert.“
Der Aufbau des „stuhllosen Stuhls“ (Chairless Chair) ist einfach zu verstehen: Eine stützende Strebe, die an ihrem oberen Ende zugleich als Sitzfläche dient, wird an der Rückseite eines jeden Beins befestigt. Bei den Prototypen bestand diese Strebe aus Titan. Sie könnte künftig aber aus Karbonfaser sein und dadurch noch leichter. Ein Gelenk auf Kniehöhe sorgt für Beweglichkeit, das Stoßdämpfer-Element hinter dem Unterschenkel kann per Knopfdruck stufenlos blockiert werden, wenn der Benutzer sich hinsetzen will.
Der „stuhllose Stuhl“ lässt sich mit Gurten an Hüfte, Knien und Knöcheln befestigen. Im Sitzen wird dann der Gewichtsdruck direkt in den Boden geleitet. Beine und unterer Rücken sind entlastet. Das ganze Konstrukt wiegt nur wenige Kilogramm, lässt sich leicht anlegen und stört auch beim Gehen kaum.
Für die Bewegung sind weiterhin die menschlichen Beine zuständig – ein Vorteil gegenüber aktiven Exoskeletten, die durch „Überentlastung“ eine Rückbildung der Muskeln auslösen können. Die Nutzer können sich nun jederzeit und überall hinsetzen, zum Beispiel während sie Teile an einem Fahrgestell befestigen. Sie können sich frei bewegen und haben ihre Sitzgelegenheit trotzdem immer zur Verfügung.
Leichter DC-Flachmotor mit geringem Stromverbrauch
Damit aus dem beweglichen Konstrukt ein stabiler Sitz wird, muss der Bediener nur einen Schalter betätigen, der am Gurt befestigt ist. Dann schließen zwei Motoren das Sperrventil in den Hydraulik-Elementen der Dämpfer und die Stütze arretiert in der gewünschten Position. Beim Aufstehen löst sich die Arretierung wieder. „Wir brauchten für diese Anwendung einen sehr flachen Motor mit einem hohen Drehmoment, der möglichst genau positioniert“, erklärt Keith Gunura. „Natürlich sollte er so leicht wie möglich sein und einen minimalen Stromverbrauch haben.“
Diese Anforderungen konnte ein rastmomentfreier DC-Flachmotor mit Getriebe aus dem Faulhaber-Programm bestens erfüllen. Zu seinen Stärken gehört neben seinen kleinen Abmessungen (26 mm Durchmesser und 19 mm Länge) auch eine hohe Dynamik dank minimalem Trägheitsmoment des Rotors. Weiter überzeugte der DC-Kleinstmotor durch eine geringe Stromaufnahme bei niedriger Anlaufspannung. Im Praxistest war ein Nachladen des kleinen 6-Volt-Akkus auch nach einer Woche Dauerbetrieb nicht nötig. Den Stresstest – zwei volle Schichten hintereinander – hat die motorisierte Arretierung ebenfalls mit Bravour bestanden.
Noch ist das Produkt nicht serienreif, aber die Entwicklung läuft mit aktiver Unterstützung von potenziellen Kunden auf vollen Touren. Die Zahl von Anfragen ist enorm. „Wir bekommen täglich zahlreiche Mails von Menschen, die sich für unsere Sitzstütze interessieren“, erzählt Olga Motovilova, die inzwischen als COO für das operative Geschäft zuständig ist. Die ersten serienreifen Chairless Chairs sollen ab Mitte 2016 ausgeliefert werden.
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