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Zertifizierte Sicherheit statt blindem Vertrauen

Gegenwind für Praxis unkontrollierter Werkskalibrierung wird schärfer
Zertifizierte Sicherheit statt blindem Vertrauen

Präzise Messergebnisse und entsprechend verlässliche Messmittel sind heute in allen Bereichen der Fertigung von entscheidender Bedeutung – nicht allein aus Gründen der Funktionalität, sondern auch hinsichtlich der Normkonformität, Qualitätssicherung und internationalen Vergleichbarkeit. Dennoch begnügen sich immer noch viele Firmen mit einer Werkskalibrierung ihrer Messmittel, obwohl diese keinen festen Vorgaben unterliegt. Ohne Begutachtung werden solche Kalibrierscheine nicht als Rückführungsnachweis anerkannt, das Haftungsrisiko liegt damit beim Hersteller.

Nicht zuletzt um Unternehmen vor solchen Problemen zu schützen, hat die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS) in Übereinstimmung mit der Europäischen Kooperation für Akkreditierung (EA) mit Gültigkeit ab August die Regelungen zur Rückführbarkeit verschärft. Im Sinne der Verlässlichkeit, aber auch aus Kostengründen sollten Betriebe daher künftig noch stärker auf DAkkS-akkreditierter Kalibrierung bestehen – zumal dieses Plus an Sicherheit nicht teurer sein muss, wie etwa das Kalibrierlabor Melutec zeigt, das bereits seit über drei Jahren DAkkS-Scheine zu Werkspreisen erstellt.

„Rein für die interne Qualitätssicherung mag eine Werkskalibrierung mitunter genügen, aber sobald ein anspruchsvoller Kunde auch die Messmittelkalibrierung überprüfen lassen muss, kann es zu Problemen kommen“, erklärt Dr. Michael Wolf, Leiter der Abteilung Metrologie der DAkkS.
Hintergrund ist, dass diese Art der Kalibrierung keiner Überwachung unterliegt und keine Standards erfüllen muss. Zwar legen viele Labore dennoch sehr hohe Maßstäbe an, die letzte Gewissheit allerdings fehlt. Der Kunde muss dem Dienstleister vertrauen, vor allem weil vielfach die Kapazitäten und teils auch das Know-how fehlen, um alle Angaben auf den Kalibrierscheinen zu kontrollieren. Die Betriebssicherheit seiner Anlagen und die Zufriedenheit seiner Abnehmer darauf zu gründen, ist riskant, vor allem da im Ernstfall der Hersteller für Schäden durch fehlerhafte Messungen haftet. Das gilt für den Maschinenbau ebenso wie für Bereiche wie Bauwesen, Verkehr oder Medizin, in denen die Sicherheit von Personen von korrekten Messungen abhängt. „Im Grunde muss jeder, dessen Arbeit auf Messungen basiert, für eine ordnungsgemäße Rückführbarkeit seiner Messmittel sorgen“, so Wolf.
Ohne Siegel keine internationale Anerkennung
Hinzu kommen Faktoren wie die Vergleichbarkeit und die globale Akzeptanz akkreditierter Kalibrierungen. Werkskalibrierscheine sind ein hauptsächlich deutsches Phänomen, während ausländische Betriebe in der Regel gewohnt sind, sich auf von offizieller Seite überwachte Verfahren zu verlassen. „Das hat immer wieder zu Verwirrungen geführt, weshalb Auditoren auch die anstehende Klarstellung positiv sehen, weil sie einen Schritt hin zur internationalen Vergleichbarkeit und Anerkennung bedeutet“, berichtet Wolfgang Heppel, Branchenverantwortlicher für Industrie und Automotive bei der Dekra Certification GmbH.
Die im Februar verabschiedeten und am 1. August in Kraft getretene Änderungen schränken die Möglichkeiten zur Rückführung über Ergebnisberichte ohne Akkreditierungssymbol ein. Insbesondere werden jetzt auch entsprechende Scheine der deutschen Eichbehörden sowie Berichte ohne Symbol von Kalibrierlaboratorien, die eigentlich für genau diesen Bereich akkreditiert sind, nicht mehr als Rückführungsnachweis anerkannt. Lediglich bei Messmitteln beziehungsweise -größen, für die keine akkreditierte Stelle existiert, können auch Werkskalibrierscheine genutzt werden, dann allerdings mit gesonderter Begutachtung der Kalibrierprozesse und der Dokumentation, was zu zusätzlichen Kosten führt.
Hohe Anforderungen in der Automobilindustrie
„Auch die Dekra Certification hat daher unlängst ihre Auditoren nochmals eingehend geschult, die Neuerungen vorgestellt und auf das Vorgehen bei nicht-akkreditierter Kalibrierung hingewiesen“, so Auditor Heppel. Speziell vor dem Hintergrund, dass die bestimmende Qualitätsmanagementnorm der Automobilindustrie, die ISO/TS 16949:2009, im Grunde prinzipiell DAkkS-akkreditierte Kalibrierscheine verlangt, ist die Schaffung eines breiteren Bewusstseins dafür, was bei Werkskalibrierscheinen zu beachten ist, von entscheidender Bedeutung. So steht beispielsweise ein Werkskalibrierschein nicht automatisch auf einer Stufe mit einem DAkkS-Schein, nur weil das ausführende Labor prinzipiell für die Messgröße akkreditiert ist.
Die möglichen Folgen der Problematik beschreibt ein exemplarischer Notruf, den Kai Welle, Geschäftsführer des Kalibrierdienstleisters Melutec Metrology GmbH, vor einiger Zeit erhielt: „Ein Hersteller von Sicherheitsfahrzeugen fragte bei uns an, ob wir ganz kurzfristig seine Messmittel DAkkS-konform kalibrieren könnten. Der Auditor hatte das aktuell in der Firma laufende Zertifizierungsverfahren ausgesetzt, weil er gravierende Mängel bei der Kalibrierung festgestellt hatte.“
Schnäppchen Werkskalibrierung?
Neben der Automobilindustrie kommen mittlerweile auch andere Industriebereiche vermehrt vom Prinzip des Werkskalibrierscheins ab. Dieser Trend wird noch dadurch befeuert, dass auch das bisherige Hauptargument für eine Werkskalibrierung, die geringeren Kosten, immer mehr ins Wanken gerät. „So stellt sich beispielsweise die Frage, wie die Werkskalibrierung billiger sein kann, wenn gleichzeitig damit geworben wird, dass man ja ein akkreditiertes Labor sei und die Qualität der einer akkreditierten Kalibrierung entspreche“, gibt Wolf zu bedenken. Tatsächlich verursacht das scheinbar günstige Verfahren mitunter deutliche Folgenkosten, insbesondere dann wenn nachträglich eine Begutachtung durch die Akkreditierungsstelle notwendig wird, damit Kunden oder potentielle Auftraggeber den Kalibrierschein anerkennen.
Je nach Situationen müssen der DAkkS dafür nicht nur alle zum Vorgang gehörigen Unterlagen der den Schein ausgebenden Einrichtung zur Verfügung gestellt werden, auch Vor-Ort-Termine zur Besichtigung und Überprüfung können unter Umständen anfallen, um sicherzustellen, dass die Kalibrierung in Übereinstimmung mit der DIN EN ISO/IEC 17025:2005 erfolgte. Kontrolliert werden unter anderem die Validierung des Kalibrierverfahrens, das Verfahren zur Schätzung der Messunsicherheit, die Kompetenz des Personals und die Eignung der Umgebungsbedingungen. Entsprechend zeit- und kostenintensiv fällt eine derartige Begutachtung aus. „Wer das vermeiden will, sollte sich daher überlegen, ob er nicht von vornherein eine akkreditierte Kalibrierung durchführen lässt“, so der Metrologie-Leiter der DAkkS.
DAkkS-akkreditierte Qualität zu Werkspreis
Für weite Bereiche der Messtechnik sind qualifizierte Dienstleister längst vorhanden – zumal auch die Akkreditierung kein unüberwindliches Hindernis darstellt. „Im Grunde ist die Umstellung leicht, man muss sich nur dazu aufraffen“, bestätigt Welle. Er muss es wissen: Sein Kalibrierlabor bietet insgesamt für 64 verschiedene Messgrößen beziehungsweise Kalibriergegenstände im stationären Labor und 27 vor Ort die akkreditierte Kalibrierung von Messmitteln an, hauptsächlich im Bereich der dimensionellen Messtechnik, aber auch für Temperatur, Drehmoment, Waagen und Feuchte. „Natürlich muss man im Rahmen der Akkreditierungsbestrebungen investieren, vor allem in Schulungen für das Personal und meist auch in die Technik, aber davon profitiert das Unternehmen selbst als allererstes. Wir haben dadurch selbst noch im Warenein- und -ausgang sowie im Service Verbesserungen festgestellt. Vor allem aber schafft man sich damit eine verlässliche und abgesicherte Verfahrensstruktur.“
Das Unternehmen nutzt diese Strukturen auch bei den wenigen Werkskalibrierscheinen, die es auf Kundenanfragen noch ausstellt, wobei der Preis für die akkreditierte Kalibrierung konsequenterweise ebenso niedrig ausfällt wie für die nicht-akkreditierte. „Wir arbeiten in beiden Fällen gleich sorgfältig und nutzen dieselben Prozesse, die – wenn man korrekt vorgeht – gleich aufwändig sein sollten. Deshalb halten wir es nicht für gerechtfertigt, die DAkkS-Scheine teurer zu machen“, so Welle. Bald soll es zu diesen Konditionen bei Melutec sogar nur noch akkreditierte Scheine geben: Für 2017 ist geplant, sich das Siegel auch für die restlichen Messgrößen im Angebot des Labors, speziell für die anspruchsvollen Vor-Ort-Kalibrierungen, zu erarbeiten: „Es ergibt einfach keinen Sinn, zwei Klassen anzubieten, wenn beide gleich verlässlich sind und dasselbe kosten.“
Trendwandel im Kalibrierstreit
Die aktuellen Entwicklungen unterstützen diese Sicht: Seit der Verschärfung der Rückführungspraxis durch die DAkkS scheint die Nachfrage nach akkreditierten Kalibrierungen zu steigen, gleichzeitig nähern sich die Preise allmählich dem Werkskalibrierschein-Niveau an. „Die Industrie begrüßt die striktere Rückführungspolitik unserer Erfahrung nach sogar in weiten Teilen, weil sie die Wettbewerbsfähigkeit auf den internationalen Märkten stärkt, das Risiko von Regressansprüchen reduziert und einen höheren Grad an Normkonformität verspricht – und die Ansprüche, gerade was letzteres betrifft, steigen in praktisch allen Branchen“, erklärt sich der Kalibrierexperte das stetig steigende Interesse an den DAkkS-akkreditierten Leistungen seines Labors.
Ist der Werkskalibrierschein damit eine aussterbende Art? Soweit will DAkkS-Abteilungsleiter Wolf nicht gehen, er räumt ihm durchaus eine Daseinsberechtigung ein, jedoch nur als Sonderlösung für Sonderfälle: „Es wird wohl immer einen Markt für Werkskalibrierungen geben. Aber es steht zu hoffen, dass deren Rolle künftig auf das technisch Notwendige zurückgeht.“
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