EPP: Herr Biermeier, mu:v ist ein Distributor, der außerdem auch smarte Applikationen für die Qualitätskontrolle entwickelt. Was hat es damit auf sich?
Michael Biermeier: Marktseitige Anfragen gaben seinerzeit den Anstoß dazu, auf Basis unseres Produktportfolios spezifische Auswerteeinheiten zu entwickeln, die sich kundenspezifisch in eine Maschine adaptieren lassen. Wir haben daher Applikationen hervorgebracht, die sich automatisiert an die Maschinenprozesse anpassen und auch dann nicht konfiguriert werden müssen, sobald Maschineneinstellungen geändert werden. Unsere smarten Technologien überprüfen Qualitätsvorgaben, indem sie optische Parameter in Echtzeit erfassen und auswerten. Weil dabei auch Maschinendaten einbezogen werden ist es möglich, Produktionen und Maschinen gleichermaßen zu kontrollieren, bei Bedarf zu optimieren und die Produktqualität vorausschauend zu beurteilen. Unsere smarten Applikationen verknüpfen also Messtechnik und Maschine im Sinne des Internet of Things (IoT) vorteilhaft miteinander und bilden somit die Brücke zwischen Messgerät und Maschine. Zukünftig soll ja nicht mehr der Maschinenführer aufzeigen, wenn eine Maschine unrund läuft. Vielmehr sollen vermehrt Software-Innovationen das klassische Thema Predictive Quality Assurance adressieren und eine vorausschauende Wartung sicherstellen. Maschinendaten werden deshalb immer wichtiger. Weil wir in Predictive Quality Assurance-Anwendungen einen Zukunftsmarkt sehen, entwickeln 25 % unserer Mitarbeiter ausschließlich Software für den Maschinenbau. Zudem können sie ein umfangreiches Wissen bezüglich physikalischer Maschinenprozesse vorweisen. Das ermöglicht es ihnen, die durch unsere Kontrollsysteme erfassten Daten in Relation mit den Maschinenprozessen zu bringen und auf Optimierungspotenzial bei Abläufen hinzuweisen, die noch nicht im Fokus waren. Ziel ist es, neben der Qualitätsbetrachtung und dem Erkennen von Fehlteilen – oftmals auch in enger Zusammenarbeit mit den Ingenieuren des Kunden – aufzuzeigen, warum eine Maschine diesen Ausschuss produziert. Diese Kausalzusammenhänge sind ein wichtiger Aspekt.
EPP: Im Markt werden einschlägige Kontrollsysteme durchaus als sinnvoll wahrgenommen. Gleichzeitig dürfen diese Technologien eine Maschine nicht behindern. Wie schlagen Sie also die Brücke zwischen den Kontrollsystemen und der produzierenden Maschine?
Michael Biermeier: Das menschliche Auge ist bei der Beurteilung von Qualität nach wie vor der Maßstab. Und das obwohl Menschen weder permanent auf ein Produkt schauen noch mit der Produktionsgeschwindigkeit mithalten können. Überdies beurteilen Menschen subjektiv. Hier setzen wir mit unseren objektiv arbeitenden, in die Maschine integrierten Qualitätsüberwachungssystemen an. Die autonomen Systeme sind ununterbrochen verfügbar, behindern die Maschine nicht, passen sich automatisch an den Maschinentakt an ohne diesen zu begrenzen und erfassen in Echtzeit Abweichungen im Mikrometer- und Millikelvin-Bereich. Unsere smarten Überwachungssysteme sind somit das „Auge der Industrie 4.0“, das erforderliche Korrekturen schnellstmöglich kommuniziert. Damit bieten unsere Applikationen ein hohes Potenzial – und das bei relativ geringem finanziellem Aufwand.
EPP: Wie funktionieren die smarten Systeme im Detail?
Michael Biermeier: Bei unseren Vision-Systemen handelt es sich um standardisierte Lösungen, die sich in eine Linie zur Qualitätsüberwachung einbinden lassen. Eine Infrarot-Wärmebildkamera (IR) erfasst dabei in Echtzeit Prozessparameter, die eine Software auswertet und speichert. So lassen sich beispielsweise mit der IRLineAPP Komponenten überwachen, die in einem Heizfeld homogen erwärmt und anschließend in eine Formstation transportiert werden. Hierzu wird die Kamera im engen Bereich zwischen den beiden Anlagen installiert, um Bauteilkonturen zeilenweise zu erfassen. Die Software setzt diese Bilder zu einem verzerrungsfreien Gesamtbild zusammen und vergleicht es mit der Sollkontur. Die Applikation platziert dabei Messfelder an ausgewiesenen Positionen und kann diese bei Bedarf auch nachführen. Das System passt sich automatisch an die Fördergeschwindigkeit, die Form, die Größe und die Art des Bauteils als auch an geänderte Parameter der Maschinensteuerung an. Erkennt das smarte System bei einem Bauteil Abweichungen, kann es vor dem Formprozess ausgeschleust und dem Aufheizprozess wieder zugeführt werden. Dadurch lässt sich Ausschuss vermeiden, bevor dieser überhaupt entsteht. Zum Einsatz kommt das System beispielsweise bei Prozessen in der Glas-, Kunststoff- sowie der Blechindustrie und vielen weiteren Bereichen.
Eine weitere wichtige Applikation ist die IRWeldAPP. Mit dieser Technologie lassen sich Prozesse überwachen, mittels derer zum Beispiel zwei Kunststoffteile oder die Enden einer Folie miteinander verschweißt werden. Hierzu ist es erforderlich, lediglich die für den Schweißvorgang notwendigen Bereiche einer Oberfläche gezielt zu erwärmen, zusammenzupressen und wieder abzukühlen. Bei diesem spezifischen Schweißprozess kontrolliert unsere Applikation, die auf einer Wärmebildkamera in Kombination mit einer RGB-Kamera basiert, präzise diverse Faktoren. Etwa die Temperaturschwelle, die Kontur, die Homogenität und die Lage der Schweißnähte. Eingesetzt wird die IRWeldAPP beispielsweise in der Verpackungs- und Automobilindustrie, bei der Herstellung von Consumer-Artikeln und im Bereich der Metallverarbeitung.
Sollen hingegen Fehlmessungen bei Metall-Schmiedeanwendungen vermieden werden, bietet sich die IRForgeAPP an. Bei diesem System überwacht eine Wärmebildkamera den Temperaturhaushalt von Schmiedeteilen, während die Software die erfassten Daten mit den Produktionsdaten zusammenführt. Außerdem haben wir einen smarten, konfigurierbaren 3D-Scanner entwickelt, mit dem sich autonom Kanten ermitteln und Winkel messen lassen. Das kostengünstige System bietet sich aber auch dazu an, Höhe, Breite und Kontur von Kleberaupen zu prüfen.
EPP: Mit den von mu:v entwickelten Applikationen lässt sich also die Effizienz von Maschinen erhöhen und eine höchstmögliche Produktqualität erzielen…
Michael Biermeier: Darüber hinaus profitieren auch die Maschinenbauer von den detaillierten Informationen, die unsere Systeme erfassen. Es ist daher vorteilhaft, wenn unsere Systeme möglichst früh in einen Produktionsprozess integriert werden.
Vielen Dank für die interessanten Informationen Herr Biermeier.