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Ist ESD eine potentielle Gefahr?

ESD-Schutz in der Baugruppenfertigung weitergedacht – Teil 1
Ist ESD eine potentielle Gefahr?

ESD = „Electrostatic Discharge“ (deutsch: elektrostatische Entladung), was bedeutet das für die Fertigung elektronischer Baugruppen? Aufladungseffekte, z.B. durch Reibung zweier Objekte aneinander, man denke an den Bandgenerator aus dem Physikunterricht, führen zur elektrostatischen Aufladung dieser Objekte. Deren Aufladung ist umso stärker, je trockener die Atmosphäre ist. Die dabei entstehenden Spannungen können mehrere 10.000 Volt betragen.

» Helge Schimanski & Sebastian Puls | Fraunhofer ISIT | Itzehoe

Gefährdete Bauteile bzw. elektronische Baugruppen und auch solche die sich in geschützter Umgebung, z. B. in einer ESD-gerechten Verpackung befinden, werden durch entsprechende Symbole gekennzeichnet.

Bei Berührung elektrostatisch aufgeladener Gegenstände entsteht eine Entladung. Bei plötzlicher Entladung, die ab ca. 10.000 V als Funke oder Blitz sichtbar wird, kann dies zu Explosionen und in deren Folge zu Bränden führen. Für den Menschen sind statische Entladungen ab einer Spannung von ca. 3.000 V spürbar, beispielsweise ein Funke, der am Türschloss eines PKW von der Hand bzw. dem Schlüssel auf den Wagen überspringt. Aufgrund ihrer geringen Ladungsmenge führen diese Entladungen trotz oftmals hoher Ströme meist außer dem Schreck für den Menschen zu keinen körperlichen Schäden.

ESD-gerechte Elektronikbauteile

Elektrostatische Auf- und Entladungen können jedoch auch schon bei deutlich niedrigeren und für den Menschen nicht wahrnehmbaren Spannungen auftreten. Electrostatic Discharge, die meist unsichtbare elektrostatische Entladung einer geringen Ladungsmenge, stellt jedoch ein hohes Gefahrenpotential insbesondere für elektronische Komponenten (z. B. MOSFET und CMOS) dar. Eine Entladezeit von Picosekunden bis Nanosekunden und ein Einschlagsbereich von wenigen µm² führt zu einer sehr hohen Leistungsdichte im Bauelement. Man spricht hier umgangssprachlich von einer sogenannten „harten“ Entladung.

Während CMOS-Bausteine teilweise Schutzschaltungen gegen ESD enthalten, ist dies bei MOSFETs nicht üblich. Diese können durch ESD bereits mit Spannungen deutlich unter 100 V geschädigt werden, abhängig von der jeweiligen Gate-Source Spannung (je nach Bauteiltyp z. B. ab 12 V) und Kapazität (z. B. 20 pF). Das kann zu einer Funktionsbeeinträchtigung der Komponente bis hin zum Totalausfall führen. Typische Schäden sind Abweichung von den spezifizierten Parametern oder ein partieller Funktionsausfall.

Auch die Drain-Source, Kollektor-Emitter Strecken oder Dioden sind gefährdet. Eine Entladung kann lokal im Chip Diffusionsbarrieren zerstören, so dass Metall langsam im Betrieb in die Tiefe wandern kann und der Ausfall erst deutlich nach dem ESD-Event stattfindet. Im Beispiel hat eine durch einen ESD-Schaden zerstörte Diffusionsbarriere in einem IGBT nach längerer Betriebszeit zu einem Funktionsausfall geführt. Dieser entstand augenscheinlich am Gate-Leiter eines IGBTs. Der wahrgenommene Schaden ist von außen nur mittels Thermographie sichtbar zu machen. Im Focus-Ion-Beam-Schnitt ist die Diffusionsbarriere als weiße Linie zu sehen. Diese ist durch das ESD-Event aufgeschmolzen und unterbrochen und letztendlich durch den Schaden aufgeweitet.

Ein Fehler in der elektronischen Baugruppe muss nicht immer sofort zu einem Fehlverhalten führen, sondern macht sich manchmal erst unter bestimmten Betriebsbedingungen bemerkbar, dann aber möglicherweise mit katastrophalen sicherheitsrelevanten Folgen.

Nach umfangreicher Fehlerursachenforschung und Eingrenzen der Schadensursache nach dem Ausschlussprinzip blieb als einzig mögliche Ursache ein ESD-Schaden auf einem Silizium-Halbleiter übrig. Durch Aufätzen des Moldmaterials konnte die Chipoberfläche mit ihren filigranen Strukturen freigelegt und mittels hochaufgelöster Mikroskopie das Schadensbild dokumentiert werden. Ein derartig geschädigtes elektronisches Bauteil führt unweigerlich zum Frühausfall der Elektronik.

ESD(-Schutz) in der Fertigung
elektronischer Baugruppen

Schutzschaltungen können dies verhindern, sind aber nicht immer üblich, da diese einen zusätzlichen schaltungs- und materialtechnischen Aufwand und das entsprechende Know-how des Designers erfordern. Außerdem werden die dadurch entstehenden zusätzlichen Kosten gerne eingespart.
Umso wichtiger ist es, bei der Fertigung elektronischer Baugruppen auf einen ausreichenden Schutz vor elektrostatischer Auf- und damit auch Entladung zu achten. Die Fertigung sollte nur unter ESD-Schutz, im Optimalfall in einer ESD-Schutzzone (englisch: EPA, für „Electrostatic Protected Area) erfolgen.

Dies können einzelne Arbeitsplätze, abgegrenzte Flächen oder ganze Räume und Gebäude sein. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass dies nicht nur die eigentliche Fertigungslinie von elektronischen Baugruppen betrifft, sondern sowohl räumlich als auch verfahrenstechnisch weitergedacht werden muss. Wie ESD-Schutzzonen einzurichten sind, welche Maßnahmen (personenbezogen, arbeitsbezogen sowie ESD-Schutzprogramme) zum ESD-Schutz getroffen werden müssen und wie diese überwacht werden können ist unter anderem in DIN-EN-Normen[4 – 6] und ANSI-Standards[7 – 8] nachzulesen.

Des Weiteren gibt es verschiedene Anbieter, die Seminare rund um das Thema ESD-Schutz sowie Schulungen zum ESD-Koordinator anbieten.
Auch ESD-taugliche Materialien sind bei vielen Anbietern käuflich zu erwerben. Meist sind diese Werkzeuge und Materialien schwarz. Allerdings ist dies kein eineindeutiges Merkmal. Nicht jede schwarze Verpackung bietet Schutz vor elektrostatischer Auf- und Entladung. Meist werden ESD-geschützte Materialien mit dem ESD-Schutzsymbol gekennzeichnet. Doch auch dies kann einfach nachgemacht werden und um Sicherheit vor Fake Produkten zu gewährleisten, sollten die eingesetzten Werkzeuge und Materialien auf ihre (Ab)Leitfähigkeit gemessen werden.

Teil 2 des Artikels finden Sie in der Ausgabe 5 | 2024 der EPP mit Erscheinungstermin 01.10.2024.

www.isit.fraunhofer.de


Literatur/Quellenhinweise

[1] ESD (Susceptible) – Elektrostatische Entladung – Wikipedia

[2] ESD (Protected) – Elektrostatische Entladung – Wikipedia

[3] https://www.fed.de/fileadmin/_processed_/4/b/csm_Fotolia_52637905_M_Schild_

[4] DIN EN 61340–5–1/IEC 61340–5–1: Elektrostatik Teil 5–1: Schutz von elektronischen Bauelementen gegen elektrostatische Phänomene – Allgemeine Anforderungen

[5] DIN EN 61340–5–2/IEC 61340–5–2: Elektrostatik Teil 5–2: Schutz von elektronischen Bauelementen gegen elektrostatische Phänomene – Benutzerhandbuch

[6] DIN EN 61340–4–1/IEC 61340–4–1: Elektrostatik 4–1: Standardprüfverfahren für spezielle Anwendungen – Elektrischer Widerstand von Bodenbelägen und verlegten Fußböden

[7] ANSI/ESD S20.20–2014: Entwicklung eines elektrostatischen Entladung-Steuerprogramms zum Schutz elektrischer und elektronischer Teile, Bauelemente und Geräte

[8] ANSI/ESD S541–2018: Verpackungsmaterialien für ESD-empfindliche Bauteile

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