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Digitale Röntgensysteme

Wirklichkeit oder nur ein Missverständnis??
Digitale Röntgensysteme

Modische Schlagwörter und clever angewandte Terminologie scheinen derzeit die am häufigsten angewandte Methode, um Produkte im Markt bekannt zu machen. Auch die Anbieter von Röntgensystemen scheuen sich nicht, ihre potenziellen Kunden mit einer Fülle solcher Marketing-Aussagen zu überschütten. In vielen Fällen dienen diese Aussagen und Bezeichnungen zu nichts anderem, als die Funktion eines äußerst komplizierten Systems vereinfachend zu beschreiben.

Nick Hadland, X-Tek Systems Ltd., Tring (UK)

Ist solch eine Terminologie wie True Parallel Track (TPI) und True Concentric Imaging (TCI) erst einmal vernünftig in ihrer Bedeutung erklärt worden, kann man sie sicher gut zur Verdeutlichung von bestimmten konstruktiven Besonderheiten eines Röntgensystems verwenden. In der Praxis bestehen keine Bedenken, solche Begriffe zu verwenden, so lange der Interessent letztlich versteht, was sie besagen, und diese Versprechungen von den Funktionen her tatsächlich erfüllt werden. Tatsächlich hat ein Hersteller eine hohe Produkt-Wiedererkennung erreicht, wenn sich Kunden über solch einen griffigen Begriff an ein System erinnern. Andererseits gibt es genug Beispiele dafür, dass der Gebrauch von solchen Marketing-Begriffen auch gründlich in die Irre führen kann.
Digitales Röntgensystem
Der Begriff digitales Röntgensystem ist eine neue Terminologie, die in die Irre führen kann, wenn inkorrekt gebraucht. Zudem kann dieser Begriff sehr leicht von jenen missverstanden werden, die mit Röntgensystemen nicht sehr vertraut sind.
Die meisten von uns wissen wohl, dass der Begriff digitale Signalverarbeitung besagt, dass diese Daten nur als Nullen und Einsen dargestellt, und verarbeitet werden. Für die Datenverarbeitung in Computern ist ja generell ein Digitalsignal nötig. Liegt ein Signal jedoch in analoger Form vor, so muss es vor der Verarbeitung im PC erst einmal mit einem AD-Wandler konvertiert werden.
Ein potenzieller Kunde, der mit der Terminologie in der Röntgentechnik nicht sehr vertraut ist, jedoch die Unterschiede zwischen analoger und digitaler Signalverarbeitung kennt, ist geneigt anzunehmen, dass bei einem „digitalen Röntgensystem“ das gesamte System digital arbeitet. Der Vertriebsmitarbeiter, der natürlich dieses fundamentale Missverständnis kennt, steht dann vor der eventuell nicht einfachen Entscheidung, ob er die wahre Bedeutung eines „digitalen Röntgensystems“ erklären, oder den Interessenten einfach in diesem (Irr)Glauben belassen soll? Es ist eine unumstößliche Tatsache, dass wesentliche Komponenten von Röntgensystemen nicht digital arbeiten. Im Bild 1 sind die typischen Funktionsblöcke eines normalen Röntgensystems ersichtlich. Die Quelle der Röntgenstrahlung ist eine Hochspannungsröhre, die Elektronen erzeugt (Katode), und diese auf eine Wolfram-Scheibe (Anode) schießt, wobei dort dann erst die eigentliche Röntgenstrahlung entsteht. Das ist eindeutig ein analoger Prozess, der sich grundsätzlich jeder sogenannten „Digitalisierung“ entzieht. Der Röntgenstrahldetektor hingegen ist jedoch vermutlich die am weitesten „digital“ zu bezeichnende Komponente, dennoch arbeitet dieses Teil in den meisten Fällen entweder völlig oder zumindest teilweise analog.
Somit steht hier die Frage an, was soll der Begriff „digitales Röntgensystem“ eigentlich bedeuten, und in welchen Fällen kann er wirklich angewendet werden?
Bildgebende Systeme
Die bildgebenden Systeme eines Röntgensystems bestehen in den meisten Fällen aus mehreren Komponenten. Die am häufigsten verwendete Konfiguration ist aus Bild 2 ersichtlich.
Ein Bildverstärker ist ein Umsetzer und Verstärker, der über eine größere Bildfläche die Röntgenstrahlung in sichtbares Licht umwandelt. Seine Funktion ist die Konvertierung von Photonen der Röntgenstrahlung in ein sichtbares Bild. Wird ein Untersuchungsobjekt vor eine Röntgenquelle platziert (eine Röntgenquelle emittiert einen Strahl von Röntgenphotonen, die unterschiedliche Energieinhalte aufweisen), dann werden Photonen, die einen genügend hohen Energieinhalt aufweisen, durch dieses Objekt „hindurchgeschossen“. Die solcherart durch das Objekt gestrahlten Röntgenphotonen weisen dabei nach der Prozedur aus zwei Gründen unterschiedliche Energieinhalte auf:
  • a) In Abhängigkeit von der ursprünglichen Energie bzw. Beschleunigungsspannung der Röntgenröhre.
  • b) In Abhängigkeit von der Art und der Dicke des Materials, durch das die Photonen gelangte.
Ein Röntgenstrahl, der mit einer typischen Mikrofokus-Röntgenquelle erzeugt wurde, hat polychromatische Eigenschaften. Das heißt, er enthält Röntgenstrahl-Photonen in einem weiten Bereich von unterschiedlichen Energieinhalten (ein kontinuierliches Spektrum) bis zur Höhe der Beschleunigungsspannung für solche Inspektionsaufgaben (typischerweise bis zu 160 kV). In praktisch allen Fällen müssen diese Photonen ein Objekt passieren, das aus unterschiedlichen Materialien mit variierenden Dicken besteht, in der Baugruppenprüfung der Elektronik sind dies typisch Glasfasern/Epoxydharz, Flussmittel (Kolophonium oder künstliche Harze), Silizium und Lötzinn (bisher noch bleihaltiges Material, künftig Bleifrei-Legierungen). Auf ihrem Weg durch die diversen Materialien werden deshalb die Photonen von diesen Stoffen unterschiedlich abgeschwächt, wobei abhängig vom ursprünglichen Energieinhalt unterschiedliche Eindringtiefen oder völlige Durchstrahlungen mit unterschiedlichen Abschwächefaktoren möglich sind. So werden beispielsweise Photonen mit niedrigem Energieinhalt völlig absorbiert, während solche mit höherem Energieinhalt das Material mehr oder weniger abgeschwächt passieren können.
Die Röntgenstrahl-Photonen, die das Objekt passiert haben, bilden einen polychromatischen „Schatten“ dieses Gegenstands ab. Diese Schattenabbildung wird anschließend mit einem Bildverstärker für Röntgenstrahlen in ein sichtbares Bild umgewandelt. Solch ein Bildverstärker (Intensifier) besteht aus einer Photo-Katode, einer Beschleunigungsanordnung mit Hochspannung und Fokussier-Elektroden (Gitter) sowie einem Displayfenster aus Phosphor (Ausgabefenster).
Die Photo-Katode konvertiert die einfallenden Photonen der Röntgenstrahlung in sichtbares Licht, das wiederum sofort in Elektronen umgewandelt wird. Dies ist auch ein verstärkender oder multiplizierender Prozess, denn für jedes einzelne Photon werden viele tausende Elektronen erzeugt. Die Hochspannungs-Vakuumkammer für die Beschleunigung und Fokussierung der Elektronen wird eingesetzt, um diese Elektronen auf ein kleines Ausgabefenster (typisch ist ein Durchmesser von 0,75 Zoll, circa 20 mm) zu bringen. Das Ausgabefenster besteht aus einem fluoreszierenden Material, das Hochenergie-Elektronen direkt in sichtbares, grünes Licht umwandelt. Dieser Prozess der Bildgebung und -verstärkung erfolgt ausschließlich analog. Der nächste Schritt ist dann die Umwandlung des sichtbaren Bildes, das der Bildverstärker ausgibt, zu einem größeren Bild, das per PC an einem Monitor betrachtet werden kann, jedoch auch bearbeitet bzw. gespeichert. Dafür verwendet man typischerweise eine CCD-Kamera, deren Optik auf das Ausgabefenster des Bildverstärkers fokussiert ist. In einem einfacheren System setzt man preiswerte 8-Bit-Kameras ein. Sie erlauben per Videokarte im PC die Darstellung des Bildes mit maximal 256 unterschiedlichen Grauabstufungen von Weiß bis Schwarz. Abhängig von der Anwendung kann eine 8-Bit-Kamera tatsächlich in vielen Fällen völlig ausreichend sein. Nachdem jedoch in letzter Zeit die früher hohen Kosten für Digitalkameras deutlich gesunken sind, gehen einige Hersteller von Röntgensystemen dazu über, diese in ihren Systemen als Basisausstattung zu verwenden. Solche Kameras weisen eine Auflösung von 10 oder 12 Bit auf, und verteuern das System nicht nennenswert. Das Signal solcher Digitalkameras kann Bilder in 1024 (10 Bit) oder 4096 (12 Bit) Abstufungen darstellen. Stehen dann wesentlich mehr Abstufungen zwischen Weiß und Schwarz zur Verfügung, dann kann man in der Regel auch Unterschiede in den Bildern noch feiner auflösen, und eventuell auch eine noch bessere Fehlererkennung erreichen.
Weiterentwickelte Bildgebungstechniken
Seit kurzem verwendet man in hochpreisigen High-end-Röntgeninspektionssystemen eine Technik, die tatsächlich einen höheren Anteil digitaler Signalaufbereitung aufweist. Dazu werden amorphe Silizium-Detektoren und amorphe Kohlenstoff-Detektoren eingesetzt, die sowohl den Bildverstärker als auch die Kamera ersetzen.
Solche Detektoren weisen eine große Fläche mit einem Sensorarray aus amorphem Silizium oder Kohlenstoff auf. Sie enthalten viele Tausende einzelner lichtempfindlicher Photodioden, welche individuell adressiert und auch digital mit maximal 16 Bit Auflösung (65.536 Abstufungen) ausgelesen werden können. Das Bildsignal lässt sich dann relativ einfach weiter digital verarbeiten, und auf einem Monitor darstellen. Dennoch ist es auch hier immer noch nötig, mit einem Konverter die Photonen der Röntgenstrahlung in sichtbares Licht umzuwandeln. Dieser befindet sich innerhalb der Detektor-Einheit vor dem Array aus amorphen Material. Man verwendet dazu eine Lage von fluoreszierendem Material wie Gadolinium-Oxysulfit oder Cäsium-Iodit. Solche Materialien leuchten auf, wenn die Röntgenstrahl-Photonen auf sie auftreffen, die dabei emittierten Lichtphotonen werden vom Detektor in ein Bild umgewandelt.
Diese neuen Detektoren weisen gegenüber den üblichen Bildverstärkern einige herausragende Vorteile auf:
  • 1) Das Ausgangssignal hat eine Auflösung von typisch 12, 14 oder 16 Bit.
  • 2) Der Detektor besteht aus über einer Million Pixels, und weist somit eine hohe Auflösung auf.
  • 3) Oft kann spezieller Phosphor verwendet werden, der eine geringe Alterungsrate aufweist und somit über die Nutzungszeit nicht wesentlich altert und nachlässt.
  • 4) Die Eigenschaften von Phosphor lassen sich auf bestimmte Anwendungsfälle spezifisch so abstimmen, dass eine hohe Empfindlichkeit auch bei kleineren Beschleunigungsspannung erreicht wird, beispielsweise für die Inspektionen von gebondeten Aluminiumdrähten oder Die-Attach.
  • 5) Die lichtempfindlichen Arrays sind absolut plan, und garantieren somit ein Bild frei von Verzeichnungen. Die Bildverstärker hingegen weisen ein gekrümmtes Eingangsfenster auf, das zu starken Verzeichnungen an der Peripherie führt. Allerdings wird nun zunehmend Software eingesetzt, die solche Verzeichnungen bei Bildverstärkersystemen kompensiert.
Doch gibt es zwei erhebliche Nachteile. Diese neuen Detektoren liefern kein Signal in Echtzeit (25 bis 30 Bildwechsel in der Sekunde), deshalb gibt es bei der Video-Darstellung auch keinen flüssigen Bildlauf. Außerdem sind die Detektoren immer noch nicht in ausreichend hohen Stückzahlen verfügbar, so dass die Kosten dafür etwa im 10 bis 20fachen Bereich der herkömmlichen Bildverstärker liegen.
Ergebnisse
Ein Verständnis für die Terminologie eines Herstellers von Röntgensystemen sowie die generischen Bezeichnungen der Systemkomponenten ist für eine detaillierte Betrachtung der Technik unverzichtbar. Die neuesten Röntgeninspektionssysteme werden mit analogen Bildverstärkern und optisch gekoppelten 12-Bit-Digitalkameras ausgestattet. Auch wenn einige Highend-Röntgensysteme mit amorphen Siliziumdetektoren ausgerüstet werden, so weisen sie immer noch analoge Komponenten bzw. Funktionen auf.
Schließlich gilt zu bedenken, dass jede Technik auch ihren Preis hat. Natürlich kann man Systeme mit digitalen Detektoren ausstatten und deren technische Vorteile nutzen. Doch erst wenn man geklärt hat, welche Anforderungen in einer Anwendung erfüllt werden müssen, kann man sinnvoll entscheiden, in welche Technik zu welchen Kosten investiert werden muss.
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