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Ist Handlöten noch rentabel?

Selektivlöten - jetzt auch für kleine Budgets interessant
Ist Handlöten noch rentabel?

Kaum ein anderes Verfahren in der Elektronikfertigung hat sich in den zurückliegenden Jahren so rasant entwickelt wie die Selektivlöttechnik. Die Beweggründe sind sehr vielfältig und bedingt durch die Einführung der bleifreien Löttechnik kommen ständig neue Aspekte hinzu.

Jürgen Friedrich, Ersa, Wertheim

Ursprünglich waren es vor allem die Kostenaspekte der manuellen Handlöttechnik. Das nachträgliche Bestücken und Verlöten von bedrahteten Bauteilen ist vor allem in Ländern mit hohen Lohnkosten zu einem unwirtschaftlichen Faktor geworden. Der Zeitaufwand pro Baugruppe bzw. Komponente reduziert sich mit einem modernen Selektivlötsystem, wie etwa der Ersa Versaflow, um ein Vielfaches. Geht man von durchschnittlichen Lohnkosten von etwa 30.000 bis 40.000 Euro/p.a. aus, sind diese Einsparungen nicht unerheblich.
Für Unternehmen, die THT-Bauteile (Thru Hole Technology) bisher mit der Lötwelle verarbeiteten, war es vor allem das ungleiche Verhältnis zwischen maschinellem Aufwand und technischem Nutzen, die hin zum Selektivlöten führten. Nicht selten sind Baugruppen zu mehr als 99% mit SMT bestückt und verfügen über kaum mehr als eine Hand voll „Exoten“ wie Stecker, Trafos, Relais, ELKOs etc. Dem gegenüber stehen komplette Wellenlötstrassen samt Peripherie und Handlingsystemen. Schon alleine der hohe Energie- und Platzbedarf, sowie der Verbrauch von Flussmittel, Lot und Stickstoff machen dieses Verfahren unwirtschaftlich. Noch drastischer wirkt es sich aus, wenn aufwändige Lötmasken eingesetzt werden müssen, um Komponenten auf der Leiterplattenunterseite gegen Flussmittel und Lot abzudecken.
Letztendlich sind es aber die Qualitätsaspekte, die das Selektivlöten zum unersetzbaren Verfahren gemacht haben. Dort, wo klar definierte Prozesse und Parameter und deren Wiederholbarkeit gefordert sind, ist das Handlöten nicht mehr zeitgemäß. Die Ergebnisse sind nur schwer reproduzierbar, da sie im Wesentlichen von den subjektiven Fähigkeiten und Betrachtungen des Personals abhängen. Darüber hinaus ändern sich die Lötergebnisse durch den Verschleiß der Lötspitzen ständig. Sehr kritisch sind dabei die hohen Temperaturen an der Lötspitze. Häufig sind dies mehr als 400 °C. Bei empfindlichen Bauteilen und Leiterplatten ist das äußert riskant. Auch das optische Erscheinungsbild ist kritisch, da für den Betrachter eines Endprodukts kein Unterschied zwischen einer gezielten Handlötung oder einer Reparatur ersichtlich ist.
Auch gegenüber dem Wellenlöten bietet der Selektivlötprozess deutliche Vorteile:
Zum einen gibt es nahe zu keine Lötfehler mehr, da für jede einzelne Lötstelle bzw. jeden einzelnen Komponenten individuelle Lötparameter eingestellt werden können. Zum anderen garantiert das präzise Einbringen von geringsten Flussmittelmengen ausschließlich an den betreffenden Bauteilen ein Höchstmaß an Leiterplatten-Reinheit, und macht eine Nachbehandlung von Baugruppen überflüssig.
Zudem kommt es beim Verarbeiten von doppelseitig bestückten Leiterplatten mit der Lötwelle häufig zum Wiederaufschmelzen von SMDs auf der Leiterplattenoberseite. Oder die Durchbiegung der Leiterplatten-Baugruppe beim Kontakt mit der Lötwelle führt zu mechanischen Spannungen in den Lötstellen vielpoliger SMD-Bauelemente. Bei BGAs beispielsweise ist das besonders kritisch, da dies weder durch eine optische Kontrolle noch durch ICT oder Funktionstest erkannt wird. Schlechte Lötverbindungen werden dann erst durch den Ausfall des Produktes im Feldeinsatz erkannt. Da Selektivlötsysteme die Wärme nur punktuell an den betreffenden Bauteilen übertragen, kann dieser Effekt vollkommen ausgeschlossen werden.
All die genannten Aspekte erlangen beim Einsatz von bleifreien Loten und VOC-freien Flussmitteln noch mehr Bedeutung:
Mehrfachlötprozesse beanspruchen die Baugruppen durch die höheren Temperaturen wesentlich stärker. Die Temperaturbelastung von Bauteilen und Basismaterial steigt mitunter bis ans Limit. Ursächlich ist dieser Effekt in den höheren Schmelztemperaturen der bleifreien Lote und der begrenzten Lötwärmebeständigkeit vieler Bauteile zu suchen. Daraus resultiert eine geringere Temperaturdifferenz zwischen Schmelzpunkt und Arbeitstemperatur, wodurch die bleifreien Lote schneller erstarren. Wenn nun auch nur wenige Bauteile einer Baugruppe einen erhöhten Lötwärmebedarf aufweisen, führt dies unausweichlich zu einer höheren Lot- oder Peaktemperatur. Beim Reflow- und Wellenlöten steigt dadurch die Temperaturbelastung der gesamten Baugruppe. Beim Selektivlötprozess hingegen besteht nun die Möglichkeit, die Lötparameter an die spezielle Lötstelle anzupassen, und nicht die gesamte Baugruppe zu belasten. Die thermische Beanspruchung der Baugruppen reduziert sich dadurch enorm, da hier in der Regel nur ein vollflächiger Vorheizprozess erforderlich ist.
Qualitätsgründe für das Selektivlöten/Substitution des Handlötprozesses
Untersuchungen zum Handlötprozess haben ergeben, dass leider vielen Anwendern der Einfluss von Lötspitzentemperatur und Lötzeit auf das Basismaterial und die Ausbildung der Lötstelle nicht bekannt ist. Häufig werden Lötstationen bei Maximaltemperatur betrieben, weil das Löten hier besonders schnell geht, und Zeit ist bekanntlich Geld. Aus diesen Gründen ist für derartige Produktionsabläufe die Qualität ggf. niedrig und die Kosten hoch. Zusätzliche Aspekte wie beispielsweise die mangelnde Reproduzierbarkeit des Prozesses wurden bereits dargestellt.
Vor dem Hintergrund der genannten Faktoren hat sich das Selektivlöten als fester Bestandteil moderner, qualitätsorientierter Elektronik-Produktionen etabliert. Einzig relativ hohe Investitionsvolumina komplexer Selektivlötsysteme stellen vor allem für kleine und mittlere Elektronikfertigungen eine Barriere da. Meist wird jedoch gerade dort auf höchste Lötqualität besonderen Wert gelegt. Um auch diesen Unternehmen den Zugang zu den Vorteilen des Selektivlötens zu öffnen, wurde mit der „Versaflow eco-select“ ein völlig neues, budgetorientiertes System auf den Markt gebracht. Ziel der Konzeption war ein halbautomatisches System, das sich direkt in einen Arbeitsplatz integrieren lässt. Außerdem mussten auch gegenläufige Forderungen nach hohem Durchsatz für „Single-Product-Lines“ auf der einen Seite, und Flexibilität für hohen Produktmix auf der anderen Seite, sowie geringe Betriebskosten berücksichtigt werden. Um einen breiten Einsatz der Systeme auch in kleineren Unternehmen zu gewährleisten mussten natürlich auch die Investitionskosten klein gehalten werden, ohne bekannte Qualitätsmaßstäbe zu verlassen.
Halbautomatische Betriebsweise
Der Grundgedanke für die Arbeitsweise des Systems ist, dass die Position für die Übernahme der Baugruppe und die Position für deren spätere Ausgabe, identisch ist. Nur dadurch ist ein kompakter Aufbau mit geringer Stellfläche realisierbar. Ist die Anlage in einen Handarbeitsplatz integriert, legt der Bediener die Baugruppe in die Aufnahme ein, schließt die Sicherheitsabdeckung und startet den Prozess. Die Baugruppe wird dabei in der Maschine über ein servogetriebenes X/Y/Z-Handlingsystem bewegt. Nach erfolgter Bearbeitung steht die Baugruppe an derselben Position wieder zur Verfügung und kann durch die Bedienperson entnommen werden. Dieser Ablauf veranschaulicht die unmittelbare Integration des automatischen Selektivlötens in einen klassischen Handarbeitsplatz. Dadurch ist es möglich, mechanische Fixiereinrichtungen oder Montagearbeiten ohne den gewöhnlich hohen Handlingaufwand von mechanischen Betriebsmitteln, wirtschaftlich an einem Arbeitsplatz zu konzentrieren. Optional kann die manuelle Beschickung durch eine automatische Übernahme von Leiterplatten aus einem Inline-Transportsystem oder einer Magaziniereinheit ersetzt werden.
Speziell die Adaption einer automatischen Magaziniereinheit gewährleistet ein autarkes Arbeiten des Systems auch im Mehrschichtbetrieb. Dabei entnimmt die Anlage die Leiterplatten aus einem Magazin, und bringt diese nach dem Lötprozess an dieselbe Stelle im Magazin zurück. Abhängig von der Funktion der Magaziniereinheit ist auch ein automatischer Magazinwechsel ohne die Notwendigkeit eines Bedienereingriffes möglich.
Prozessabläufe
Hat die Anlage eine Leiterplatte zur Bearbeitung übernommen, erfolgt diese entsprechend dem Lötprogramm, beginnend mit dem präzisen Flussmittelauftrag. Hier kann ein weiterer Sprühkopf installiert werden, der entweder parallel zum ersten Kopf für die Bearbeitung von Nutzen-Leiterplatten betrieben werden kann, oder die Verarbeitung eines zweiten Flussmittels gestattet.
Der anschließende Vorheizprozess, wie die Vorheizung selbst, ist optional. Eine Vielzahl von Applikationen erfordert keine Vorheizung, da die nötige Energie zur Ausbildung der Lötstelle ausschließlich von der Lötwelle eingebracht wird. Anwendungen, in denen der Lötwärmebedarf höher ist, wie z.B. das Löten von massereichen Bauteilen auf Multilayer-Baugruppen, erfordern einen vollflächigen Vorheizprozess. Hier kann der Anwender zwischen leistungsstarken Hellstrahlern und schonender Konvektionstechnik wählen.
Konzept Einzeldüse/Multiwave
Die Forderungen nach hohem Durchsatz und Flexibilität beeinflussen den Lötprozess entscheidend. Um beiden Forderungen gerecht zu werden, ist es erforderlich, zwei unterschiedliche Lötverfahren anzuwenden. Flexibilität erreicht man nur durch den programmierbaren Bewegungsablauf der Baugruppe auf einer einzelnen Minilötwelle. Zur Steigerung des Durchsatzes von Nutzen-Leiterplatten können im neu entwickelten Miniwellenlötaggregat auch mehrere Minilötwellen parallel eingebaut werden. Dadurch lassen sich mehrere Leiterplatten eines Nutzens simultan löten. Die Minilötdüsen stehen standardmäßig in verschiedenen Abmessungen zur Verfügung und lassen sich im Betrieb leicht und schnell wechseln.
Hoher Durchsatz bei kürzesten Taktzeiten ist nur mit einem Multiwellen-Lötaggregat zu erreichen. Hierzu wird ein produktspezifisches Lötwerkzeug gefertigt, das über mehrere Lötwellen verfügt, deren Anordnung und Größe der Position der Selektivlötstellen auf der Leiterplatte entspricht. Eine Lotpumpe fördert kontinuierlich Lot durch die unterschiedlichen Düsen. Das gewährleistet einen permanenten Energietransfer in die Lötstelle, gleichzeitig lassen sich unmittelbar vor dem Lötvorgang evtl. vorhandene Verschmutzungen auf den Lötwellen durch kurzzeitige Erhöhung der Pumpendrehzahl abspülen. Zum Löten wird die Baugruppe für 2 bis 3 s in die Lötwellen eingetaucht, und alle Lötstellen werden gleichzeitig ausgebildet.
Beide Lötaggregate arbeiten grundsätzlich unter Stickstoff-Atmosphäre. Eine weitere Option zur Beeinflussung der Lötparameter ist eine Winkelverstellung des Handlingsystems. Hierbei wird die komplette Achse pneumatisch verstellt. Die Leiterplatte kann dann unter einem Winkel über die Minilötwelle bewegt werden.
Um den Aufbau der Maschine flexibel zu gestalten, sind zwei unterschiedliche Anlagengrößen verfügbar. Die Basismaschine bietet Platz für ein Miniwellen-Lötaggregat. Dieses Lötaggregat ist mit einer oder mehreren parallel angeordneten Minilötwellen ausrüstbar. Alternativ zu den Minilötwellen kann auch ein kleines produkt- oder bauteilspezifisches Lötwerkzeug in diesen Tiegel eingesetzt werden.
Die erweiterte Basismaschine bietet Platz für zwei Lötaggregate. Hier entscheidet der Kunde, ob das System mit zwei Miniwellen- oder einem Miniwellen- und einem Multiwellen–Lötaggregat ausgestattet wird. Diese Flexibilität in der Wahl der Ausstattungsmerkmale ermöglicht eine optimale Anpassung an die Anforderungen der Produktion.
Kostenreduzierung – Handhabung, Bedienung und Programmierung
Ein Hauptfaktor zur Reduzierung der Betriebs- und Lohnkosten für das Bedienpersonal ist die einfache Handhabung, Bedienung, Programmierung aber auch die minimale Wartung und gute Zugänglichkeit des Systems.
Die komfortable 32-Bit-Systemsoftware auf Windows-Basis steuert und überwacht die Maschinenfunktionen und kann bequem und einfach über Touchscreen bedient werden.
Alle relevanten Prozessparameter und Meldungen werden auf dem IPC gespeichert. Über Ethernet-Schnittstelle kann der IPC mit anderen Fertigungsrechnern kommunizieren. Damit lassen sich Daten archivieren oder die Maschine fernbedienen. Ein Modemanschluss ermöglicht die Fernwartung und Diagnose der Steuerung bei Störungen.
Die Programmierung der Anlage erfolgt manuell oder sehr komfortabel über den CAD-Assistenten. Dieser stellt die CAD-Daten der Baugruppe graphisch dar, und der Bediener zeichnet mit einfachen Werkzeugen Linien und Punkte in die Graphik. Anschließend werden den Symbolen Flux- und Lötparameter zugeordnet. Die Programmierung kann offline erfolgen, damit die Fertigung nicht unterbrochen wird.
Zur Optimierung der Lötergebnisse sind CCD-Kameras verfügbar, die den Lötprozess visualisieren. Über den Video-Monitor kann der Bediener den Prozess bequem verfolgen und beobachten, und daraus ggf. Modifikationen im Lötprogramm vornehmen.
Alles in allem stellt die Versaflow ecoselect ein einfach zu bedienendes, wirtschaftliches Selektivlötsystem dar, mit dem der Anwender seine Selektivlötaufgaben sicher, reproduzierbar und auf höchstem Qualitätsniveau durchführen kann. Durch die Vielzahl der Ausstattungsvarianten lässt sich das System optimal auf unterschiedlichste Applikationen anpassen. Erfreulicherweise ermöglicht das System durch seine Preisstruktur auch bereits für kleine Budgets den Einstieg in die automatisierte Selektivlöttechnologie.
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