Startseite » Allgemein »

Shortage – das geheimnisvolle Wesen Andreas Lübeck, ACG Identification, Walluf

Angebot und Nachfrage bei Siliziumchips
Shortage – das geheimnisvolle Wesen Andreas Lübeck, ACG Identification, Walluf

Shortage – das  geheimnisvolle Wesen Andreas Lübeck, ACG Identification, Walluf
Abbildung eines Wafers
Im Halbleitergeschäft gelten andere Gesetzmäßigkeiten als beim Brot kaufen, was niemand überraschen wird, denn hier handelt es sich schließlich zuweilen um teure und komplexe Investitionsgüter. Dennoch sind viele, die sich in diesem Geschäft bewegen überrascht, wenn die Realität Gesetzmäßigkeiten folgt und sie einholt. Der Markt der Halbleiter erlebt mit einer gewissen Regelmäßigkeit Verschiebungen von Angebot und Nachfrage. Wir nennen diesen Effekt „Halbleiterknappheit“ oder Shortage.

Das Ausgangsprodukt für den Halbleiterhersteller ist eine einkristalline Siliziumscheibe von einem Millimeter Dicke, der Wafer. Die Anforderungen der Industrie an die Qualität, insbesondere der Reinheit der Wafer sowie neue Technologien und größere Waferdurchmesser schaffen hohe Eintrittsbarrieren für die Hersteller der wertvollen Scheiben. Während 200 mm-Wafer von einer Reihe von Lieferanten angeboten werden, gibt es heute weniger als eine Hand voll Lieferanten für 300 mm-Wafer. Diese sind aber für den Chiphersteller von bedeutendem Vorteil, lassen sich doch auf einem 300 mm-Wafer mehr als doppelt so viele Chips produzieren, als auf einer Scheibe mit 200 mm Durchmesser.

Im Weiteren versucht der Chiphersteller den eigenen Durchsatz durch schrittweise Verkleinerungen der Chipstrukturen zu erhöhen. Der Fortschritt ist hier mittlerweile bei 130 und 90 µm-Strukturen angelangt. Die Kosten für die entsprechenden Fabs, die Produktionseinrichtungen für diese aktuellen Technologien liegen allerdings bei mehreren Milliarden Euro. Nur wenige klassische Chiphersteller (IDMs, Integrated Device Manufacturers) wie etwa Intel, Infineon und STMicroelectronics betreiben deshalb selbst Fabs zur Herstellung ihrer Chipdesigns. Neben diesen bedienen sogenannte Silicon Foundries wie TSMC, UMC und Chartered den Markt. Diese Unternehmen produzieren keine eigenen Designs, sondern fertigen für eine weitere Gruppe von Anbietern, die Fabless Companies, welche selbst überhaupt keine Produktion betreiben. Auch IDMs lagern zunehmend große Produktionsvolumina eingeführter Produkte und Technologien an Silicon Foundries aus. Die Produkte dieser Anbieter sind Speicherchips, Logikbausteine und Mikroprozessoren, die in den bestimmenden Marktsegmenten wie der Automobilelektronik, Computern, Kommunikations- und Unterhaltungselektronik aber auch in relativ kleinen Branchen wie zum Beispiel Smart Cards eingesetzt werden.
Stellen wir uns nun dieses komplexe und von vielen Parametern bestimmte Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage auf dem Weltmarkt für Siliziumchips vor und betrachten wir dies über alle Produktgruppen, Anbieter und Marktsegmente hinweg. Dieser Markt ist vielleicht mehr als andere Märkte von Fortschritt und Innovation, von Investition aber auch Wettbewerb und Deinvestition geprägt. Jeder Marktteilnehmer muss nach höchster Effizienz und Profitabilität streben. Der Markt befindet sich nie in einem Gleichgewicht, sondern in einem stetigen Wandel. Die Änderung einiger weniger Parameter rufen in diesem System große Auslenkungen hervor. Denken wir an den GSM-Boom Ende der neunziger Jahre, den exponentiell ansteigenden Einsatz von Automobilelektronik, die oben diskutierten Migrationen von Waferdurchmessern und Halbleitertechnologien, bei denen die Kapazitäten anfangs gering sind oder den umgekehrten Fall von weltweiter Überkapazität und dem resultierenden dramatischen Preisverfall bei Speicherchips für Computer.
Das auf den ersten Blick unglückliche Zusammentreffen von sich ändernden Parametern führt zu einer Knappheit von Chipkapazitäten. Die Nachfrage nach einer neuen Generation von Grafikchips für PCs lässt sich beispielsweise nicht durch das verfügbare Produktionsvolumen befriedigen. Die Lieferzeiten steigen an. Die Chiphersteller werden Kapazitäten aus anderen Produktbereichen abziehen, in denen sie zu diesem Zeitpunkt mit geringeren Margen produzieren, und dehnen damit die Shortage auch auf andere Marktsegmente aus. Trifft eine solche Kapazitätsverlagerung auch spezielle Produkte, die in kleinere Marktsegmente wie Smart Cards geliefert werden, reduzieren sich dort die verfügbaren Volumina überproportional. Die Shortage hat in jenem Markt umso deutliche Auswirkungen. Längere Lieferzeiten bringen den kontinuierlichen Preisverfall der Halbleiter zum Stillstand, für kurze Lieferzeiten werden mitunter auch Aufschläge bezahlt.
Shortage-Effekte treten typischerweise über eine ganze Produktgruppe auf und sind nicht auf einen einzelnen Hersteller beschränkt. Kann der erste nicht liefern, verlagert sich die Nachfrage stärker auf ein bis zwei Mitbewerber. Standardfunktionalität wird ohnehin in identischer oder ähnlicher Form von mehreren Herstellern angeboten. Das bekannteste Beispiel sind sicher die PC-Prozessoren von Intel und AMD. Kundenspezifische Funktionalität wird oft im Vorfeld und in Erwartung einer Shortage auf Produkten verschiedener Hersteller entwickelt. Speziell bei Smart Card Prozessoren herrschen allerdings bei weitem nicht die homogenen Verhältnisse bezüglich Prozessorarchitektur, Betriebssystemen und Anwendungssoftware, wie im PC-Markt. Eine schnelle Migration auf einen anderen Prozessor zu Beginn einer Shortage ist hier ohne umfangreiches Redesign der Software nicht möglich. Wer das nicht vorher erledigt hat oder es sich wegen der geringen Stückzahlen seines Produkts und der hohen Kosten für solche Parallelentwicklungen nicht leisten kann, hat erst mal verloren. Die taktische Maßnahme von Halbleiterkunden, Bestellungen, die kurzfristig nicht bedient werden, parallel bei mehreren Lieferanten zu platzieren, erhöht die Nachfrage noch mehr – wenn auch nur im Forecast der Hersteller. Dies kann sogar die mittelfristige Planung neuer Kapazitäten beeinflussen. Dem Einkäufer beschert es zudem schlaflose Nächte oder zumindest den Albtraum „Was passiert, wenn jetzt alle gleichzeitig liefern?“ Aber Planungsmaßnahmen der Hersteller greifen ohnehin nicht kurzfristig. Von der Entscheidung für eine neue Fab, bis zu deren stabilen Betrieb mit wettbewerbsfähig hohen Ausbeuten vergehen Jahre.
Kann man eine Shortage vorhersehen?
Ja und nein. Weltweite Überkapazitäten und Shortages treten nicht zufällig auf, sondern in sogenannten „Schweinezyklen“ mit einer Periode von wenigen Jahren. Wenn sich eine Shortage bereits mehr oder weniger sanft und zumindest durch Warnungen der Halbleiterhersteller vor steigenden Lieferzeiten und durch ein solideres Preisniveau ankündigt, ist es für korrektive Eingriffe bereits zu spät. Jeder weiß, die nächste Shortage kommt bestimmt, aber niemand weiß, wann sie wirklich kommt. Jede frühe präventive Maßnahme der Marktteilnehmer, Ausbau der Produktionskapazitäten, höhere Lagerhaltung seitens der Kunden, bedeutet Investitionen, das Risiko unproduktiven Kapitals und kann angesichts der Volatilität des Marktes und des schnellen Fortschritts eine im schlimmsten Falle katastrophale Fehlentscheidung darstellen.
Wie verhält man sich während einer Shortage?
Wenn wir die Aufgabe des Halbleiterherstellers, Kapazitäten realistisch zu planen und Produktionsvolumina gegebenenfalls auszulagern, einmal außer acht lassen, stellt sich dennoch die Frage: Wie soll sich der Kunde während einer Shortage verhalten, damit er genügend Chips bekommt?
Entlang der Handels- und Wertschöpfungskette wird jedes Unternehmen seinen Kunden Forecasts für die von der Shortage betroffenen Produkte und Lieferpläne für konkrete Projekte abverlangen, die dann über die gesamte Kundenbasis zusammengefasst und vom Produktmanagement bewertet werden. Dies geschieht oft zum Unmut des Kunden, der damit wertvolle Projektinformationen zwar nicht an einen Wettbewerber, aber doch an einen Dritten weiterreicht. Ein Judgement, die Bewertung von Projekten und Volumina beim Lieferanten hilft allerdings zu vermeiden, dass Projekte, die von mehreren Kunden geplant werden, in gleicher Weise mehrfach in den Forecast gegenüber dem eigenen Lieferanten, in letzter Instanz in die Planung des Halbleiterherstellers einfließen.
Die Weitergabe von Projektinformation kann sich außerdem in einer Allocation, der anteiligen Zuteilung verfügbarer Volumina auf Kunden und Projekte vorteilhaft auswirken. Während der Shortage produziert und liefert ein Halbleiterhersteller nicht mehr in der Reihenfolge der Auftragseingänge, sondern verteilt knappe Ware nach Kriterien wie dem zu erzielenden Preis und dem strategischen Stellenwert eines Projekts und damit auch des Kunden. Die jeweils zugewiesenen Volumina liegen hier oft deutlich unter dem Volumen der jeweiligen Bestellung. Eine Teillieferung knapper Ware kann jedoch in vielen Fällen ein Kundenprojekt retten.
Monatliche Abstimmungsgespräche zwischen Kunden und Lieferanten dienen während der Shortage keineswegs dem Erreichen kurzfristiger Umsatzziele, sondern bei Lieferzeiten von mitunter sechs bis neun Monaten vielmehr der mittelfristigen Sicherstellung der Versorgung.
Nach einigen angespannten Quartalen greifen die Maßnahmen der Halbleiterhersteller zur Kapazitätserhöhung. Neue Fabs beginnen bislang knappe Bausteine oder die nachfolgende Version im Volumen zu liefern. Die Lieferzeiten fallen auf das Normal zurück. Mitunter versuchen Kunden noch, frühere Panikbestellungen zu stornieren. Aber auch ein Halbleiterauftrag ist ein Rechtsgeschäft und die Hersteller liefern. Deshalb bleiben gerade von einer Shortage unter ungünstigen Umständen und bei allzu forscher Planung große Lagerbestände beim Kunden zurück, die zu niedrigen Preisen auf den Markt geworfen werden müssen. Der Markt wendet sich, die Preise geben auf breiter Basis wieder nach, bis in einigen Jahren das Spiel von vorn beginnt.
EPP 409

407928

Andreas Lübeck (38), ist Produktmanager für Smart Card Mikroprozessoren und Software bei der ACG Identification GmbH, Walluf, und befasst sich mit der Planung, Definition und Marktpositionierung dieser Produktgruppe. Er ist zudem verantwortlich für die Betreuung der strategischen Kunden, Lieferanten und Partner im Bereich Mikroprozessoren und Software und steuert den technischen Support.
Lübeck studierte Informationstechnik an der Technischen Universität München und hat über zehn Jahre Halbleitererfahrung als Sales Manager bei Mentor Graphics, Compass Design Automation und Infineon Technologies, von wo er 1999 zur ACG wechselte.
Unsere Whitepaper-Empfehlung
INLINE – Der Podcast für Elektronikfertigung

Doris Jetter, Redaktion EPP und Sophie Siegmund Redaktion EPP Europe sprechen einmal monatlich mit namhaften Persönlichkeiten der Elektronikfertigung über aktuelle und spannende Themen, die die Branche umtreiben.

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktuelle Ausgabe
Titelbild EPP Elektronik Produktion und Prüftechnik 2
Ausgabe
2.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Hier finden Sie aktuelle Whitepaper

Videos

Hier finden Sie alle aktuellen Videos


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de