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Tests unter Temperaturstress Matthias Geiger, Binder Elektronik, Höpfingen-Waldstetten

Online-Messsystem für Zuverlässigkeitsprüfungen
Tests unter Temperaturstress Matthias Geiger, Binder Elektronik, Höpfingen-Waldstetten

Zuverlässigkeitstests unter Temperaturwechseln sind bei elektronischen Bauteilen und Baugruppen, die unter extremen Umgebungsbedingungen eingesetzt werden, unverzichtbar. Denn nur so lassen sich Aussagen über Qualität und Langzeitverhalten treffen. Um aber Aufschlüsse über Art und Zeitpunkt eventueller Ausfälle von Komponenten zu bekommen, müssen die Messungen online, das heißt während sich die Prüflinge in der Temperaturkammer befinden, laufen.

Im Rahmen des Verbundprojektes HiTAP (High Temperature Advanced Packages) wurde bei Binder Elektronik ein Messplatz (Bild 1) entwickelt, der die kontinuierliche Online-Messung von Widerstandsstrukturen (maximal 720 Vierdraht- oder 1440 Zweidraht-Messkanäle) an Prüflingen während Zuverlässigkeitsuntersuchungen ermöglicht. Die Überwachung der zu qualifizierenden Prüflinge erfolgt über die vorher definierten kritischen Parameter. Wesentlich dabei ist es, dass selbst geringfügige Änderungen beobachtet werden können. Dies ist vor allem durch die kontinuierliche Überwachung möglich, da hierbei der zeitliche Verlauf der Änderung mit bewertet werden kann.

Die Anforderungen an elektronische Baugruppen steigen ständig. Zur Sicherstellung der Qualität und Zuverlässigkeit werden daher u. a. Klimaprüfungen eingesetzt. Dazu werden die Bauelemente, wie BGAs, CSPs, COBs und Flip-Chips sowie Baugruppen oder Module einer beschleunigten Lebensdauerprüfung, beispielsweise einer Temperaturschock-Prüfung im Zweikammer-Verfahren, unterzogen. Typischerweise werden die Prüflinge dabei Temperaturen von –40 bis +125 °C, bzw. +200 °C im erweiterten Bereich, ausgesetzt. Die Verweilzeit in jeder Kammer beträgt 30 min. Die Umlagerung der Prüflinge von einer in die andere Kammer dauert dabei 10 s. Bauelemente bestehen aus unterschiedlichen Materialien mit verschiedenen physikalischen Eigenschaften. Diese verursachen bei Temperaturwechsel-Tests (Temperature Cycling Test = TCT) mechanische Spannungen und führen zur Schädigung des Bauelements und der Verbindungsstellen. Durch die eingesetzten Testverfahren lassen sich Aussagen über Qualität und Langzeitverhalten der Verbindungen in den Bauelementen und der Leiterplatte bzw. über die Herstell- und Verarbeitungsqualität machen.
Online-Messungen
Bei einer Messung, die nicht online abläuft, werden die Prüflinge in die Kammer gegeben und durchlaufen einen Temperaturzyklus. In bestimmten Abständen werden sie entnommen und bewertet. Dies kann durch elektrische Messungen an bestimmten Strukturen oder durch einen Funktionstest geschehen. Nach erfolgter Bewertung werden die Prüflinge wieder in die Temperaturschock-Kammer gegeben und der Zyklus läuft weiter. Nachteil einer solchen Prüfung ist, dass keine genaue Aussage über Ausfallzeitpunkt, -art und -ort getroffen werden kann. Ausfälle, die nur bei hohen Temperaturen auftreten, können so gar nicht oder nur schwer erkannt werden. Um dieses Manko zu beseitigen, wurde der Online-Messplatz entwickelt. Dabei ist eine exakte Einschränkung des Ausfallzeitpunkts möglich. So können Ausfälle, die zum Beispiel nur während der Warmphase auftreten, genauso erkannt werden wie Fehler, die nur zeitweise auftreten, sofern sie nicht die Scanzeit für den Messkanal unterschreiten.
Neben einer möglichst hohen Anzahl an Messkanälen zur Überwachung von komplexen Aufbauten bzw. einer großen Anzahl von Prüflingen, wurde eine Schnittstelle geschaffen, um beliebige Baugruppen kontaktieren zu können, ohne dabei die eigentliche Verschaltung des Messplatzes ändern zu müssen. Mit dem Online-Messplatz sind Widerstandsstrukturen in Zweidraht- und Vierdraht-Technik messbar. Dabei besteht die Möglichkeit, den Messstrom zu variieren, damit beispielsweise Verbindungen mit leitfähigen Klebstoffen nur von einem Messstrom von 1 mA durchflossen werden. Ein Multiplexer schaltet die einzelnen Messstrukturen auf ein entsprechendes Messgerät. Die Scanrate von Kanal zu Kanal liegt unter 1 s. Die Einsatzbereiche für den Online-Messplatz mit Widerstandsmessung sind die Untersuchung von Löt- oder Klebeverbindungen sowie die Bewertung und Bestimmung von Übergangswiderständen an Bauelementen, Steckverbindern, Leiterzügen auf Leiterplatten und Metallisierungen von Bohrungen in Leiterplatten. Im Verlauf der Entwicklung wurden eine Testleiterplatte im Europaformat als Prüfling, sowie verschiedene Advanced-Packages-Bauelemente (BGAs, Flip-Chips, CSPs) als Prüflinge entwickelt, mit Projektpartnern aufgebaut und mit dem Messsystem qualifiziert.
Design erlaubt Anpassung an jeden Prüfling
Die Aufnahme der Prüflinge erfolgt in standardisierten 19’’-Racks. So können bis zu 45 Europakarten in drei Racks in den Messplatz gesteckt werden. Die Baugruppenträger werden so modifiziert, dass auch Leiterplatten, die nicht dem Europakarten-Format entsprechen, sicher darin gehalten werden. Sind beispielsweise 24 Europakarten elektrisch kontaktiert, stehen pro Baugruppe bis zu 21 Vierdraht- und 18 Zweidraht-Messkanäle zur Verfügung. Auf der Rückseite der Baugruppenträger befinden sich Rückwandkarten (Bild 2), die individuell ausgeführt werden und die Umverdrahtung der Baugruppen-Anschlüsse auf die Messleitungen des Messplatzes übernehmen. Das flexible Design der Rückwandkarten ermöglicht eine individuelle Anpassung an den jeweiligen Prüfling. Prinzipiell ist es auch möglich, die Baugruppen direkt mit den Messleitungen zu kontaktieren, und aus der Kammer herauszuführen (beispielsweise durch Anlöten an den Prüflingen). Die Umverdrahtung auf die Messleitungen kann dann außerhalb der Temperaturschock-Kammer erfolgen.
Für den Online-Messplatz wurde eine neuartige Temperaturschock-Kammer ausgewählt. Diese verfügt über zwei nebeneinander angeordnete Kammern. Der Probenraum besteht aus einer Drehplattform, die von der Warm- in die Kaltkammer schwenkt (Bild 3). Gegenüber einer Temperaturschock-Kammer mit Hubkorb weist der Probenraum eine höhere Belastbarkeit und die einfachere Leitungsführung auf, was gerade bei einer extrem hohen Anzahl von Messleitungen von Vorteil ist. Die Messleitungen werden von der Plattform nach hinten aus dem Schrank geführt. Sie werden somit nur in der Drehebene der Plattform bewegt. Dadurch können die 72 benötigten hochtemperaturbeständigen Flachband-Leitungen bei der Maximalkonfiguration aus der Kammer geführt werden.
Als Messequipment kommen Geräte der Firma Keithley Instruments zum Einsatz. Diese sind mit Ausnahme des Kontrollrechners in einem Standard-Schaltschrank untergebracht. In der dargestellten Maximalkonfiguration sind bis zu 720 Vierdraht- oder 1440 Zweidraht-Messkanäle möglich, wobei die Widerstandsmessungen dann als „Resistance Switching with common Terminal“ beschalten werden müssen. Bei einer typischen Vier- oder Zweidraht-Messung halbiert sich die maximale Kanalzahl.
Bis zu 192 weitere Kanäle stellt der unter den Multiplexern eingebaute Eventdetektor zur Verfügung. Dabei handelt es sich um eine Überwachungseinrichtung für Daisy-Chain-Strukturen, an deren Eingängen eine Spannung angelegt wird. Ist die Verbindung in Ordnung, lässt sich die Spannung am Ausgang messen. Eine Signalaufbereitung führt die Messspannung zu einer Auswerteelektronik. Eine grüne LED gibt den aktuellen Zustand der Verbindung wieder. Über eine rote LED wird der Fehlerfall visualisiert. Die angezeigten Zustände werden vom Bediener manuell protokolliert. Dabei kann der Zeitpunkt auf die Zeit zwischen der letzten und der aktuellen Protokollierung eingeschränkt werden. Die Protokollierung geschieht mit einem speziellen Software-Tool.
Bild 4 zeigt das Blockbild des Online-Messplatzes im Maximalausbau. Die Steuerung des Messsystems erfolgt über einen PC mit einem auf Labview basierenden Software-Tool. Die Temperaturschock-Kammer wird über eine RS232-Schnittstelle gesteuert, die Messgeräte, Multiplexer und Netzteile werden über einen GPIB-Bus angesteuert. Die Messung der Vierdraht-Widerstände erfolgt mit einem Sourcemeter, das eine einstellbare Präzisionsspannungsquelle und ein DMM (Digital-Multimeter) in sich vereinigt. Damit ist eine Vorgabe des Messstroms möglich. Das zweite DMM dient zur Zweidraht-Messung. Die hochtemperaturbeständigen Messleitungen werden auf der Backplane-Rückseite angeschlossen, und über Durchführungen in der Kammerrückwand nach außen geführt.
Simulation der Verlustleistung
Drei regelbare Strom- und Spannungsquellen versorgen je ein 19’’-Rack für einen optionalen Power-Cycling-Betrieb (PCT). Dabei kann eine Leistung von 1 W pro PCT-Struktur eingeprägt werden. Diese wird zyklisch ein- und ausgeschaltet und bewirkt eine Erwärmung der Teststruktur, um eine Verlustleistung zu simulieren, wie sie im realen Betrieb an einem Bauelement auftreten kann. Zusätzlich wird der Temperaturwechsel überlagert. Während der Phasen, in denen der PCT ausgeschaltet ist, können die Strukturen online gemessen und Ausfälle erkannt werden.
Die Software zur Bedienung des Online-Messplatzes ist in drei unabhängige Pakete unterteilt. Über das Definitions-Tool (Bild 5) werden alle für die Messungen nötigen Einstellungen vorgenommen. Prüfbedingungen wie Temperaturen, Zeiten, Startzeitpunkt und Zyklenzahl werden hier festgelegt. Der Benutzer wählt aus, welchen Steckplatz er mit welcher zu testenden Baugruppe belegen möchte. Auf einer virtuellen Baugruppe sieht der Benutzer die selektierte Bestückungsvariante, und welche Strukturen zur Messung ausgewählt wurden. Sind alle Parameter und die Belegung der Racks definiert, wird vom System die für die folgenden Messungen benötigte Messsequenz generiert. Sie legt die Messreihenfolge fest und beinhaltet alle Daten, die zur Einstellung der Hardware benötigt werden.
Das Mess-Tool (Bild 6) steuert Temperaturkammer, Messgeräte und Multiplexer und erfasst sowie archiviert die Messwerte. Nach Einstellung der nötigen Parameter wartet das Programm bis die Startbedingung gegeben ist. Dies kann ein bestimmter Zeitpunkt (Datum/Uhrzeit) oder das Eintreten einer bestimmten Trigger-Bedingung sein (z.B. wenn im Probenraum eine bestimmte Temperatur herrscht). Dann wird die zuvor definierte Messsequenz abgearbeitet. Die Messdaten werden erfasst und gespeichert. Gleichzeitig erfolgt ein Gut/Schlecht-Vergleich. Ist die Messsequenz abgearbeitet, wird geprüft, ob die vorgegebene Alterung erreicht ist. Ist dies nicht der Fall, wird die Messsequenz erneut nach Erreichen der Trigger-Bedingung abgearbeitet. Ist das Alterungsende erreicht, stoppt die Software die Temperaturschock-Kammer und die Online-Messung.
Mit dem Auswerte-Tool werden die gewünschten Daten aus den aufgenommenen Rohdaten gefiltert und Messwerte analysiert und dargestellt. Dabei können die Messwert-Zeit-Verläufe sowie die zugehörigen Temperaturverläufe in der Kammer- und die Probenraumtemperatur angezeigt werden (Bild 7). Per Cursor können Vermessungen in den Diagrammen vorgenommen werden (Zeit-, Zeitdauer-, Messwert- und Temperaturbestimmungen). Eine automatische Auswertung nach Fehlerkategorien ist möglich. In einem Vorschaufenster können bis zu zwölf Messwert-Verläufe miteinander verglichen und die wichtigsten Parameter angezeigt werden.
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