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Mehr Effizienz in der Fertigung

Hand in Hand – Der Weg der KI vom Assistenten zum Entscheider
Mehr Effizienz in der Fertigung

Künstliche Intelligenz (KI) hat das Ziel, die Effizienz und Effektivität industrieller Prozesse zu steigern. Letztlich sollen dadurch Produktionskosten und die Produktionszeit reduziert, die Qualität verbessert und die Robustheit industrieller Prozesse erhöht werden.

Auch erlaubt es künstliche Intelligenz, angrenzende Prozesse wie den Einkauf oder produktionsferne Abläufe von Grund auf neu zu gestalten, die eigenen Produkte und Dienstleistungen durch oder mit KI anzureichern und neuartige Geschäftsmodelle zu implementieren. KI hat somit eine weitreichende Bedeutung für alle Bereiche der Industrie und insbesondere auch für die unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ zusammengefasste vernetzte Produktion.

KI ist nicht gleich KI

Der Begriff „Künstliche Intelligenz“ ist weder neu, noch einfach zu definieren. Pragmatisch ausgedrückt, gilt künstliche Intelligenz als die Eigenschaft eines Systems, menschenähnliche, intelligente Verhaltensweisen zu zeigen. Dazu muss ein System in unterschiedlichen Anteilen bestimmte Kernfähigkeiten wie Wahrnehmen, Verstehen, Handeln und Lernen besitzen. KI ist der Obergriff für verschiedene Techniken, die es ermöglichen, menschliche Fähigkeiten zu imitieren. Dies kann entweder unter Verwendung von Logik, Entscheidungsbäumen, Wenn-Dann-Regeln (solche Strukturen bezeichnet man dann als Expertensysteme) oder aber durch Machine Learning erfolgen. Machine Learning ist also ein Teilgebiet der KI, wobei Algorithmen, die es erlauben von Beispielen zu lernen, ohne dafür programmiert worden zu sein, zum Einsatz kommen. Deep Learning ist wiederum ein Teilbereich des Machine Learning, der tiefe neuronale Netze benutzt, um von großen Datenmengen selbständig zu lernen.

KI in der automatischen optischen und Röntgeninspektion

Schon heute sind viele Fertigungslinien für elektronische Leiterplatten durch einen umfangreichen Automatisierungsgrad geprägt. Zukünftig werden weiter steigende Anforderungen an Produktvielfalt, Prozessflexibilisierung oder Kosten zunehmend Forderungen nach flexiblerer und selbständigerer Automatisierung stellen. Dies trifft auch ganz besonders für die in modernen Fertigungslinien zum Standard gehörenden Inspektionssysteme zu. Sicher ist, dass die KI ein wichtiger Faktor in diesem Wandlungsprozess ist. Doch wo genau liegen die Potentiale für den Einsatz von KI-basierten Methoden in der Domäne der automatischen Inspektionssysteme? Die Verwendung einer neuen Technologie sollte immer mit einer konkreten Verbesserung des Inspektionssystems bzw. der peripheren Prozesse oder aber mit einer Reduzierung der Kosten verbunden sein. Im Fokus des KI-Einsatzes stehen daher unter anderem manuelle Vorgänge wie z. B. die Prüfprogrammerstellung oder die Klassifikation von Fehlern am Verifizierplatz, da dort der Kostenaspekt schnell zum Tragen kommt. Unter diesem Gesichtspunkt wurde die Software der AOI-Systeme von Göpel electronic schon frühzeitig um ein KI-basiertes Expertensystem zur automatisierten Prüfprogrammerstellung erweitert. Mit dem Softwaremodul „MagicClick“ werden Prüfprogramme vollautomatisch erstellt und optimiert. Das Besondere: ohne jeglichen Bibliothekseintrag wird ein fertigungstaugliches Prüfprogramm inklusive Bauteil-Bibliothek in wenigen Minuten erzeugt. Die Anpassung der Parameter erfolgt ebenfalls völlig automatisch, sogar unter Berücksichtigung der realen Prozessschwankungen.

Weitere Möglichkeiten zum effektiven KI-Einsatz im Bereich der automatischen Inspektion sind mit der Zielsetzung verbunden, die Fehlererkennung der AOI- oder AXI-Systeme dort zu verbessern, wo die klassischen Bildverarbeitungsalgorithmen an ihre Grenzen stoßen. Dies kann z. B. bei offenen Inspektionssystemen, wie sie im Bereich der THT-Bestückung vorkommen, der Fall sein.

Und nicht zuletzt geht es darum, die permanent gesammelten Daten der Inspektionssysteme (SPI, AOI, AXI) mit Hilfe der KI effektiv dazu zu nutzen, um Prozesse zu bewerten und Prozessanomalien frühzeitig zu erkennen.

Der Wandel der KI von der Assistenz zum Entscheider

Sowohl in Fertigungslinien für elektronische SMD(Surface Mounted Devices)-Baugruppen als auch in THT(Through Hole Technology)-Fertigungslinien gehört die automatische optische Inspektion bzw. die automatisierte Röntgenprüfung zu den Standardprozessen, die zur Qualitätssicherung etabliert wurden. Durch die entsprechenden Inspektionssysteme werden die Baugruppen zu 100 % auf korrekte Bestückung und Verlötung der Bauelemente getestet und fehlerhafte Baugruppen werden aussortiert. Im Fall von aussortierten Baugruppen ist es typisch, dass an einer Verifikations-Station die vom Inspektionssystem erkannten Fehler final mit Menschenauge bewertet und klassifiziert werden. Diese visuelle Bewertung ist eine eintönige Arbeit und überall dort, wo Menschen monotone Tätigkeiten ausführen, besteht die Gefahr, dass durch Ermüdungserscheinungen Fehler passieren. Erhöht wird die Gefahr von falschen Klassifikationsentscheidungen noch dadurch, dass komplexe Fehlerbilder unter veränderten Prozessparametern beurteilt werden müssen. Fatal sind diese Fehlentscheidungen, wenn ein AOI- oder AXI-System einen tatsächlichen Defekt detektiert hat, und dieser Defekt nachträglich als „Pass“ klassifiziert wird. In diesem Fall sprechen wir von einer falsch-positiven Klassifikation, was wiederum gleichbedeutend mit einem Schlupf ist. Die fehlerhafte Leiterplatte würde weiter prozessiert werden und im ungünstigsten Fall (wenn auch die nachfolgenden elektrischen Tests nicht zum Ausfall führen) zur Auslieferung an den Auftraggeber kommen.

An dieser Stelle setzt das von Göpel electronic neu entwickelte Software-Modul AI advisor an, das in die Verifiziersoftware Pilot Verify integriert wurde. Für jeden vom AOI oder AXI detektierten Fehler bildet die KI-basierte Funktion eine eigene Entscheidung. In einer ersten Stufe (Level 1) wird mit dieser zusätzlichen Information eine Assistenzfunktion zur Verfügung gestellt. Wenn der Bediener seine Entscheidung getroffen hat, existieren für jeden gefundenen Fehler analog einem Vier-Augen-Prinzip zwei unabhängige Meinungen – die des Bedieners und die der KI. Kommt die künstliche Intelligenz zu einem anderen Ergebnis als der Bediener, wird eine Meldung angezeigt und der Nutzer aufgefordert, seine Entscheidung nochmals zu überprüfen. Gegebenenfalls kann dazu auch die Entscheidung eines weiteren Bedieners oder eines Supervisors angefordert werden.

Die in der ersten Stufe (Level 1) realisierte Assistenzfunktion des AI advisors sorgt dafür, dass Fehlentscheidungen bei der Fehlerverifikation verhindert, und keine detektierten Defekte nachträglich als „Pass“ klassifiziert werden. Durch das ständige Hinzufügen von weiteren relevanten Trainingsdaten im laufenden Betrieb und den sich anschließenden Trainingsprozessen wird die KI immer besser in die Lage versetzt, Klassifikationsentscheidungen zu treffen. Im Level 2 ist die künstliche Intelligenz dann so weit trainiert, dass alle möglichen Fehlersituationen sicher erkannt werden und die Verifikation automatisiert erfolgen kann. Die künstliche Intelligenz trifft dann die Basisentscheidung und klassifiziert die auftretenden Fehler selbstständig. Eine Verifikation durch den Bediener ist nur noch in Ausnahmesituationen notwendig, nämlich dann, wenn die KI keine sichere Klassifizierungsentscheidung treffen kann. Durch die automatisierte Klassifikation fast aller Fehler in Level 2 wird eine ehebliche Entlastung der Bediener an den Verifizierstationen erreicht.

Gutes Training als Basis

Der AI advisor ist eine Software, die darauf ausgelegt ist, robuste und zuverlässige Entscheidungen zu treffen. Dazu wurde eine ganze Reihe von Voraussetzungen geschaffen, denn die Anwendung von Deep Learning (DL) beschränkt sich nicht nur auf die reine Entwicklung eines KI-Modelles. Für einen industriellen Einsatz von DL-Verfahren ist insbesondere auch die Schaffung einer ausgewogenen und validen Trainingsdatenbasis essenziell. Diese Trainingsdatenbasis sollte zudem im Lebenszyklus permanent um signifikante Beispiele aus der laufenden Produktion erweitert werden.

Das Konzept des AI advisor ist dementsprechend flexibel angelegt. Es ist einerseits möglich, nach der Installation mit einer bereits vordefinierten Datenbasis zu starten, die im laufenden Betrieb durch weitere Bilddaten aus den entsprechenden Nutzerentscheidungen nachtrainiert wird. Andererseits kann auch ohne vordefinierte Datenbasis nur auf der Grundlage von historisch in der Datenbank des konkreten Inspektionssystems abgespeicherten Klassifikationsentscheidungen ein Modell trainiert werden. Auch in diesem Fall wird nach dem initialen Training durch weitere Bilddaten aus den entsprechenden Nutzerentscheidungen, die im laufenden Betrieb bereitstehen, nachtrainiert.

Damit die verschiedenen technischen Anforderungen abgedeckt werden können, wurde ein ganzes Ökosystem an KI-Softwaremodulen entwickelt, wobei der Fokus insbesondere auch auf die flexible Einbindung in die bestehende Verifizierplatz-Software gelegt wurde.

Im produktiven Betrieb nimmt die KI-Software Inspektionsdaten vom Inspektionssystem entgegen, ordnet die Inspektionsdaten zu den jeweiligen KI-Modell-Instanzen zu, führt die Inferenz durch und übermittelt KI-Entscheidungen an die Verifizier-Software.

Die KI-Software ist so ausgelegt, dass Modellinstanzen auf der Grundlage der Fehlerbilder regelbasiert und damit vollständig selbstständig angelegt werden. Weiterhin erfolgt auch das sich anschließende Training vollständig automatisiert. Damit in diesem autonomen Prozess eine valide Trainingsbasis entsteht bzw. diese auch im Lebenszyklus valide bleibt, wurden verschiedene Mechanismen integriert. Diese reichen von der Überwachung bzw. dem Ausschluss von Bilddaten, die eine zu hohe Ähnlichkeit mit bereits im Trainingsset vorhandenen Bilddaten haben, bis zu zusätzlichen Expertenbefragungen (Active Learning) für einzelne neu zu trainierende Bilddaten.

Zum KI-Software-Ökosystem gehört auch ein KI-Framework für das verteilte Trainieren und Ausliefern von Deep Learning Modellen und deren Instanzen. Dieses Tool, das über eine webbasierte systemunabhängige Oberfläche verfügt und damit bequem über einen Web-Browser erreicht werden kann, ermöglicht es, die Instanzen mit den Fehlerbildern (Samples) sowie deren Zuordnung (Labels) zu verwalten oder gegebenenfalls auch Sample aus dem Trainingsset zu löschen. Zusätzlich gibt es die Option klassifizierte Fehler nicht sofort zum Nachtrainieren für das KI-Modell zu verwenden. Hierbei werden die Bilder zwischengespeichert und können dann von einem Experten nachbewertet werden.

Integration in Produktions-Infrastruktur

Viele Anbieter von KI-Lösungen setzen darauf, Infrastruktur und Rechenleistung ausschließlich aus der Cloud zu beziehen. Allerdings müssen sich KI-Lösungen, die in industrielle Produktionsprozesse integriert werden sollen, in erster Linie nahtlos in die entsprechende IT-Infrastruktur einfügen. Vielfach werden Produktionsprozesse aus Sicherheitsgründen nach außen vollständig abgeschottet, da ein Verlust von sensiblen Daten oder eine Manipulation der Produktionssysteme einen enorm großen Schaden anrichten könnte. Cloud-Lösungen können daher oft nicht realisiert werden und Edge-basierte KI-Lösungen sind dann der einzige Ausweg.

Aus diesen Gründen deckt die moderne Architektur des KI-Backend der AI advisor Software alle möglichen Einsatzfälle ab. Für Elektronikfertiger, die nur eine Produktionslinie haben, können alle KI-Software-Module auf dem gleichen PC wie die Verifizierplatz-Software installiert werden.

Besteht die Produktion aus mehreren Linien, so kann die KI im Firmennetzwerk auf einem separaten KI-PC laufen. Für Anwender, die keine zusätzliche Rechenleistung installieren wollen, kann aber auch eine Cloud-basierte Lösung zur Verfügung gestellt werden.

Fazit / Ausblick

In der Industrie wird künstliche Intelligenz mit klaren Zielstellungen eingesetzt: höhere Effizienz, Einsparung von Kosten und gesteigerte Qualität der Endprodukte. In der Domäne der automatischen optischen und Röntgeninspektion trägt der Einsatz von KI insbesondere dazu bei, die Inspektionssysteme zu befähigen, bessere Inspektionsentscheidungen zu treffen oder manuelle Prozesse zu vereinfachen. Aber auch die Optimierung von Produktionsprozessen auf der Basis der gesammelten Inspektionsdaten ist ein wichtiges Thema.

Mit dem neu entwickelten Software-Modul AI advisor wird eine KI-basierte Assistenzfunktion für die Verifiziersoftware Pilot Verify zur Verfügung gestellt, die dafür sorgt, dass Fehlentscheidungen bei der Fehlerverifikation verhindert werden und keine detektierten Defekte nachträglich als „Pass“ klassifiziert werden. Durch das Zusammenspiel von Menschen und KI wird der Klassifikationsprozess optimiert und der Mensch entlastet.

In einer weiteren Entwicklungsstufe wird die künstliche Intelligenz dann zum Entscheider und die auftretenden Fehler werden selbstständig klassifiziert. Eine Verifikation durch den Bediener ist nur noch in Ausnahmesituationen notwendig, wenn die KI kein eindeutiges Ergebnis liefern kann. Durch die automatisierte Klassifikation fast aller Fehler wird eine noch erheblichere Entlastung der Bediener an den Verifizierstationen erreicht.

Das Beispiel des AI advisor zeigt sehr eindrucksvoll, wie die KI zu einer konkreten Verbesserung des Inspektionsprozesses beiträgt. Langfristig ebnet der KI-Einsatz den Weg zu teilautonomen und später vollautonomen Prüfsystemen.

www.goepel.com

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