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Elektronik-Kolleg sorgt für Klarheit

RoHS, WEEE, ElektroG, bleifreie Prozesse … haben wir die Übersicht verloren?
Elektronik-Kolleg sorgt für Klarheit

Auf dem diesjährigen 9. Europäischen Elektroniktechnologie-Kolleg in Colonia de Sant Jordi, Mallorca, berichteten Referenten aus der Industrie über ihre Erfahrungen bei der Umsetzung der RoHS. Den zahlreichen Teilnehmern war neben vielen Informationen auch eine sonnige und warme Pause gegönnt, wo ausreichend Gelegenheit bestand, eigen Fragestellungen und Probleme im Teilnehmerkreis intensiv zu diskutieren.

Nun so kurz vor Torschluss ist es für einige Firmen schwer, überhaupt noch die Übersicht zu behalten. Unzureichendes Materialmanagement und hohe Lagerbestände führen an mancher Stelle zu Verlusten durch Verschrottung. Unkonkrete Gesetzeslagen, Standards, Datenblätter und noch nicht beantwortete Fragen verursachen Mehraufwand bei den Herstellern und Konflikte zwischen Lieferanten und Kunden. Dazu kommen die neu zu definierende Zuverlässigkeit von bleifreien Produkten, zusätzliche Investmentkosten und teilweise auch höhere Herstellungskosten. Viele Firmen in Europa haben sich dennoch wertvolles Know-how im Umgang mit dieser Thematik erarbeitet und gezeigt, das RoHS-konforme Produkte herstellbar sind, die die Zuverlässigkeitserwartungen der Kunden auch erfüllen. Um das zu zeigen, wurde in diesem Jahr zum Elektroniktechnologie-Kolleg durch folgende Firmen geladen:

Cobar, als Hersteller von seit Jahren RoHS-konformen Lotpasten, Flussmittel und Lotdraht, entwickelt mit seinen „grünen“ Produkten Alternativen, die den Umweltaspekt in der Fertigung voll berücksichtigen, ohne dabei die Qualitätsanforderungen zu vernachlässigen, und schickte seine Mitarbeiter Harry Trip, Han Raetsen und Jürgen Seitner mit. Ekra, die älteste unter den sieben Firmen, konnte durch die Integration in die Asys-Gruppe Mitte letzten Jahres das Angebot im Bereich des Siebdruckens effektiv ausbauen und ihre Marktposition festigen. Die vier Mitarbeiter Franz Plachy, Thomas Raupach, Andreas Keller und Robert Stocker standen während der Zeit des Kollegs Rede und Antwort. Mit Inertec wurde der Partner für das Selektivlöten, von der Batch-Anlage bis zum Liniensystem, gefunden. „Mit Präzise aus Tradition“ steht die Firmenphilosophie von Koenen und damit Produkte für den technischen Sieb- und Schablonendruck. Neben Isabella Koenen waren auch der neue Geschäftsführer Joachim Hrabi, Roland Ruhfaß und Günther Zimmermann vertreten. Bert Schopmans und Detlef Wieser waren für Kolb Fertigungstechnik da, genauer für den Bereich der Reinigungstechnik des Unternehmens, der auf die Entwicklung und Produktion von Ex-Schutzfrei einsetzbaren kompletten Reinigungssystemen, bestehend aus effizienten Reinigungsanlagen und perfekt abgestimmten Reinigungsmedien, spezialisiert ist. Mimot zog mit Dieter Jenne, Wolfgang Sexauer, Reinhard Pollack und Wolfgang Herbig ins Kolleg nach Mallorca. Als einer der Pioniere für hochflexible SMD-Fertigungssysteme legt das Unternehmen Augenmerk auf die Optimierung ihrer SMD-Fertigung. Die Firma rehm hat mit der Entwicklung von Schutzgas-Reflöw-Lötanlagen und der Konstruktion kundenspezifischer Applikationen zur wirtschaftlichen Elektronik-Baugruppenfertigung weltweit Maßstäbe gesetzt. Hier standen unter anderem Henning Obloch, Guido Drobny sowie Bernd Marquardt für Auskünfte und Fragen während der Tage zur Verfügung. Und wie auch in den letzten Jahren organisierte die Technologie Beratung Bell unter Franziska Bell ein hervorragendes Programm und Ambiente für die wohlgelungene Veranstaltung. Sie und ihre Mitarbeitern Edith Misgeld hatten für jedes „Problemchen“ eine Lösung parat.
Nach einer Einschreibung und Registrierung der Teilnehmer am ersten Veranstaltungstag bereitete Dr. Hans Bell von rehm Anlagenbau für das Kolleg mit sämtlichen Informationen vor, um dann als ersten Redner Professor Klaus Wolter der TU Dresden mit seinem Vortrag über die Entwicklungstrends der elektronischen Baugruppe vorzustellen. Sein Fazit: Ein Ende der durch die Halbleiterindustrie getriebenen Entwicklung ist nicht abzusehen. Technologien und Ausrüstungen der AVT müssen ausgereizt und weiter angepasst werden. Die Anforderungen aus Produktsicht bedingen eine weitere Diversifizierung der Aufbau- und Verbindungstechniken. Neben der „Mainstream“-AVT sind immer mehr Speziallösungen gefragt. Innovative Entwicklungen auf dem Gebiet Nanoelektronik, als einer der wichtigsten elektronischen Treiber, erfordern umgehend verstärkte Aktivitäten zur Schaffung adäquater Aufbau- und Verbindungstechniken einschließlich des erforderlichen Equipment. Über Basismaterialien für RoHS-konforme Prozesse konnte Dr. Manfred Cygon von Isola aus Düren sein Wissen präsentieren. Die Erkenntnisse aus vielen Versuchsreihen bei Leiterplattenherstellern oder bei Anlagenherstellern zeigen, dass ein- und zweiseitige Leiterplatten aus Rigid-FR-4 wie auch Leiterplatten aus Basismaterialien mit hoher T260, wie man sie beispielsweise durch Härtung der Epoxydharze mit Novolaken erreicht, unkritisch sind. Die Verwendung von halogenfreien Harzsystemen führt zu sehr temperaturbeständigen Leiterplatten. Multilayerschaltungen aus Standard-FR-4 mit 18 µ oder 35 µ Kupfer sind bis 6 Lagen unkritisch, bei bis zu 12 Lagen ist die Peaktemperatur entscheidend, ebenso wie HDI-Schaltungen aus Standard-FR-4 bei hohen Peaktemperaturen als kritisch gelten. Leiterplatten mit Kupfer $70 µ könnten kritisch werden, so zeigten Multilayer aus Standard-FR-4 mit 70 µ Innenlagenkupfer bei Dicken #1 mm Probleme. Da neben der Basismaterialtype das Leiterplattendesign von Wichtigkeit ist, bedarf es noch vieler Versuchsreihen, um ein vollständiges Bild von der Zuverlässigkeit beim bleifreien Wellen- oder Reflowlöten zu erhalten. Eine Umstellung auf andere Basismaterialien ist durch die bleifreie Löttechnik also nicht zwingend notwendig. Das Verarbeitungsfenster wird kleiner und der Einfluss des Leiterplattendesigns wird stärker werden. Bei Versagen muss der Mechanismus genau analysiert werden. Es stehen Basismaterialien mit entsprechend verbesserten thermischen Eigenschaften im Bedarfsfall zur Verfügung. Matthias Bauer von Häusermann, Gars in Österreich, bot einen Blick unter die bleifreie Leiterbahnoberflächen mit den erzielten Erfahrungen und einem Ausblick. Es ist ein klarer Trend in Richtung chemisch Zinn erkennbar, aber auch die ENIG und Bleifrei HASL Oberflächen finden verstärkt Anwendung,was jedoch Baugruppen spezifisch entschieden werden sollte. Der Einfluss des Leiterplattendesigns bei der Produktion von komplett bleifreien Schaltungen wird stärker und die Prozessfenster in allen Produktionsbereichen werden kleiner, so dass eine Prozesskontrolle immer wichtiger wird. Bei auftretenden Fehlern muss eine genaue Analyse mit möglichst allen Beteiligten durchgeführt werden, und alternative bleifreie Leiterbahnoberflächen stehen zur Verfügung. Erkenntnisse, die konform gehen mit denen des Vorredners. Jürgen Brag, Unternehmensberatung, berichtete nach dem Lunch über die Automatische Inspektion in einer bleifreien Produktionsumgebung mit Einsatzmöglichkeiten in der Linie anhand der Projektergebnisse des Fraunhofer ISIT, sowie über die neuen Anforderungen durch QFN an die Inspektion mit AOI und AXI.
Der darauf folgende Vortrag von Norbert Schütrumpf des EN Hersfeld befasste sich mit den Untersuchungen von stressfreien Trennmethoden. Die besten Erfahrungen wurden aus Sicht des Unternehmens mit Linearmesser/Linearmesser gemacht. Hier wurde der Wert, bei einer zulässigen Dehnung von 500 ppm, nur leicht überschritten. Dabei wird der Nutzen von vorne in seiner Ritzung zwischen die Trennmesser eingeführt. Das obere Messer fährt nach Auslösen des Fußhebels mit einem schwingenden Sektionalschnitt parallel nach unten und trennt die Leiterplatte. Als stressfreie Trennmethode für Nutzenplatten mit kritischer Bestückung bis in den Randbereich wird vom EN Hersfeld das Fräsen sowie Trennen mit Schneidmessern im Gesamtschnitt eingesetzt. Je nach Layout wird in Einzelfällen auch die Trennmethode mit Linearmesser/Linearmesser zugelassen, die anderen Trennverfahren finden bei unkritischen Leiterplatten weiterhin bei Bedarf Anwendung. Der Rest des Tages war mit der Ausarbeitung der Workshops eingeplant, die dann am nächsten Tag während der Nachmittagsveranstaltung zur Geltung kommen sollten.
Der Freitag begann mit der Qualifikation bleifreier Lotpasten, einem Vortrag von Wolfgang Fleischer des österreichischen Unternehmens Kapsch Components. Das Ziel der Untersuchungen war die umweltfreundliche und wirtschaftliche Anwendung von bleifreien Lotpasten sowie der Nachweis der Zuverlässigkeit von Lötverbindungen. Es zeigte sich, dass die Pasten mit den Legierungen SnAg, SnAgCu, SnAgCuSb und SnCu+Starteutektikum in den Punkten Verarbeitbarkeit, Alterung und Rissbildung ein ähnliches Verhalten ausweisen. Die Legierungen von SnCu+Starteutektikum stehen in keiner Relation zu den Anschaffungskosten und dem erwarteten Vorteil bei der Wahl der Löttemperatur, während SnZnBi-Legierungen bei der Verarbeitung unter Normalatmosphäre eine verstärkte Zinkkorrosion, und in Verbindung mit Blei eine tiefschmelzende PbBi-Phasenbildung zeigen. Die Flussmittelart und der Flussmittelgehalt tragen wesentlich zur Ausbildung und Anzahl von Lunkern bei. Es folgte der Bericht von Thomas Hahn von Tonfunk in Ermsleben über das Bleifreie Löten in der Fertigungspraxis. Und auch er kam zu dem Schluss, dass eine sorgfältige Legierungsauswahl getroffen werden sollte, die Hilfsmaterialien, Bauelemente und Leiterplatten qualifiziert, und die Maschinenfähigkeit für bleifreie Prozesse nachgewiesen werden sollte. Die Prozesse müssen angepasst und den einzelnen Baugruppen eine Fertigungsfreigabe erteilt werden, sowie die Mitarbeiter laufend gezielte, ihren Aufgabengebieten entsprechend, Schulungen erhalten sollten, womit eine derzeitige Situation mit „Bleifrei-Ready“ zu bezeichnen wäre. Volker Spieß von Otis stellte als nächstes das Selektive Löten von Leistungsbauteilen vor, ein Projekt zur Untersuchung und Gegenüberstellung der verschiedenen Selektivlötverfahren. Hier war unter anderem zu hören, dass ein Umstellungsaufwand auf bleifreies Kolbenlöten gering, und ein Prozess bei regelmäßiger Wartung stabil ist. Dr. Thomas Ahrens vom Fraunhofer Institut für Siliziumtechnologie verschaffte dann den Teilnehmern einen Überblick über das innovative Handlöten und gab Tipps zur Erreichung guter Ergebnisse. Nach einer Mittagspause startete Thomas Skoczowski von Siemens seinen Bericht über die Reflowprofile und das Wärmemanagement. Sein Fazit: Die Temperaturprofile werden wesentlich durch die Lötwärmebeständigkeit der Bauelemente bestimmt, das Prozessfenster ist beim Bleifrei-Prozess kleiner und somit ein Mehraufwand bei der Profilerstellung, komplexe Produkte mit hohen thermischen Massen oder einer ungünstigen Massenverteilung benötigen „stärkere Öfen“ oder den Einsatz einer Dampfphase, und dass die Bestimmung des Wärmeübergangskoeffizienten mit Hilfe des Messmoduls eine schnelle Aussage über das Potenzial des Ofens ermöglicht. Bevor es mit den Ergebnisberichten der einzelnen Workshop-Teams weiterging, referierte Günter Grossmann vom EMPA (Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt), Zentrum für Zuverlässigkeitstechnik aus der Schweiz über die Zuverlässigkeit und Besonderheiten bleifreier Lote. Seine Erfahrungen zeigen als Hauptdeformationsmechanismus das Kriechen an.
Workshops
Das Team des Workshop Nr. 1 hatte sich mit dem Thema: Welche Hauptfaktoren können in einer SMD-Linien-Produktion kostensenkend und effizienzsteigernd wirken, wo gibt es Rationalisierungspotenzial? unter der Moderation von Wolfgang Sexauer. Zusammengetragen wurde, dass die Information Schlüsselfaktor in allen Bereichen ist und Einzelschritt-übergreifendes Denken, Kostenbewusstsein mit motivierten und trainierten Mitarbeiter zur Zielerreichung nötig sind. Der Workshop Nr. 2 unter der Moderation von Günter Grossmann stand vor der Frage: Wie kann die RoHS-Konformität der Produkte in der Fertigungs-Praxis nachgewiesen und gesichert werden, mit dem Ergebnis: Nach dem Gammel „Fleisch-Skandal“ folgt der Gammel „RoHS-Skandal“. Die Optimierungspotenziale im Design der Leiterplatte, der Druckschablone und der Bauelemente sowie die Verbesserung der Materialeigenschaften hatten die Mitglieder des Workshops Nr. 3 zu diskutieren. Unter der Diskussionsleitung von Manfred Cygon kamen sie zu dem Resultat, dass eine Plattform zum intensiveren Meinungsaustausch innerhalb der Wertschöpfungskette benötigt wird, und die Diskussionen von unten nach oben bis zum Designer stattfinden sollten. Es gibt für alle Probleme technische Lösungen, jedoch mangelt es an entsprechender Kommunikation. Das nächste Team unter der Teamleitung Henning Oblochs beschäftigte sich mit dem optimalen Reflowprofil für den bleifreien Lötprozess unter Berücksichtigung der gegebenen Beschränkungen und unterschiedlichen Verfahren wie Konvektion und Vapourphase. Jeder sollte das für ihn, also seiner Baugruppe am besten geeignete Profil erstellen, um zum besten Lötergebnis zu kommen. Hierbei bestimmt die Auswahl der Lotpaste und vor allem die Spezifikation der Bauteile den zur Verfügung stehenden Korridor. Unter Professor Wolter hatte sich das Workshop-Team Nr. 5 mit den Vor- und Nachteilen unterschiedlicher bleifreier Lotlegierungen, Pastentypen und Zusammensetzung im Hinblick auf ihre Verarbeitbarkeit auseinander zu setzen. Unter anderem wurde festgestellt, dass das Druckverhalten ebenso wie Klebkraft und Perlenbildung gleiche Ergebnisse aufweisen wie mit Blei, eine Padgeometrie nicht angepasst werden muss und ein höheres Voiding gegenüber mit Blei vorhanden ist. Auch die Lötbarkeit ist generell schlechter als bei Blei. Alexander Polizzi stellte das Ergebnis der Aufgabe „Diskutieren Sie die besonderen Anforderungen, die sich an das manuelle und selektive Löten durch die Verarbeitung bleifreier Legierungen ergeben“ von Workshop Nr. 6 vor. Auch in diesem Bereich gibt es noch Klärungsbedarf, technisch zwar machbar, jedoch sollte mehr Schulungsaufwand insbesondere beim Handlöten betrieben werden, und das Bleifrei-Verfahren ist kostenintensiver.
Der intensive Erfahrungsaustausch während der Pausen und abends sowie das durch TBB perfekt durchorganisierte Technologie-Kolleg machte die Veranstaltung zu einem interessanten und kurzweiligen Event. (dj)
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